Das eine tun und das andere nicht lassen. So ungefähr kann man die bisherige Politik des Landkreises Leipzig im Leipziger Neuseenland bezeichnen. Eifrig trommelte man für die Bürgerbeteiligung an der "Charta Leipziger Neuseenland 2030", macht drei Bürgerbefragungen, die alle drei klarmachten: Die Mehrheit will ein sanftes Neuseenland. Aber dann gab der scheidende Landrat Dr. Gerhard Gey (CDU) der Stadt Zwenkau doch freie Fahrt für 320 Motorboote.

Hört sich viel an, ist auch viel. Erst recht, wenn dazu die falsche Begleitmusik gespielt wird. Wie am 10. Juni in der LVZ, die die Mitarbeiter des Leipziger Ökolöwen kurzerhand zu “selbst ernannten Leipziger Umweltschützern” erklärte. Der Ökolöwe ist einer der anerkannten Umweltschutzvereine in Leipzig – er muss sogar gehört werden, wenn es um Großprojekte wie die Schiffbarkeit auf den Seen im Neuseenland geht. Und er hat auch das gesetzliche Recht, Widerspruch einzulegen, wenn ein Landkreis eine Mastergenehmigung für 320 Motorboote am Zwenkauer See erteilt. Mitten im laufenden Verfahren zur Schiffbarkeit.

„Kurios“, findet Anja Werner vom Ökolöwen den Vorgang. Denn niemand war gezwungen, so eine Mastergenehmigung auszuteilen. Denn nach wie vor gilt auch am Zwenkauer See, was auch am Cospudener See gilt: Jedes einzelne Motorboot kann per Ausnahmeantrag vom Landratsamt eine Genehmigung zur Fahrt auf dem Zwenkauer See bekommen. Die Segelschule, die die LVZ anführt, als würde sie ohne Mastergenehmigung gar nicht segeln dürfen, sei schlicht das falsche Beispiel, stellt der Ökolöwe fest.

Die Segelschule bräuchte sich eigentlich keine Sorgen machen, so Werner: „Es ist seit Jahren üblich, dass sich Betreiber Ausnahmeanträge beim Landratsamt genehmigen lassen, um so beispielsweise die Fahrt von Sicherungsbooten zu gewährleisten. Das war bisher ein guter Mechanismus. Die pauschale Freifahrt für alle Sportboote per Mastergenehmigung ist hingegen unverständlich. Sie erschließt sich wohl über die Aussage der Kommunen und Investoren auf der Beach & Boat Messe im Februar: Das Neuseenland soll ein Eldorado für die Rennboote-Szene werden. Nur ob sich Badegäste darüber freuen, ist in Anbetracht der Umfrageergebnisse zu bezweifeln.“

Über die Aussagen von Landrat Gerhard Gey zeigt sie sich besonders enttäuscht. Dieser hatte gemeint, man habe alles versucht, um einen gemeinsamen Nenner zu finden. Im LVZ-Zitat klingt es sogar noch schärfer: “Den Widerspruch jetzt könne er nur so interpretieren, dass dies nicht gewollt ist. Allein die Tatsache, dass der Ökolöwe erst Widerspruch einlegt und dann Akteneinsicht fordert und nicht andersherum, beweise doch, dass hier der zweite Schritt vor dem ersten getan worden sei, sagte er. Er sei tief enttäuscht, so Gey. ‘Der Wille zu einem Konsens ist offenbar nicht vorhanden.’“

Anja Werner: „Von der Mastergenehmigung erfuhr der Ökolöwe erst aus der Zeitung.”

So herum wird ein Schuh daraus. Aber das passiert zum Lavieren im Neuseenland. Eine Aufmotorisierung auf dem Zwenkauer See war so nie geplant gewesen. Auch wenn die Segler auf dem See jetzt 75 Genehmigungen für ihre Begleitboote und die eigenen Hilfsmotoren an Bord brauchen. Ähnliche Entwicklungen hat es ja auch am Cospudener See gegeben, wo allein der Landkreis 155 Genehmigungen ausgereicht hat – vor allem für die Segelboote. Doch die fahren nicht die ganze Zeit mit Motor, sondern nutzen ihn meist nur, um aus dem Hafen zu fahren und wieder herein. Dass dabei die Wasserqualität auf dem See nicht wirklich gefährdet wird, ist selbst den Badenden einsichtig. Und die Wasserqualität auf dem See ist noch gut, so meldet es auch die LVZ.

