Am Montagabend, 13. April, hatte die Steuerungsgruppe Leipziger Neuseenland eingeladen zum großen Showdown in der Aula der Volkshochschule Leipzig. Drei Jahre Diskussion um die "Charta Leipziger Neuseenland" gehen zu Ende. Und über 100 Gäste wollten jetzt gern wissen: Was ist dabei eigentlich herausgekommen?

Wer eine völlig neue Charta erwartet hatte (unter den Gästen am Montag augenscheinlich niemand), der wäre enttäuscht gewesen. Natürlich wurde in diesem dreijährigen Diskussionsprozess nicht alles über den Haufen geworfen. Im Gegenteil: Schon der Eröffnungs-Workshop am 6. Februar 2014 hatte ja gezeigt, dass selbst die kritischsten Köpfe über einige Thesen der Charta gar nicht streiten wollen. Die beschreiben ja nichts anderes als das Selbstverständnis und die jahrelang bedienten Erwartungen einer ganzen Region. Was übrigens die drei Bürgerbefragungen, deren Ergebnisse am Montag auch vorgestellt wurden, bestätigten.

Dass über die Charta und die einzelnen Vorhaben der Kommunen, die sich in der Steuerungsgruppe Neuseenland zusammen getan haben, überhaupt öffentlich und zuweilen auch heftig diskutiert wird, hat ja damit zu tun, dass man eigentlich von den schriftlich fixierten Zielen her dasselbe will. “Gewässer im Einklang mit Mensch und Natur entwickeln!” Da schreibt auch die Steuerungsgruppe ein fettes Ausrufezeichen dahinter, genauso wie hinter “bewahrte Naturlandschaften”, “Freizeitmöglichkeiten für Alle” oder eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung. Auch bei der Bevorzugung des sanften Tourismus gegenüber dem Motorboottourismus ist man sich einig. Und streitet sich doch.

Gerade, weil sich auch die Steuerungsgruppe an ihren Verlautbarungen messen lassen muss. Und mit der Charta will sie jetzt sogar ein Leitbild festlegen, das auch von den beiden Kreistagen in Nordsachsen, dem Landkreis Leipzig und vom Stadtrat Leipzig verabschiedet werden soll. Das Papier, das jetzt drei Jahre diskutiert wurde, soll also eine Art verbindlicher Beschluss werden.

Räumt er alle Widersprüche aus?

Nein. Das Fazit kann man von der Vorstellungsrunde am Montagabend durchaus mitnehmen. Das wird schon deutlich, wenn über den Begriff “sanfter Tourismus” diskutiert wird. Immerhin ein zentraler Diskussionspunkt, wenn es um die Nutzung der Gewässer im Neuseenland geht – mit Motorbooten? Ohne? Mit Verbrennungsmotor oder ohne?

In der Bürgerbefragung (die in Leipzig per Fragebogen erfolgte und in den Landkreisen per Telefon), stand der “sanfte Tourismus” nicht nur in Konkurrenz zum “intensiven Tourismus” (keine Einschränkungen), sondern auch zu naturbelassener und zu naturnaher Gewässerentwicklung.

Ein bisschen schalkhaft ging man in der Bürgerbefragung dann freilich vor: Man fragte nicht nach dem gesamten Neuseenland, als es um sanften versus intensiven (Wasser-)Tourismus ging, sondern fragte die Entwicklungswünsche zu einzelnen Gewässern ab. Da wurde dann sehr deutlich, dass die Neuseenländer einige Gewässer deutlich naturbelassener sehen möchten als andere.

Aber man kann auch die Summe ziehen, die für alle, wirklich alle abgefragten Gewässer eine Bevorzugung entweder von naturnaher Entwicklung oder sanftem Wassertourismus sieht.

Leipzigs Statistiker haben freilich auch vorgegeben, dass die befragten Bürger immer nur ein Kreuz machen durften pro Gewässer. Wer eigentlich eine naturnahe Entwicklung mit sanftem Wassertourismus etwa an der Pleiße wünscht – wo sollte der sein Kreuz machen?

Das Ergebnis in Bezug auf den “intensiven Tourismus” ist trotzdem klar: Dessen Befürworter waren an allen, wirklich allen Gewässern in der Minderheit.

