Gleich zwei Fördermittelbescheide gab es am Mittwochmorgen bei den ersten Frostgraden seit Tagen. Das Wasser der Außenmole des künftigen Stadthafens trug eine Eisfläche. Nicht dran zu denken, dass man hier in den nächsten Wochen badet, schippert oder ohne Pelzmütze spazieren geht. Trotzdem priesen vier Männer tapfer ein neues Projekt: ein grenzübergreifendes Tourismuskonzept.

Daher die Platzwahl für die doppelte Scheckübergabe. Obwohl es sich Frank Thäger, Ministerium für Landesentwicklung und Verkehr Sachsen-Anhalt, ein bisschen einfacher machte: Er überreichte Harald Wetzel von der Wirtschaftsförderungsgesellschaft Anhalt-Bitterfeld / Dessau / Wittenberg mbH einfach den Fördermittelbescheid in einer Mappe. 61.000 Euro, mit denen Wetzels Gesellschaft auf Anhaltischer Seite das Projekt in Gang bringen kann. Dr. Ludwig Scharmann, Sächsisches Staatsministerium des Inneren, vollzog den Akt dann klassisch sächsisch: Mit auf großem Karton aufgezogenen Scheck. Die 52.000 Euro hat nun der Grüne Ring Leipzig zur Verfügung, um die sächsische Seite des Ganzen zu koordinieren. Dessen Sprecher ist Heiko Rosenthal, der auch Umweltbürgermeister von Leipzig ist.

Da sitzt er zuweilen zwischen Baum und Borke. Der Ort der Scheckübergabe passt dazu. Hier sollte eigentlich längst schon ein Stadthafen stehen – mit großem Bassin und einem Dutzend Liegeplätzen, Herzstück für den Leipziger Gewässertourismus. “Aber wie Sie sehen, sehen Sie: nichts. Eine große Brache”, schäkert Rosenthal ein wenig. Verspricht aber, nichts weiter dazu zu sagen. Denn der Stadthafen sollte als erstes Großprojekt im Leipziger Gewässernetz mit Privatinvestoren finanziert werden. Die Stadt hatte dazu eine große Werbeaktion gestartet. Das Ergebnis ist die Brache: Privatwirtschaftlich rechnet sich Wassertourismus in Leipzig nur für wenige. Da winken Privatinvestoren bei solchen ehrgeizigen Projekten lieber ab.

So langsam scheint nun das Umdenken auch auf kommunaler und Länderebene in Gang zu kommen. Wenn man die Region voran bringen will, braucht es Zusammenarbeit über die bürokratischen Ländergrenzen hinweg. Das ist in einigen kleineren Projekten auf Landkreisebene schon geschehen. Mit dem “Tourismuswirtschaftlichen Gesamtkonzept für die Gewässerlandschaft im mitteldeutschen Raum” soll die touristische Landschaft zwischen Borna und Dessau, zwischen Wittenberg und Nebra erfasst, analysiert und auf ihre Schwachstellen hin abgeklopft werden.Die durch die Tagebau-Rekultivierungen entstandene mitteldeutsche Gewässerlandschaft soll dabei eher das Rückgrat bilden. Eine Art Grundmuster, das die gesamte Region kennzeichnet und in den letzten 20 Jahren nicht nur im Leipziger Südraum eine faszinierende Seenlandschaft entstehen ließ. Südlich von Halle sind der Geiseltalsee, der Raßnitzer und der Wallendorfer See genauso landschaftsprägend wie die Seenkette, die sich vom Leipziger Norden bis ins Bitterfelder Revier fädelt. Die Frage ist nur: Was macht man draus?

Die erste Antwort, die Konsequenzen hat: Es ist Unfug, in so einem überschaubaren Gebiet überall dasselbe anzubieten. Dann funktioniert kein See und kein Gewässerverbund. Und die Kommunen sind allesamt knapp bei Kasse. Sie müssen ihre Kräfte bündeln und sich auf tatsächlich wirklich sinnvolle Projekte konzentrieren. Also wird einer der ersten Schritte sein, zu analysieren, was es alles schon gibt und was noch fehlt. Und danach muss gemeinsam – auf Augenhöhe der beteiligten Kommunen – geklärt werden, in welche erfolgversprechenden Projekte zielgenau noch investiert werden muss.

Die zweite Antwort bringt eigentlich das Leipziger Neuseenland schon mit, wo man binnen zehn Jahren lernen musste, dass Wassertourismus allein nicht funktioniert in einer Landschaft, in der ein halbes Jahr lang Winter ist. Die Kopfstände um die “internationale” Anbindung der Leipziger Gewässer über den Elster-Saale-Kanal an die Elbe haben L-IZ-Leser ja mitverfolgen können. Aber selbst dieses Gewässer-Konstrukt steht auf wackeligen Füßen. Es sieht nicht wirklich so aus, als könne man nun tausende Wassertouristen mit dem Boot in die Region locken.

Ein Problem übrigens, das man auch in Sachsen-Anhalt kennt. Es gibt zwar haufenweise Gewässer 1. Ordnung, doch die allerwenigsten sind wirklich für den Bootsverkehr freigegeben. Und selbst wo sie es sind, hält sich der Zuspruch in Grenzen.

