Sie hatten es in der Hand, die Leipziger Stadträte. Am 20. Mai hätten sie ein Zeichen setzen können. Da stand in der Leipziger Ratsversammlung die "Charta Leipziger Neuseenland 2030" zur Abstimmung. Und zwei Redner hatten am Mikro den Mumm, deutlich zu erklären, warum dem Papier eigentlich nicht zugestimmt werden konnte. Und dann stimmten sie doch zu.

Vielleicht wollten die Stadträte von SPD und Grünen nicht im selben Topf landen wie die AfD, die am 20. Mai gegen die “Charta” stimmte. Kann sein. Aber sowohl SPD-Fraktionsvorsitzender Axel Dyck als auch Grünen-Fraktionsvorsitzender Norman Volger nannten mehrere Gründe, warum der Leipziger Stadtrat der “Charta” eigentlich nicht hätte zustimmen dürfen.

Axel Dyck  ging gleich mal ans Eingemachte, als er sagte: “Für mich steht fest, wir begeben uns in vielen Dingen in einen immer kleinteiligeren Regulierungsanspruch, um auch ja den letzten vermeintlich Betroffenen und Interessierten ausgleichend zu bedenken. Anstatt, dass wir uns mit den grundsätzlichen Entwicklungszielen beschäftigen und dabei auch die demokratisch legitimierte Verantwortung übernehmen. So durchzieht auch die Charta in ihrer teils romantisierenden Sprache der Wunsch, allen alles Recht zu machen. Das wird nicht gut gehen und das kann scheitern.”

Für ihn stand fest, dass alle wesentlichen Entscheidungen schon in den 1990er Jahren getroffen wurden – ohne demokratische Legitimation: “Die mutigen Entscheider der 1990er Jahre, auch hier in der Stadt, haben oft Tatsachen geschaffen und zwar ohne die heutigen Planungs- und Beteiligungsprozesse.”

Aber das ist nicht die Krux, denn die “Charta” soll ja so eine Art Rahmen für künftige Entscheidungen auf politischer Ebene schaffen.

Dumm nur, dass im Charta-Text selbst alle wesentlichen Konfliktpunkte, die bis jetzt nicht geklärt sind, ausgespart wurden. Axel Dyck: “Es wäre deshalb besser gewesen, uns Stadträten, anstelle der aus meiner Sicht wertlosen Umsetzungstabelle in der Anlage 3, einige Konfliktpunkte erläuternd voranzustellen: Wer weiß denn schon hier im Saal, dass auf fast allen Seen und deren Umland auf Jahre hin noch das übergeordnete Recht des Bundesberggesetzes liegt? Oder, dass einige Seen bereits privatisiert sind. Der Hainer See bei Espenhain und der Goitzsche See bei Bitterfeld. Übrigens alles bei einem Eigentümer, der Blauwasser GmbH des Merckle-Pharmakonzerns. Aus meiner Sicht ein Skandal.”

Und: “Alle Seen und deren Umfeld sind mit hunderten Millionen öffentlichen Geldern gestaltet worden. Und nur wegen der fehlenden finanziellen kommunalen Ressourcen wird das Zukunftspotential privatisiert.”

Und er sprach dann eigentlich sehr klar aus, warum die SPD-Fraktion eigentlich geschlossen mit “Nein” hätte stimmen müssen: “Und welche Fragen werden in der Leipziger Öffentlichkeit diskutiert: Ob die Grüne Keiljungfer an der Stromschnelle in der Pleiße ungebührend gestört wird? Sollte das wirklich unsere Blickrichtung sein? Oder sind die Konflikte, wie gesagt, nicht ganz woanders? Natürlich versucht die Charta genau diesen Konflikt zu lösen, sie spricht ihn nur nicht aus.”

Aber vielleicht wollte man Oberbürgermeister Burkhard Jung die Party am Dienstag, 26. Mai, auf dem Markkleeberger See nicht verderben.