Aber gerade am Zwenkauer und am Störmthaler See gibt es starke Interessen, diese Seen zusätzlich auch für Motorboote in größerer Zahl zu öffnen. Anders ist die Mastergenehmigung nicht zu interpretieren. Und auch deshalb hat der Ökolöwe Akteneinsicht beantragt. Denn wer so viele Motorbootgenehmigungen braucht, ist durchaus eine wichtige Frage. Da hilft die Enttäuschung des scheidenden Landrates wirklich nicht weiter. Der Vorgang sieht intransparent aus. Und er ist es bislang auch.

Denn parallel läuft weiter die Untersuchung der Landesdirektion zur Schiffbarkeitserklärung der Seen, der der Landkreis sogar noch mit Bauchschmerzen entgegen sieht, denn völlig ungeklärt ist bis heute die Frage, wer haftbar gemacht wird und zahlen muss, wenn es dann zu größeren Schäden im Seenverbund kommt. Die Anrainerkommunen sind dazu nicht in der Lage – treiben aber die Motorisierung voran, als hätten sie das Geld in der Tasche. Und sie versuchen – wie Zwenkau – Tatsachen zu schaffen, noch bevor die Landesdirektion die Bedingungen für die Schiffbarkeit erklärt hat. Und das kann noch dauern, denn auch die Naturschutzverbände haben klar gemacht, dass die Schutzgebiete, wie sie bei der Seenkonzeption geplant wurden, auch als solche zu verankern sind. Auch im Sinne der Mehrheit der Neuseenländer, die sich gegen die intensive Bespielung der Seen geäußert haben.

“Die Bürger des Landkreises Leipzig verdienen eine Mitsprache bei der touristischen Erschließung ihrer Seen. Die Umfrage des Amtes für Statistik und Wahlen von 2014 ergab den Wunsch der Bürger nach Ruhe und intakter Natur. Deshalb hatte Gey ihnen bisher die Zulassung nur von Elektrobooten zugesichert. Sein aktuelles Handeln stellt einen massiven Vertrauensbruch dar”, stellt Anja Werner deshalb fest. Und erinnert an das eigentliche Verfahren, das mit der Mastergenehmigung einfach ausgehebelt werden sollte. “Normal wäre eine demokratische Beteiligung aller Akteure, die ein Interesse am See haben. Das geschieht im Schiffbarkeitsverfahren der Landesdirektion. Da es dort von vielen Beteiligten Hinweise zu notwendigen Prüfungen gab, dauert das Verfahren an. Der Weg über die Mastergenehmigung ist eine Abkürzung, die das demokratische Prinzip umgeht und zum Ziel hat, schnellstmöglich aus dem See Profit zu schlagen. Sie zeigt mangelnden Respekt den Bürgern gegenüber. Wir mussten im Interesse der Naherholungssuchenden und des Naturschutzes den einzigen uns bei diesem Verfahren möglichen Weg gehen, um überhaupt Einsicht in die Unterlagen zu erhalten.“

Gey versteifte sich in der LVZ-Auskunft auf die Gewässergüte. Aber darum geht es ja nicht allein, wenn um Motorisierung im Neuseenland gestritten wird. Es geht auch um Lärmbelastung, Verdrängung anderer Nutzungen, Gefährdung geschützter Areale und das Unterlaufen eines Konsenses, den man eigentlich mit dem Charta-Prozess gerade geschaffen hat. Es ist der Landkreis selbst, der sich nach so einem Beteiligungsprozess unglaubwürdig macht und den Konsens aufgekündigt hat.