Jede Analyse der Touristenzahlen zeigt aber auch: Wenn es Gäste aus aller Welt nach Mitteldeutschland zieht, dann kommen sie der touristischen Leuchttürme wegen – angefangen mit Städten wie Leipzig, Halle und Wittenberg. Nicht aufgehört mit Dessau, Merseburg, Naumburg. Und wenn sie sich einen Urlaub zusammenstellen, dann spielen die benachbarten touristischen Attraktionen eine Rolle. Das ist auch im Neuseenland so: Die Region verzeichnet steigende Übernachtungszahlen, weil ihre Gäste immer auch Leipzig mitbuchen. Genau das aber ist die Stärke Mitteldeutschlands – die enge Nachbarschaft von attraktiver Kultur und neuer Erholung am Wasser.

Und das auch noch konsequent grenzüberschreitend. Das wird für alle Beteiligten spätestens am 15. Dezember sichtbar, wenn das Mitteldeutsche S-Bahn-Netz in Betrieb geht und im selben Raum, den das “Tourismuswirtschaftliche Gesamtkonzept für die Gewässerlandschaft im mitteldeutschen Raum” umfasst, die wichtigsten Orte bequem und schnell erreicht werden können.

Ist also noch die Frage: Kann man diesen touristischen Mehrwert auch international vermitteln?

“Durch die gemeinsame strategische länderübergreifende Ausrichtung soll die Chance für eine bessere Wahrnehmung der mitteldeutschen Landschaft im nationalen und im internationalen Kontext erreicht werden”, formuliert Heiko Rosenthal seine Sicht auf die Sache. “Das Tourismuswirtschaftliche Gesamtkonzept für die Gewässerlandschaft im mitteldeutschen Raum soll dazu führen, die in der Region vorhandenen Potentiale und Kapazitäten zu nutzen, die Verweildauer der Gäste zu erhöhen und die Nachfrage zu verstärken.”

Inhalte des “Tourismuswirtschaftlichen Gesamtkonzepts für die Gewässerlandschaft” sind unter anderem die Erarbeitung eines Infrastrukturmasterplanes, die Ermittlung der Bedarfe zur wirtschaftlichen Entwicklung, eine Harmonisierung wassertouristischer Ziele mit anderen Interessen sowie die Analyse und Beurteilung der Wirtschaftlichkeit und Potentiale bestehender und geplanter Infrastrukturprojekte im gesamten Untersuchungsgebiet. Die Analyse aller wichtigen touristischen Angebote soll gleich im Frühjahr 2014 beginnen, erklärt Harald Wetzel, dessen Gesellschaft das Projekt im sachsen-anhaltischen Bereich betreut.

Das Betrachtungsgebiet umfasst den Südosten Sachsen-Anhalts und den Nordwesten von Sachsen, eine Region, die in der Historie immer zusammengehörte, die aber im modernen Bundesländergeflecht im Schatten zu verschwinden droht. Dass hier Tourismus-Potenzial brach liegt, das sieht man in Magdeburg genauso wie in Dresden. Nur mahlen Ämtermühlen langsam. Oder Fördergelder verschwinden klammheimlich. Denn der Grüne Ring Leipzig wollte das Projekt schon 2009 auf die Beine stellen – mit den seinerzeit schon erfolgreich genutzten Fördermitteln des Landes für Regionalförderung – FR-Regio. Doch dumm nur, dass Sachsen den Geldtopf für dieses Förderinstrument just in dem Moment auf Null fuhr, als es für die Regionalförderung am dringendsten gebraucht wurde. Nicht nur im Neuseenland – mittlerweile hat ja selbst die Ministerriege in Dresden gemerkt, dass man in die ländlichen Räume investieren muss, wenn sie nicht völlig von Menschen entleert werden sollen.

Also gibt’s jetzt auch wieder FR-Regio-Mittel. Und das Förderinstrument passt zur Richtlinie zur Förderung der Regionalentwicklung in Sachsen-Anhalt, die man dort just eingeführt hat, als die Sachsen bei sich für zwei Jahre den Geldhahn zudrehten. Man hatte sehr wohl gesehen, wie wertvoll dieses Förderinstrument ist – gerade für die Räume jenseits der Metropolen. Dass nun ausgerechnet das Wasser der verbindende Nenner ist, ist egal. Es gibt zwar einige Flüsse wie Saale, Unstrut, die untere Mulde und Abschnitte der Elster, die ein verbindendes Element sein können, aber hier eine Art Mitteldeutsche Seenschifffahrt zu schaffen, kann keiner wirklich bezahlen.

Bis zum 31. Dezember 2014 sollen nun in vier Phasen die Analyse der Region und Rahmenbedingungen (1), die Bedarfsermittlung (2), die Infrastrukturmaßnahmen/Masterplan (3) sowie Handlungsanleitungen/Marketing (4) erarbeitet werden.

Jetzt kann man gespannt sein, was dabei herauskommt, denn schon der erste Blick auf die Karte zeigt, wie viele touristische Landmarken es in diesem Einzugsgebiet gibt. Ob das mit der großen Klammer “Wasser” zu fassen ist, ist noch eine ganz andere Frage.

Die Projektkarte als PDF zum download.

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