Es tauchen eine Menge Leute ab, wenn es um die Nachtflüge am Flughafen Leipzig/Halle und die durch nichts begründete Südabkurvung geht. Da freuen sich die Akteure gegen den Fluglärm schon mal, wenn überhaupt mal ein Politiker oder eine Politikerin Farbe bekennt. Auch wenn es dann nicht die gewünschte Meinung ist. Die CDU-Bundestagsabgeordnete Bettina Kudla jedenfalls befürchtet mit dem Verbot der "kurzen Südabkurvung" den Schritt hin zu einem kompletten Nachtflugverbot auch in Leipzig.

Auf eine Anfrage von Abgewordnetenwatch äußerte sich die Leipziger Abgeordnete mit klaren Worten: “Die Petition gegen die so genannte kurze Südabkurvung, die Sie angestrengt haben, war jedoch meines Erachtens nicht der richtige Weg. Dies wäre nur ein erster Schritt hin zu einem kompletten Nachtflugverbot am Flughafen Leipzig/Halle. So weit darf es auf keinen Fall kommen, denn dies würde das Ende des Luftdrehkreuzes Leipzig/Halle als bedeutender Logistikstandort der Region mit vielen tausend Arbeitsplätzen bedeuten.”

Kurz zuvor hatte der Petitionsausschuss des Bundestages eine Petition zur Abschaffung der Südabkurvung abgelehnt. Für die Akteure gegen den Fluglärm im Leipziger Norden war es eine der letzten Möglichkeiten, diese Abkürzung direkt übers Leipziger Stadtgebiet untersagen zu lassen, die in den der Öffentlichkeit präsentierten Planverfahren zur Start- und Landebahn Süd nicht präsentiert worden war. Die Deutsche Flugsicherung hatte sie nachträglich eingeführt – und seitdem scheitert Klage um Klage vor Gericht.

Womöglich genau aus dem Grund, den auch Bettina Kudla anspricht: Wenn Gerichte den Gründen für diese Klagen stattgeben, steht auch die Nachtflugerlaubnis am Flughafen Leipzig/Halle zur Disposition. Sie steht auch deshalb zur Disposition, weil weder Flughafenbetreiber noch Fluggesellschaften auch nur ansatzweise versuchen, Kompromisse zu suchen, die durchaus zu finden sein könnten. Wenn aber Bettina Kudla “tausende Arbeitsplätze” benennt, die verloren gehen könnten, dann ahnt man auch, mit welchen Argumenten eben die Nutznießer der Nachtflugerlaubnis in der Politik antichambrieren.

In der Diskussion auf Abgeordnetenwatch wird Bettina Kudla noch etwas ausführlicher. “Wenn ich mich für die Wirtschaft am Flughafen Leipzig/Halle stark mache, heißt das ja nicht, dass ich mich nur für die Unternehmer einsetze, sondern auch für die vielen tausend Menschen, die durch diese Arbeitsplätze sich und ihre Familie ernähren können. Gerade unsere im Vergleich zum Westen Deutschlands immer noch recht strukturschwache Region ist auf jeden einzelnen Arbeitsplatz angewiesen”, schreibt sie dort.Die Fluglärmgegner beschuldigen sie zwar, für die Ablehnung der Petition direkt verantwortlich zu sein. Aber sie sitzt tatsächlich nicht im Petitionsausschuss, wo die Petition mit der Mehrheit von CDU/CSU und FDP abgelehnt wurde. Nur der Leipziger Bundestagsabgeordnete Dr. Thomas Feist (CDU) spielt dort als Stellvertreter von Dr. Siegfried Kauder eine Rolle.

Die selben Argumente wie Bettina Kudla hat übrigens auch Burkhard Jung (SPD) im jüngsten OBM-Wahlkampf benutzt. “Mit mir wird es kein Nachtflugverbot geben”, sagte er. Und machte damit ziemlich deutlich, wie erpressbar sich Leipziger Politik mittlerweile fühlt. Denn es ist ja nicht nur die Südabkurvung, mit der die Nachtruhe der Leipziger einfach ignoriert wird. Es ist ebenso der Betrieb von schweren Maschinen auch mitten in der Nacht, die auf den meisten anderen europäischen Flughäfen überhaupt keine Start- und Landeerlaubnis haben. Es ist auch die Bahnverteilung. Von einer Gleichverteilung der Starts und Landungen auf beiden Startbahnen kann keine Rede sein. Auch nachts wird vorrangig die stadtnahe Startbahn Süd genutzt.

Entsprechend grimmig war dann auch ein Schreiben des Schriftstellers Gunter Preuß formuliert, mit dem er auf die Antwort von Bettina Kudla auf Abgeordnetenwatch reagierte: “Was wir zurzeit in Deutschland und Europa erleben, ist eine Demokratie, die in allen wesentlichen Bereichen von den Mächtigen und Reichen – Motto: der gute Mann denkt an sich selbst zuerst – diktiert wird. Es ist auch nach der Qualität einer Demokratie zu fragen, die Protest duldet, ihn aber bereits in den Vorzimmern ihrer Institutionen abblitzen lässt. Der Michel kann alles denken und sagen, wenn er nur stillhält und tut, was er von denen, die er in seiner Einfalt aufs hohe Ross gehoben hat, aufgetragen bekommt.

Freud meinte, das erste Anzeichen von Wahnsinn sei der Wegfall von Scham. Nun, so mancher ‘Wahnsinn’ hatte und hat Methode. Wenn dem so ist, wie ich und andere befürchten, die sich über unser gesellschaftliches Wohin Gedanken machen, befinden wir uns hierzulande auf kurzem Weg in den Aberwitz, der eine Oberschicht nur noch mächtiger und das Volk immer ohnmächtiger macht. (Darin sehe ich auch den eigentlichen Grund einer von Schlüsselfiguren in Politik und Wirtschaft manisch betriebenen Globalisierung.)

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Wenn Sie, Frau Kudla, solche Entwicklung allerdings unterstützen, war Ihr Abschmettern der Petition gegen die kurze Südabkurvung nur folgerichtig. Eine Partei zu wählen, die letztlich in aller Konsequenz die Interessen der Oberschicht vertritt – und in der Sie Mitglied und in verantwortlicher Stellung sind -, wäre höchst gefährlich. Es ist zu befürchten, dass man mit solcher Wahl sich die eigene Lebensader abschneidet. Fragen Sie sich selbst und Ihre Parteikollegen endlich einmal, woher der immense Vertrauensverlust der Bürger gegenüber der Politik kommt? Mit der Antwort würde wohl so manches am grünen Tisch konzipierte und mit Geschick in der Praxis platzierte Kartenhaus zusammenbrechen. (Stattdessen geht quer durch die Parteien eine abstoßende Selbstbejublung, wobei jede Niederlage wie ein Sieg beklatscht wird.) Aber vielleicht ließe sich dann etwas aufbauen, das die Prädikate gerecht, wahr und schön verdient. Wenn schon das Ziel nicht zu erreichen ist, sollte doch der Weg erkennbar sein.”

Dass eine komplette Region als erpressbar erscheint, kann nicht wirklich ein Grund dafür sein, nicht einmal Kompromisse zu suchen und zu finden.

Die Diskussion mit Bettina Kudla auf Abgeordnetenwatch findet man hier:
www.abgeordnetenwatch.de/frage-575-37742–f377800.html#q377800

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