Hochwasser ist ein emotionales Thema. Immer geht es dabei um Menschenleben, um materielle Werte. Die aktuelle Bedrohungssituation schweißt zusammen und gibt ungeahnte Reserven frei. Aber dann? Was kommt danach? Der Klimawandel ist längst im Gang. Das hat auch die sächsische Staatsregierung akzeptiert. Die Frage ist nur: Wie passen wir uns ihm an?

Wer sich darüber informieren will, wie das Klima sich in Sachsen ändern wird, findet Informationen dazu auf der Website des Sächsischen Umweltministeriums. Und wer wissen will, warum nun das zweite “Jahrhunderthochwasser” binnen elf Jahren dazu gehört, findet auch das. Eigentlich genügt schon der erste Satz dazu: “In Folge der Erwärmung treten auch in Sachsen gehäuft extreme Wetterereignisse auf.” Und dann listet das zuständige Sächsische Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie auf, welche Extremereignisse in Sachsen in den letzten Jahren registriert wurden:

– das Hochwasser 2002,
– die Dürreperiode 2003,
– der Herbst 2006 als wärmster seit Beginn der Wetteraufzeichnungen,
– der Winter 2006/2007 als wärmster seit Beginn der Wetteraufzeichnungen sowie
– der April 2007 als wärmster und trockenster seit Beginn der Wetteraufzeichnungen.

Das Hochwasser von 2013 wird in dieser Reihe natürlich auch auftauchen. Und vielleicht auch die berechtigte Frage: Hat das genügt, was man seit 2002 an Schutz gebaut hat? – Mancher Ort an der Elbe wird sagen: Es hat genügt. Der erneuerte Deich hat gehalten. Weiter elbabwärts aber haben die Deiche nicht gehalten. Unter anderem auch deshalb, weil diesmal Sachsens Deiche gehalten haben. Was dazu führte, dass der komplette Wasserdruck elbabwärts zog und dort für neue Rekordpegelstände sorgte. Sachsen hat mit Milliardenaufwand dafür gesorgt, dass das Problem einfach elbabwärts verschoben wurde.

Auf der Kabinettspressekonferenz der Sächsischen Staatsregierung wurden am Dienstag, 11. Juni, auch die aktuellen Zahlen zu den umgesetzten Hochwasserschutzmaßnahmen seit der Flut 2002 genannt: “In Sachsen wurden nach dem Augusthochwasser 2002 47 Hochwasserschutzkonzepte erstellt und darin 1.600 teils sehr komplexe Einzelmaßnahmen vorgeschlagen. 351 dieser Maßnahmen wurden als hoch prioritär eingestuft. Von diesen 351 Hochwasserschutzmaßnahmen sind derzeit 80 fertig gestellt, 55 im Bau sowie 216 im Plan- bzw. im Genehmigungsverfahren.

Seit 2002 hat der Freistaat rund 650 Millionen Euro in Hochwasserschutzmaßnahmen investiert. Hinzu kommen noch 900 Millionen Euro für die nachhaltige Schadensbeseitigung an Gewässern 1. und 2. Ordnung.”Aber Vieles davon war eben schlichte technische Aufrüstung nach dem alten Muster. Von den vorgesehenen Deichrückverlegungen, die 2002/2003 mit den Erfahrungen der Flut beschlossen worden waren – immerhin 49 als notwendig erachtete Projekte, mit denen ein Retensionsgebiet für die Flüsse wieder zurückgewonnen hätte werden können in Größe von 7.500 Hektar – wurden nur zwei kleinere Maßnahmen mit zusammen 111 Hektar umgesetzt. Wieviel Millionen Kubikmeter Wasser man auf 7.500 Hektar Überschwemmungsfläche hätte zurückhalten können, ist dann nur noch eine Rechenaufgabe.

Aber wenn dieses Wasser nicht am oberen Flusslauf zurückgehalten werden kann, sorgt es für höhere Fluten am unteren Flusslauf. Auf einmal genügen dort die Deiche nicht mehr und brechen einer nach dem anderen unter dem Druck zusammen. Und selbst wenn sie es nicht tun, drückt das Wasser durch den Untergrund auf die andere Seite der Deiche. Das Drama in Sachsen-Anhalt zeigt sehr anschaulich, was passiert, wenn die Anrainer am Oberlauf ihre Deiche aufgerüstet haben und den Druck nicht aus dem System nehmen.