„Mit den Seen muss behutsam umgegangen werden, damit sie auch in Zukunft für alle Leipziger attraktiv sein können“, erzählt Anja Werner und benennt damit ein Thema, das viele Beteiligte am Charta-Prozess bewegt hat und warum sie auch bereit waren, sich intensiv an einer Konsensfindung zu beteiligen. Aber sie hätten wohl hellhörig werden sollen, als die Verfasser der Charta bekanntgaben, dass man alle strittigen Themen aus der Charta herausgehalten habe – und dazu gehört auch das Thema Motorboote versus sanfter Tourismus. Und dass jetzt so ausnahmslos mit der Gewässergüte des Cospudener Sees argumentiert wir, überrascht Anja Werner einigermaßen: “Das Monitoring zur Gewässergüte des Cospudener Sees kann zu diesem Zeitpunkt noch gar keine eindeutige Aussage treffen: Die Zulassung der Motorboote geschah auch dort erst vor kurzem, sodass in der jungen Saison noch keine Verschlechterung nachweisbar sein kann.“

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Es gibt 4 Kommentare

Sie wissen sicher selbst aus Erfahrung, dass ein bisschen Einarbeiten in diese Rechtsmaterie nicht hinreicht.

Deshalb frage ich Sie ja, weil ich Sie bei solchen Sachverhalten als Experten einschätze und insbesondere, weil Sie sich in Ihrer Aussage (“rechtlich nicht rückgängig gemacht werden kann”) so selbstsicher äußern, während im Stadtrat noch Anträge zur Abklärung dieses (durchaus bemerkenswerten) Themas gestellt werden.

Warum soll der illegale Betrieb des Seniorenwohnheims rechtlich nicht rückgängig gemacht werden können? Welches Recht steht dem entgegen?

Um das zu verstehen, müssen Sie sich schon etwas mit gesetzlichen Regelungen bzw. dem Verwaltungsrecht befassen, Allein mit Theorie und (scheinbar) klugen Darlegungen ist da nichts zu holen. Absolut nichts! Siehe Zwenkauer See, Seniorenwohnanlage Paunsdorf, u.sw. u.s.w.

Ach ja, Klaus, wären Sie doch immer so sachlich gewesen.

Dass Sie meine Kommentare als nicht sachlich sehen, war schon immer nur Ihr Problem; begründet haben Sie Ihr Urteil so gut wie nie und lieferten stattdessen ordenliche Tiraden gegen mich ab, die man gut und gerne als durchgehend unsachlich bezeichnen kann.

Das mit den Blinden in den kommunalen Verwaltungen ist übrigens nicht von mir – nicht, dass jemand etwas anderes denkt.

Warum soll der illegale Betrieb des Seniorenwohnheims rechtlich nicht rückgängig gemacht werden können? Welches Recht steht dem entgegen? Oder meinen Sie eine Heilung? Unter welchen Voraussetzungen sollte das möglich sein?

Ach ja, Ihr Wortschatz wieder mal:
Wer ist denn diese “Masse”, die so “leichtgläubig” ist?
Eine solche Wortwahl lässt einen in Ihr Denken schon tief blicken…

Hallo Olaf, am 05. Juni habe sie mich belehrt, dass eine solche Genehmigung rechtswidrig wäre. Das ist keine Kritik an ihren Kommentar, der , im Gegensatz zum Besserwisser Stefan, durchaus sachlich formuliert war. Ich möchte hier nur zum Ausdruck bringen, dass man mit Interpretationen von gesetzlichen Regelungen etwas vorsichtiger umgehen sollte. Das trifft auch auf Vorurteile gegen Verwaltungen zu, wo ja nicht nur Blinde arbeiten, wie manche Kommentatoren glauben zu wissen.

Es ist besonders wichtig, seine eigene Ansicht über die Thematik nicht mit in die gesetzlichen Regelungen hinein transferieren zu wollen. Das geht sehr oft schief. Oftmals glaubt dann noch die Masse, dass derartige falsche Auslegungen richtig sind und schließt sich diesen falschen Auslegungen an. Die Leichtgläubigkeit kennt in Deutschland keine Grenzen.

Das kann sogar so weit führen, dass gesetzliche Regelungen in den Diskussionen keine Rolle spielen. Aktuell auf das Feinste in Leipzig an der Problematik “Seniorenwohnanlage Paunsdorf” erkennbar, wo deren illegaler Betrieb rechtlich nicht rückgängig gemacht werden kann.

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