Leipzig weiß nichts über den Zustand der Artenvielfalt in der Stadt. Das macht es den diversen Ämtern auch so einfach, Bau- und Fällgenehmigungen auszureichen, mit denen wertvolle Biotope einfach vernichtet werden. Bauplanungen reichen bis in Naturschutzgebiete, Ufer werden – obwohl es verboten ist – zugebaut. Die Ahnungslosigkeit in den verantwortlichen Ämtern öffnet dem Artenverlust Tür und Tor. Aber biologische Vielfalt muss geschützt werden, fordern die Grünen.

Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Leipziger Stadtrat hat deshalb einen umfangreichen Antrag zur Erforschung und zum Schutz der biologischen Vielfalt in Leipzig auf den Weg gebracht. Insbesondere fordert die Fraktion, dass neben einem umfangreichen Monitoring auch neue Schutzgebiete in Leipzig ausgewiesen und die bestehenden ausgeweitet werden. Auch soll eine Gesamtstrategie zum Umgang mit invasiven Arten erarbeitet werden, da es in dem Bereich bislang an einem Gesamtkonzept mangelt.

„Die Antwort zur Anfrage VII-F-09310 ‚Artensterben und Klimawandel‘ macht deutlich, dass es gravierende Wissenslücken bezüglich des Zustands der Leipziger Artenvielfalt gibt“, beschreibt Jürgen Kasek, umweltpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion, den mehr als lückenhaften Wissensstand der Stadtverwaltung.

„Wir wissen zum Teil gar nicht, wie sich die biologische Vielfalt in Leipzig in den letzten Jahren entwickelt hat. Daher brauchen wir ein Monitoring in diesem Bereich. Hinzukommen muss eine Ausweitung bestehender Schutzgebiete, da die Unterschutzstellung ein wirksames Instrument ist, um Lebensräume nachhaltig zu schützen. Damit trägt man auch den Empfehlungen der 15. Internationalen Biodiversitätskonferenz 2022 in Montreal Rechnung, welche eine Unterschutzstellung von 30 Prozent der Erdoberfläche vorsehen.“

Ausweisung neuer Schutzgebiete stockt

In der Antwort vom Dezember hatte die Verwaltung verklausuliert angedeutet, dass ihr zur Ausweisung neuer Naturschutzgebiete eigentlich das Personal fehlt. Da konnte man lesen: „Ein Mittel, dieser Entwicklung zu begegnen, ist die Ausweisung neuer oder die Erweiterung bestehender Schutzgebiete. So sind die Ausweisung eines neuen Naturschutzgebietes „Bläulingswiese und Vorholz bei Holzhausen“ und die Erweiterung und Neuausweisung weiterer Landschaftsschutzgebiete in Vorbereitung.

Aufgrund der durch die untere Naturschutzbehörde prioritär zu bearbeitenden Genehmigungs- und Wiederherstellungsverfahren kommt es hierbei allerdings immer wieder zu Verzögerungen dieser zeitintensiven Prozesse, die im Vergleich zu den anderen, mit hohem Termindruck versehenen gesetzlichen Pflichtaufgaben regelmäßig nur nachrangig vorangetrieben werden können.“

Was die Grünen dann auch genau so interpretieren: Es mangelt an Personal, um neue Schutzgebietsverordnungen zu erlassen. Wozu zum Beispiel die Neuausweisung des NSG „Bläulingswiese und Vorholz bei Holzhausen“ und die Erweiterung und Neuausweisung weiterer Landschaftsschutzgebiete gehören.

„Auch die Ausweitung des NSG Elster-Pleiße-Auwald (VII-A-01749) harrt einer Umsetzung. Gleichzeitig ist die Unterschutzstellung jedoch ein sehr wirksames Instrument, um Lebensräume nachhaltig zu schützen und muss daher entsprechend priorisiert werden“, meinen die Grünen.

