Eine Ämterverschiebung zeichnete sich schon in der Stadtratssitzung am 16. April ab, die in der Ratssitzung im Mai wohl erst recht hohe Wellen schlagen wird. Denn dann steht eine Vorlage von OBM Burkhard Jung auf der Tagesordnung, der das Liegenschaftsamt wieder ins Wirtschaftsdezernat integrieren möchte. Auf einmal standen jede Menge Macht- und Prestigefragen im Raum. Und eine nach Gerechtigkeit, die insbesondere Linke-Stadtrat Enrico Stange beschäftigte, der das Thema in eine Dringliche Anfrage gesteckt hatte.

Denn es ist noch gar nicht so lange her – keine fünf Jahre – dass das Liegenschaftsamt aus dem Wirtschaftsdezernat in das Dezernat Stadtentwicklung und Bau verschoben wurde. Damals unter anderem begründet damit, dass das Liegenschaftsamt für die Stadtentwicklung eine zunehmend wichtigere Rolle spielt, also im entsprechenden Dezernat am besten untergebracht wäre.

Was natürlich nicht nur Enrico Stange, sondern auch den Vorsitzenden der Grünen-Fraktion, Dr. Tobias Peter, zu der Nachfrage animierte, warum es denn dann nicht dort bliebe. So schnell ändern sich doch die Herausforderungen in der Stadtentwicklung nicht.

Aus Sicht von Burkhard Jung schon, wie er in der Fragestunde am 16. April versuchte zu erklären. Da fiel dann das Wort Gerechtigkeit. Denn aus seiner Sicht gibt es ein Ungleichgewicht in der Aufgabenverteilung. Das Dezernat Stadtentwicklung und Bau sei sowieso schon mit Aufgaben überhäuft. Mit der Rückverlagerung des Liegenschaftsamtes ins Wirtschaftsdezernat würde letzteres wieder gestärkt. Und Zugriff hätte auch das Dezernat Stadtentwicklung und Bau weiterhin auch auf das Liegenschaftsamt. Es gehe also nur um eine gerechtere Aufgabenverteilung.

Stadtentwicklung versus Gewerbeansiedlung?

Obwohl selbst die Vorlage für die Mai-Ratssitzung eigentlich nahelegt, dass nach wie vor Stadtentwicklung das Hauptthema im Liegenschaftsamt ist: „Die Zuordnung des Liegenschaftsamtes zum Dezernat Wirtschaft, Arbeit und Digitales erfolgt, da die wirtschaftliche Entwicklung der Stadt mit ihren besonderen Bedarfen eines vorsorgenden Flächen- und Liegenschaftsmanagements einen der wesentlichen Schwerpunkte der Stadtentwicklung darstellt, die eine besonders enge Verknüpfung rechtfertigt. Zugleich soll mit der Zuordnung dem Erfordernis einer ausgewogenen Verteilung der dezernatsübergreifenden Fach- und Führungsverantwortung Rechnung getragen werden.“

Aber aus Jungs Sicht hat sich in den fünf Jahren dennoch etwas drastisch verändert: Jetzt scheint die Ansiedlungspolitik in Zeiten schwerer wirtschaftlicher Entwicklungen wieder zum Hauptthema zu werden.

Oder mit den Worten aus seiner Vorlage: „Durch die Zuordnung des Liegenschaftsamtes zum Dezernat für Wirtschaft, Arbeit und Digitales in einer fragil bleibenden wirtschaftlichen Situation sollen Schnittstellen reduziert werden, damit Gewerbeflächen noch gezielter bereitgestellt und entwickelt werden können. Durch eine verbesserte Interaktion des Amtes mit weiteren Organisationseinheiten, die mit der Gewerbeflächenentwicklung betraut sind, möchte sich die Stadt Leipzig durch eine strategische Liegenschaftspolitik als zukunftsfähiger Wachstumsstandort mit einer aktiven Förderung nachhaltiger Gewerbegebiete und klimafreundlicher Bauweisen positionieren.“

Oder doch eine Frage des Kräftegleichgewichts?

Aber schon im Vorfeld der Sitzung am 16. April hatten Linke und Grüne ihre deutlichen Bedenken gegen die Verschiebung vorgebracht: „Die Fraktion Bündnis 90 / Die Grünen im Leipziger Stadtrat hat zwischenzeitlich gegenüber dem Oberbürgermeister erklärt, dass aus ihrer Sicht mit der Änderung der Zuordnung des Fachamtes eine Änderung des Geschäftskreises vorliegt. Die Fraktion DIE LINKE vertritt in ihrer Anfrage DF-01092 ebenfalls diese Auffassung. Läge eine Änderung des Geschäftskreises vor, so wäre tatsächlich ein Einvernehmen mit dem Stadtrat herzustellen.“

Deshalb lege der OBM „zur Vermeidung rechtlicher Risiken die Vorlage als Beschlussvorlage vor“.

