Man muss die Minister ja nur fragen. Ein bisschen dran bleiben am Thema und sich vom ewigen Herbeten der berauschend gut durchdachten Polizeireform 2020 nicht einlullen zu lassen. Ein Personalkonzept für die Polizei hat auch Innenminister Markus Ulbig (CDU) bis heute nicht vorgelegt. Erste Folge: Die ersten Wachen können nur noch mit Notbesatzung agieren.

Nachgefragt hat – mit 19 einzelnen Kleinen Anfragen – Eva Jähnigen, innenpolitische Sprecherin der Landtagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen. Die Zahlen, die ihr der Innenminister geben musste, belegen schon jetzt einen schleichenden Rückzug der Polizei aus dem ländlichen Raum. Noch vor der Umsetzung des Reformkonzeptes der Staatsregierung “Polizei.Sachsen.2020”, das weitere Kürzungen bei der Polizei vorsieht, sind manche Polizeiposten auf dem Land bereits heute lückenhaft besetzt.

Für die Polizeiposten Wermsdorf, Beilrode, Belgern, Dahlen und Mügeln zum Beispiel sind derzeit insgesamt drei Polizeibeamte im Einsatz. “Drei Beamte für fünf Standorte – das führt natürlich zu Engpässen”, erklärt Jähnigen. “Und so blieb der Polizeiposten in Mügeln auch im September und Dezember 2011 schon mal unbesetzt. Auch feste Öffnungszeiten wie noch im Jahr 2011 kann der Polizeiposten Mügeln nicht mehr anbieten.”

In den Kleinen Anfragen 5/8456 bis 5/8474 wurden die Polizeipräsenz und Interventionszeiten in 19 Polizeirevieren und -posten an zwei beliebig ausgewählten Tagen – dem 19. September 2011, einem Montag, und dem 17. Dezember 2011, einem Sonnabend, – erfragt. Mitgeteilt wurden insgesamt 24 Fälle mit Gefahr für Leib und Leben. Die kürzeste Interventionszeit hatte die Polizei am 17. Dezember 2011 in Coswig bei einem Fall von Körperverletzung (Drs 5/8469). Am längsten brauchte sie in einem anderen Fall von Körperverletzung am 17. Dezember 2011 in Kamenz (Drs 5/8468). Hier waren die Beamten erst 1 Stunde und 5 Minuten nach der Meldung vor Ort.

“Die Polizei zeigt bereits heute im ländlichen Raum teils lückenhaft Präsenz. Das wird sich durch die Polizeireform noch verschlimmern. Der Personalbestand bei der Polizei in Sachsen muss sich an festen Interventionszeiten bei Gefahr für Leib und Leben orientieren, ansonsten laufen wir Gefahr, dass noch funktionierende Polizeistrukturen dem Kostenargument geopfert werden”, fordert Jähnigen.

Was schon bei der jetzigen Personalstärke sogar schon im sächsischen Durchschnitt heißt, dass der “Freund und Helfer” wohl in der Mehrzahl der Fälle zu spät kommt. Jähnigen: “Die sächsische Polizei benötigt durchschnittlich 17 Minuten, um bei Gefahr für Leib und Leben vor Ort zu sein. Wenn der Rettungsdienst zu einer Schlägerei gerufen wird, müsste er, wenn er innerhalb der Hilfsfrist von 12 Minuten bei einem Verletzten ist, also weitere fünf Minuten auf die Polizei warten. Zeit, in der der behandelnde Sanitäter möglicherweise nicht behandeln kann oder gar selbst in Gefahr gerät.”Den sächsischen Polizeidirektionen sind derzeit insgesamt 71 Polizeireviere unterstellt. Die Polizeireviere wiederum unterhalten sogenannte Polizeiposten. Insgesamt gibt es zur Zeit 85 Polizeiposten. Weitere 31 Polizeireviere sollen laut Polizeireformkonzept zu Polizeiposten umgewandelt werden.

Abgefragt hat sie auch das Polizeirevier Leipzig-Südwest. Das ist das Revier in der Richard-Lehmann-Straße 19 zwischen Südvorstadt und Connewitz. Die Ist-Dienststärke beträgt in diesem großstädtischen Revier immerhin 126 Beamtinnen und Beamte, 66 taten am 19. September Dienst und rückten in unterschiedlichster Mannschaftsstärke (2 bis 6 Beamte) zu immerhin 20 Ereignissen aus. Aber da sie auch für den Leipziger Südwesten zuständig sind, brauchen sie zu einem Verkehrsunfall in Großzschocher früh halb Sechs auch schon mal 21 Minuten. Zu einem Fall von Belästigung, um 21.04 Uhr gemeldet, waren sie um 21.26 Uhr vor Ort.

Am 17. Dezember waren augenscheinlich schon etliche Beamte im Weihnachtsurlaub, die Wache war nur noch mit 40 Beamten und Beamtinnen besetzt. Der Tag begann um 0.04 Uhr mit einer Brandmeldung aus der Südvorstadt – 4 Minuten später waren 14 Beamte vor Ort. Bei einem Verkehrsunfall in der Mittagsstunde brauchten sie dann schon eine halbe Stunde. Dafür waren sie zum Tagesausklang um 23.43 Uhr richtig fix unterwegs und zu einem Fall von Körperverletzung in Connewitz mit 23 Polizisten vor Ort.

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Aber das ist eben doch eine großstädtische Wache. Das Problem akuten Personalmangels macht sich zuerst in ländlichen Regionen bemerkbar. Und in teilweise immer längeren Interventionszeiten.

Aufschlussreich sind da schon die des Polizeireviers Markkleeberg, das normalerweise mit 99 Polizisten besetzt ist. Am 19. September waren 47 im Dienst. Die Anfahrtzeiten zu diversen Verkehrsunfällen waren durchaus unterschiedlich. Zu einem Unfall um 9.37 Uhr in Markkleeberg waren zwei Beamte erst um 10.30 Uhr vor Ort.

Auch wenn es deutlich weniger Einsätze gab als in Leipzig-Südwest, am 19. Dezember zum Beispiel nur sechs, können die Einsatzzeiten über Wohl und Wehe der Betroffenen vor Ort entscheiden. Am 17. Dezember waren freilich auch nur 25 Beamte im Dienst.

Grüner Antrag “Interventionszeiten bei der sächsischen Polizei” (Drs. 5/5053)

Grünen-Meldung zur Auswertung der Interventionszeiten vom Oktober 2011 (http://www.gruene-fraktion-sachsen.de/presse/mitteilungen/pm/artikel/pm-2011-299-innenminister-mus.html?no_cache=1&cHash=35489c6311fae1608be1f227ca57d176)

“Polizeipräsenz und Interventionszeiten im PR Leipzig-Südwest” (Drs. 5/8462)

“Polizeipräsenz und Interventionszeiten im PR Markleeberg” (Drs. 5/8465)

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