„Auf der 15. Internationalen Biodiversitätskonferenz 2022 im kanadischen Montreal wurde beschlossen, 30 % der Erdoberfläche unter Schutz zu stellen. Dabei geht es uns nicht darum, dass 30 % der Leipziger Stadtfläche unter Schutz gestellt werden sollen, aber die Ausweisung neuer Schutzgebiete und die Überprüfung der Ausweitung der bisherigen Schutzgebiete soll verstärkt berücksichtigt werden.“

Wir sind im Elster-Pleiße-Auwald. Foto: Sabine Eicker
Im Elster-Pleiße-Auwald. Foto: Sabine Eicker

Die Ausweitung des NSG Elster-Pleiße-Auwald wurde vom Stadtrat im Februar 2021 beschlossen. Im Beschlussprotokoll hieß es dazu: „Der OBM wird beauftragt, im Zuge der Erarbeitung des Auenentwicklungskonzeptes die Eckpunkte und Schutzgüter für eine Novellierung der Schutzgebietsverordnung Elster-Pleiße-Auwald zu identifizieren und im Konzept einen Zeit- und Projektplan für die Anpassung dieser Verordnung vorzulegen.

Protokollnotiz: Die Vorarbeiten und Grundlagen zum Schutzwürdigkeitsgutachten werden in den Jahren 2021/2022 vorgenommen. Das Schutzwürdigkeitsgutachten wird im Jahr 2023 beauftragt. Die Haushaltsmittel hierfür werden im Jahr 2023 eingestellt.“

Seitdem ruht der Wald.

Neophyten und Artenerfassung

„Zudem fehlt es an einem Gesamtkonzept im Umgang mit zuvor nicht heimischen Arten (Neophyten und Neozoen), wie Einzelanfragen und Anträge etwa zum Umgang mit dem Riesen-Bärenklau immer wieder zeigen“, merkt Jürgen Kasek an.

„Dabei handelt es sich um einen sehr auffälligen Neophyten, der giftig ist und sich ohne Bekämpfung ungehindert ausbreitet und einheimische Arten verdrängt. Auch hier hatte die Verwaltung geantwortet, dass es noch an einem umfassenden Konzept im Umgang damit fehle, sodass es höchste Zeit wird zu handeln.“

Eigentlich staunt man über den Antrag. Denn seit Jahren ist Leipzig Mitglied im Bündnis „Kommunen für biologische Vielfalt“. Da wäre ein Erfassen der Artenvielfalt im Stadtgebiet eigentlich die Grundlage für sämtliche Planungen und Genehmigungen. Doch die gibt es nicht. Und so ahnt man zumindest, warum sich selbst die zuständigen Fachämter so schwertun, der Zerstörung wichtiger Biotope im Stadtgebiet ein Ende zu setzen.

Und so beantragen die Grünen logischerweise auch: „Personelle und finanzielle Kapazitäten, die zur Umsetzung der vorgenannten Punkte dienen, sollen bis zur Erstellung des Doppelhaushalts 2025/26 herausgearbeitet werden, damit sie dort entsprechende Berücksichtigung finden können. Der Fachausschuss Umwelt, Klima, Ordnung wird diesbezüglich im 2. Quartal 2024 informiert.“

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Es gibt 3 Kommentare

Zu den LSG:
Die Neuausweisung des LSG Nördliche Rietzschke aus dem alten DDR-Gebiet heraus ist offenbar schon sehr lange in Planung. Mir erzählte vor einiger Zeit mal jemand (die Quelle sei natürlich nicht verraten), es sei bereits ein langer Prozess gewesen, der Hierarchieebene im Amt für Umweltschutz zu beweisen (so war die Forderung), dass das sog. Nordraumkonzept keinesfalls tangiert werden kann. D.h. alle perspektivischen Industrie- und Gewerbeansiedlungen dürfen durch ein LSG nicht gefährdet werden. In einer Stadtratsversammlung wurde im Rahmen einer Einwohneranfrage vom Umweltbürgermeister vehement gesagt, dass ein ökologisch sehr wertvoller Bereich an der Bremer Straße – ein Hotspot der Biodiversität – keinesfalls in das LSG kommen darf, weil dort mal gebaut werden soll. Ob das die Stadträtinnen und Stadträte der Grünen dies wohl gehört haben. Entgegnet haben sie zumindest nichts. Leider sind die Stadträtinnen und Stadträte bei den Einwohneranfragen in der Regel geistig abwesend, unterhalten sich über was anderes oder daddeln auf ihren elektronischen Endgeräten herum.
Es gilt also auch hier: Es kommt darauf an, wie ein LSG aussieht, damit es einen Schutz für Natur und Landschaft gewährleisten kann. Die Prioritäten sind leider sehr eindeutig. Und bei der LSG-Ausweisung reden alle Ämter mit…