Aber genau das wird Thema für heftige Diskussionen werden. Das ist jetzt schon sicher. Denn was bleibt als “intensiver Tourismus” übrig, wenn der “sanfte Tourismus” schon “ökologisch verträgliche wassersportliche bzw. touristische Nutzung, Boote ohne Motor, elektromotorbetriebene Boote, Fahrgastschiffahrt etc.” umfasst? Haben die Bürger, die hier ihr Kreuzchen machten, alle Boote (und sonstigen Fahrzeuge) mit Verbrennungsmotor ausgeschlossen, oder nicht?

Und wie reagiert nun die Steuerungsgruppe, da ja nun alle Bürgerworkshops und alle drei Bürgerbefragungen den Wunsch bekräftigt haben, wenn es denn eine Motorbootentwicklung im Neuseenland gibt, dann bitte mit Elektrobooten?

Immerhin wurde die Frage nach der E-Mobilität extra gestellt (die nach privaten Booten mit Verbrennungsmotor leider nicht). Und Dr. Gerhard Gey, Landrat des Landkreises Leipzig und Sprecher der Steuerungsgruppe, betonte am Montag noch einmal, dass man “sich der Entwicklung nicht in den Weg stellen könne” und Boote mit Verbrennungsmotor zulassen müsse. “Wir sind mit der Elektromobilität einfach noch nicht so weit”, sagte er.

Was natürlich die Frage aufwirft: Kann eine strikte Eingrenzung auf E-Mobilität nicht genau dazu führen, dass das Leipziger Neuseenland hier zum Vorzeigeprojekt wird? Und die Entwicklung von ganz allein nachzieht? Immerhin ein Punkt, der bei den Bürgern auch mit dem Wunsch nach einem ruhigen Neuseenland verbunden ist.

Es wird nicht das einzige Thema sein, das weiter für Zündstoff sorgt. Ein anderes wird eine der deutlich umformulierten Thesen in der “Charta” sein, so vorgeschlagen vom Ökolöwen Leipzig: “Das mobile Neuseenland”. Hier ist jetzt noch einmal der Wunsch der Bürger neu festgelegt: “Der Ausbau der Elektromobilität zu Wasser und zu Land ist erklärtes Ziel.”

Für Dr. Gerhard Gey ein Arbeitsziel in der Zukunft. Für viele Bürger im Neuseenland ganz bestimmt der Wunsch, dass es jetzt passiert. Von Anfang an. Denn wenn die spritgetriebenen Boote erst mal unterwegs sind – wer will sie eigentlich wieder zurückdrängen?

Und der Ökolöwe hatte angemahnt, was tatsächlich bis heute nicht funktioniert: einen sinnvollen Ausbau des ÖPNV im Neuseenland. Da musste auch Gerhard Gey zugeben, dass es damit nicht weit her ist. Viele Seen sind mit dem ÖPNV nicht sinnvoll zu erreichen.

Zwei Thesen sind in der neuformulierten Charta völlig neu. Das eine ist “Das kulturelle Neuseenland”. Hier wird vor allem der Wunsch der Landkreise nach einer besseren Einbindung kultureller Veranstaltungen ins Neuseenland lesbar. Und neu ist auch “Das kommunizierende Neuseenland”. Denn die Workshops hatten auch gezeigt, dass die meisten Bürger der Region nirgendwo alle für sie wichtigen Informationen zur Gewässerlandschaft finden, die sie suchen – und über aktuelle Entwicklungen nur verstreut berichtet wird.

In viele Thesen wurden die Änderungen textlich eingearbeitet.

Der Charta-Entwurf geht jetzt zur Abstimmung in die beiden Kreistage und den Leipziger Stadtrat, wenn sie dort beschlossen sind, können die beiden Landräte und Leipzigs OBM Burkhard Jung ihre Unterschrift drunter setzen. Das soll am 26. Mai auf dem Schiff MS Markkleeberg auf dem Markkleeberger See passieren.

Wenn alles fertig ist, geht die Charta online – plus einem Bürgerkatalog, der alle Themen auflistet, die im Rahmen der Charta-Diskussion nicht geklärt werden konnten. Und da sind einige Kawenzmänner dabei – die Schiffbarkeit im Neuseenland zum Beispiel, das Thema Leistungssport versus Freizeitsport oder das Thema Bauen am Wasser, ein Thema, das auch in den Bürgerbefragungen auftauchte.

Welche Ergebnisse die Bürgerumfragen tatsächlich gebracht haben, damit beschäftigen wir uns morgen an dieser Stelle.

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