So ungefähr sah es auch Norman Volger, der sich darüber ärgerte, dass das Papier wieder im Affenzahn durch den Stadtrat geprügelt wurde: “Wir haben es bei der Charta mit einem 3-jährigen Bürgerbeteiligungsprozess zu tun. Nach diesen drei Jahren bekommen wir als Stadtrat genau vier Wochen Zeit, das Ergebnis dieses Prozesses zu bewerten, zu diskutieren und abzustimmen. Und warum? Weil zwei Landräte und Sie, Herr Oberbürgermeister, den Terminkalender gezückt haben und einen Termin festgelegt haben, an dem unterzeichnet werden soll. Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, ich bitte Sie in Zukunft bei Ihrer Terminfindung nicht nur danach zu schauen, wann es terminlich passt, sondern auch ob der Termin im zeitlichen Ablauf sinnvoll ist.”

Aber mit dem Inhalt des Papiers war er auch nicht so recht zufrieden. “Zum anderen ist eben nicht geklärt, welche der 9 Thesen der Charta auf welchen Wasserwegen und welchen Seen Anwendung findet. Das mag nur am Rande ein Leipziger Problem sein. Was man aber aus dem Umland hört, lässt nichts Gutes vermuten und ist die größte Schwäche der Charta. Es ist eben nicht geklärt, an welchem See touristische Entwicklung stattfindet und wo der Natur Raum gelassen wird. Und das Hauen und Stechen der Bürgermeister aus den Umlandkommunen, um ein möglichst großes Stück vom touristischen Kuchen hat schon begonnen.”

Und dieses Hauen und Stechen wird sich in den nächsten Jahren zuspitzen. Beginnend schon am Zwenkauer See, an dem auch Leipzig ein Stückchen Wasserkante besitzt. Zwenkau setzt auf eifrige Motorisierung des Sees – zwei große Motorbootanbieter sind schon ansässig am Hafen. Aber das stimmt nicht mit den Strategien am Cospudener und am Markkleeberger See überein. Mal ganz zu schweigen davon, dass auch Leipzig keine wirklich greifbare Strategie beim Umgang mit Motorbooten hat. Ein Grund übrigens, warum die Verfasser der Charta auch diesen Konfliktpunkt aus dem Text völlig herausgenommen haben.

“Ich könnte jetzt viel zu den Stärken und Schwächen der Charta sagen, zu methodischen Ungenauigkeiten, nichtgeklärten Konflikten, Unverbindlichkeiten und Auslassungen”, sagte Volger. Aber dann stimmten auch die Grünen der “Charta” zu, um dem OBM die Party nicht zu vermasseln. Axel Dyck wünscht sich, dass “die Charta immer oben auf dem Planungstisch der politischen Entscheider” liegen möge.

Vielleicht wird er sich wundern, denn die schöne “Leitplanke” wird ganz schnell offenbaren, dass sie in der Praxis nicht weiterhilft. Denn es gilt genau das, was Norman Volger gesagt hat: “Zum anderen ist eben nicht geklärt, welche der 9 Thesen der Charta auf welchen Wasserweg und welchen See Anwendung findet. Das mag nur am Rande ein Leipziger Problem sein. Was man aber aus dem Umland hört lässt nichts Gutes vermuten und ist die größte Schwäche der Charta.”

Und genau das, was nicht geklärt ist, steht nicht drin.

Die Rede von Axel Dyck.

Die Rede von Norman Volger.

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So sieht Demokratie also jetzt aus, 26 Jahre nach der Wende “stimmt man zu, um dem OBM die Party nicht zu verderben”: was ist DAS denn für eine Begründung? Einen OBM der so mit seinem Stadtrat verfährt, kann man die Party gar nicht deutlich genug verderben. Wofür, glauben Herr Vogler und Herr Dyck samt ihren Parteifreunden eigentlich, dass Sie gewählt worden sind – ach ja, um dem OBM die Party nicht zu verderben. Das hätte die DDR-Führung nicht besser hinbekommen. Danke, lieber Stadtrat!

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