Zu den Naturschutzgebieten (NSG):
Die erforderliche Neuausweisung des NSG „Elster-Pleiße-Auwald“ ploppt immer mal wieder auf. Eigentlich ja richtig! Wichtig ist aber auch die Geschichte dahinter. Aus sicherer Quelle weiß ich, dass bereits vor ca. 10 Jahren das Sachgebiet untere Naturschutzbehörde einen Verordnungsentwurf zu einem neuen und großen NSG im südlichen Auwald erstellt hatte. Dieser wurde dann allerdings von den Amtsleitern des Amtes für Umweltschutz und des Amtes für Stadtgrün und Gewässer sowie auf Order des Umweltbürgermeisters Heiko Rosenthal einkassiert. Grund: Der Floßgraben als zentrales Gewässer des NSG durfte nicht mit Restriktionen belegt werden. Restriktionen wären in einem NSG allerdings unvermeidlich. Das WTNK ließ grüßen. Leider scheinen sich die Prioritäten im Dezernat III nicht verändert zu haben, zumindest nicht zum positiven.
Auch die Forstbehörden – städtisches Forstamt und Sachsenforst – bestimmen über die Inhalte der NSG-Verordnungen. So hatte die NSG-Ausweisung der Burgaue (vor ca. 20 Jahren durch das Regierungspräsidium) erst dazu geführt, dass waldökosystemschädigende Kleinkahlschläge und die Mittelwaldumwandlungskatastrophe über die Verordnung festgesetzt wurden. Vorher war das kleinere NSG aus DDR-Zeiten vor der intensiven Forstwirtschaft verschont geblieben. Also Vorsicht: Es kommt auf die konkrete Ausgestaltung eines NSG an!
Sehr geehrter Herr Kasek, ich habe eine Idee: Bitte fordern Sie ein neues NSG „Leipziger Auwald“ ein, welches die wesentlichen Bestandteile des Gesamt-FFH-Gebietes in Leipzig umfasst und v.a. folgende Festsetzungen enthält: oberste Priorität das Entwicklungsgebot einer weitreichenden Auenrevitalisierung (damit ist nicht das Projekt Lebendige Luppe gemeint…), Verbot von Kleinkahlschlägen (fälschlicherweise als Femel bezeichnet), Verbot von Schirmschlägen (somit die Beendigung des Mittelwaldumwandlungskatastrophenprojektes), schonende Eichenförderung nur in natürlichen oder kalamitätsbedingten Auflichtungen, starke Restriktion für die sog. Selbstwerber (derzeit wird extrem viel Totholz für den heimischen Kamin abgefahren, das ist wohl die Umsetzung des preisgekrönten Totoholzkonzeptes…), weitreichender Prozessschutz im Wald, Sicherung der natürlichen Selbstregulierungspotenziale eines Waldökosystems.
Meine 100%ige Unterstützung wäre Ihnen sicher, auch fachlicherseits! Natürlich könnte das dazu führen, dass sie dann aus dem Kreis der sog. „Freunde des Stadtwaldes“, in dem unser Forstamtsleiter nur Unterstützer seiner Sichtweise auf den Auwald als statisches Forstsystem duldet, ausgeschlossen würden. Dazu müssten Sie natürlich bereit sein. Selbst wenn ein solcher Antrag scheitern sollte im Stadtrat, es wäre ein wichtiges Signal. Ich bin gespannt!

An sich ein sehr interessanter Job, Monitoring in der Stadt. Weshalb besteht eigentlich der Personalmangel, angesichts vieler Naturinteressierten/-Verbundenen Menschen? Zu hohe Hürden? Rekrutierung/Promotion Scheitert?

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