Natürlich ist das auch ein Thema für Leipzig. Auch Leipzig hat durch die exzessiven Regulierungen in den 1920er und 1930er Jahren einen Teil des wichtigen Überschwemmungsgebiets der Weißen Elster und der Pleiße verbaut. Die meisten Deiche, die am vorletzten Wochenende so heftig verteidigt wurden, schützen nicht Wohngebiet, sondern Auwald. Oder – wie OBM Burkhard Jung nicht einmal verblüfft feststellte – den Cospudener See. Die Burgaue wurde, als Halle verzweifelt schon nach Rettung rief, ohne jede Vorwarnung geflutet und kurzzeitig als Polder missbraucht. Was 10 Millionen Kubikmeter Wasser aus der Weißen Elster band, die sonst die Überschwemmungen in Halle noch verstärkt hätten. Eine Aktion, die überhaupt nicht hätte stattfinden müssen, wenn der Auwald für Überschwemmungen sowieso offen stünde.

Aber die berechtigten Forderungen der Naturschützer – die auch mit dem 2003 für Leipzig entwickelten Hochwasserschutzkonzept korrespondieren – fanden keinen Diskussionspartner. Dabei ist es höchste Zeit zur Diskussion. Nicht nur in Leipzig. Es geht nicht darum, dass OBM Burkhard Jung seine Deichverteidigungswege im Naturschutzgebiet bekommt oder nicht.

Es geht schlicht um Geld.Um die ganz simple Frage: “Was ist uns Klimaschutz wert?” Was auch die Frage impliziert: Was ist uns der Schutz vor den Folgen des Klimawandels wert? Und: Was können wir uns tatsächlich leisten?

Und da wäre man beim Thema Nachhaltigkeit. Denn nur Schutzsysteme, die auch ohne milliardenteuren Aufwand instand gehalten werden, erfüllen künftig und dauerhaft ihre Funktion. Nur zur Erinnerung: Die Folgekosten der Flut von 2002 wurden von der sächsischen Regierung auf 5 bis 6 Milliarden Euro geschätzt. Nur die Schäden. In neue Deichanlagen usw. wurden rund 1,6 Milliarden Euro investiert. Die Hochwassersicherung war damit über zehn Jahre lang das teuerste Investitionsprojekt des Freistaats Sachsen. Und trotzdem schrillten, als die Flut 2013 kam, sämtliche Alarmanlagen, wurden Deiche verteidigt, musste die Bundeswehr ran. Und Leipzig kam noch glimpflich davon. Was auch die Talsperrenverwaltung im Nachhinein bestätigt. 20 Millionen Kubikmeter aus der Weißen Elster wurden in den Zwenkauer See abgeleitet.

Spannend deshalb auch ein Forschungsprojekt an der HTWK Leipzig. Prof. Bodo Sturm beschäftigt sich seit 2011 mit dem Thema – eigentlich vor dem ganz großen Hintergrund: den diversen Weltklimakonferenzen, die allesamt scheiterten, eine nach der anderen, weil die Regierungen nicht bereit sind, vom alten Denken abzurücken, von alten, fossilen Energiestrategien und deren Folgen. Und von den alten, ingenieurtechnischen Rettungsversuchen. Die übrigens an der Elbe genauso versagt haben wie an der Donau.

Und nicht nur international muss die Frage diskutiert werden: Was kostet es? Auch regional. In jeder einzelnen sächsischen Kommune. Welchen Schutz bieten Deiche im Vergleich zu natürlichen Retensionsräumen, wie wertvoll sind offene Auen und funktionierende Wälder als Wasserspeicher? Welche Anlagen sind wirklich nötig im Notfall – und wo kann man schon allein durch das Entsiedeln der Auen dafür sorgen, dass sich Hochwasserlagen gar nicht erst zu Rekordpegeln aufstauen?

Am 1. Oktober 2012 nahm eine weitere Forschungsgruppe unter Leitung von Bodo Sturm ihre Arbeit auf. Sieben junge Nachwuchswissenschaftler beschäftigen sich mit Nachhaltigkeit und Klimawandel aus ökonomischer Sicht. Prof. Bodo Sturm zum Anliegen des Projekts: “Wir untersuchen die Anpassung der Gesellschaft an die Herausforderungen des Klimawandels. Die ureigenste Frage der Wirtschaftswissenschaft nach dem effizienten Einsatz der vorhandenen Mittel wird in der politischen Debatte häufig ausgeblendet – etwa zugunsten von emotionalen Argumenten und gut verkäuflichen Bildern. Aber wir fragen: Wie lassen sich mit Einsatz beschränkter Ressourcen die größtmöglichen Erfolge erzielen?”

Das Projekt mit dem Namen “RegWa – Regionale Anpassung an globalen Wandel” wird für zwei Jahre aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds (ESF) und des Freistaates Sachsen in Höhe von 580.000 Euro gefordert. Und wenn das Projekt wirklich nachhaltig ist, steht danach eine neue Hochwasserschutzstrategie auf der Agenda ganz oben. Auch in Sachsen und Leipzig.

Und Sachsen Schüler werden im Unterricht wieder lernen, wie Flusssysteme und ihre Auen funktionieren.

Informationen auf der Seite des Umweltministeriums: www.umwelt.sachsen.de/umwelt/klima/1285.htm

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