In ihrer Dringlichen Anfrage hatte die Linksfraktion ihr Bedenken sehr ausführlich dargelegt: „Der Oberbürgermeister möchte den Stadtrat nach zusammenfassender Aussage mit der Vorlage VIII-DS-00945 ‚Wechsel des Liegenschaftsamtes in den Geschäftskreis des Beigeordneten für Wirtschaft, Arbeit und Digitales‘ über seine Entscheidung zur Umstrukturierung des Dezernats Stadtentwicklung und Bau und des Dezernats Wirtschaft, Arbeit und Digitales informieren. Nach Auffassung des Oberbürgermeisters ist laut Vorlage hierüber der Stadtrat nur zu informieren.

Gemäß dem Beschluss des Stadtrates vom 28.05.2020 zur Vorlage VII-DS-01278-NF-03 ‚Zukünftige Dezernatsstruktur der Stadtverwaltung Leipzig – Grundsatzbeschluss‘ (Beschlussvorlage und Abstimmungsergebnisse als Anlage beigefügt) wurde das Liegenschaftsamt (ohne Gewerbeflächen) dem Geschäftskreis des Beigeordneten für Stadtentwicklung und Bau zugeordnet. In der damaligen Vorlage hatte der Oberbürgermeister zutreffend ausgeführt: ‚Die Geschäftskreise der Beigeordneten werden entsprechend der gesetzlichen Vorgaben vom Oberbürgermeister im Einvernehmen mit der Ratsversammlung festgelegt.‘

Diese zutreffende Aussage fußt auf den Regelungen der Sächsischen Gemeindeordnung. Hier regelt § 55 Abs. 3 Satz 2: ‚Die Geschäftskreise der Beigeordneten werden vom Bürgermeister im Einvernehmen mit dem Gemeinderat festgelegt.‘

Die Hauptsatzung knüpft Veränderungen der Geschäftskreise an die Wahl bzw. Bestellung der Beigeordneten. Hierzu regelt § 22 Abs. 2: ‚Bei der Wahl bzw. Bestellung einer bzw. eines Beigeordneten bleibt eine Veränderung des Geschäftskreises vorbehalten.‘“

Der Kampf ums achte Dezernat

Und auch FDP-Stadtrat Sven Morlok erinnerte sich am 16. April – in lauter schönen Konjunktiven – so, dass der Wechsel des Liegenschaftsamtes ins Ressort Stadtentwicklung und Bau Teil einer Absprache war, mit der Burkhard Jung ein neues, achtes Dezernat schaffen konnte.

Was nach sächsischer Gemeindeordnung so nicht möglich war. Denn danach stehen auch den Großstädten nur sieben Dezernate zu. Damals aber wurde das seinerzeit größte Leipziger Dezernat – Soziales, Jugend und Schule – in zwei eigenständige Dezernate aufgesplittet. Ein Vorgang, der vom Stadtrat durchaus gewollt war, denn in beiden Bereichen gab es (und gibt es) enormen Entwicklungsbedarf.

„Bauernopfer“ war dann irgendwie das Wirtschaftsdezernat, dessen Leitung der Oberbürgermeister dann quasi interimistisch selbst übernahm, bis er bei der sächsischen Staatsregierung erreichte, dass die nun auf 600.000 Einwohner angewachsene Stadt Leipzig acht Dezernate einrichten darf. Dafür bekam er nach zähen Verhandlungen grünes Licht und das Wirtschaftsdezernat bekam mit Clemens Schülke wieder einen eigenständigen Bürgermeister.

So weit, so gut.

Labile Kräftegleichgewichte

Bis Jung dann eben doch befand, dass das Stadtentwicklungsdezernat eigentlich mehr als ausgelastet ist, während eine Rückverlegung des Liegenschaftsamtes in das Wirtschaftsdezernat dieses stärken würde. Ein Begriff, der durchaus andeutet, dass es auch in der Hierarchie der Leipziger Stadtverwaltung um Kräfteausgleich und Machtverteilung geht. Auch wenn Jung bei den Nachfragen am 16. April immer wieder betonte, dies alles sei allein seine Entscheidung.

Die Nachfragen aus der Ratssitzung jedenfalls verstärkten den Eindruck, dass es hier um ein Ringen um Einfluss geht. Denn natürlich werden auch Bürgermeister stärker in den öffentlichen Fokus rücken, wenn sie öfter mit Themen in Zusammenhang gebracht werden, die die Stadt gerade aufregen. Zwei solcher Themen kommen gerade auf die Stadt zu, stellte Jung fest, – und in beiden wird das Liegenschaftsamt eine wichtige Rolle spielen: die Wärmewende und die Olympiabewerbung.

Ach ja: Und die nächste OBM-Wahl rückt näher. Kein Wunder, dass die Emotionen schon am 16. April unerwartet hochkochten. Was für die Mai-Sitzung, wenn die Vorlage des OBM dann zur Beschlussfassung ansteht, eine noch viel heftigere Diskussion erwarten lässt.

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Bisher ist Dienberg hinsichtlich Liegenschaftsamt nicht in Erscheinung getreten. Das galt auch für seinen Vorgänger, dessen krankheitsbedingte Abwesenheit vermutlich niemand bemerkte. Schülke ist als Dezernent bisher nicht in Erscheinung getreten. Möglicherweise arbeitet er nur intern. Die Rückübertragung sichert das achte Dezernat.

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