Es ist, als wäre der Freistaat Sachsen zehn Jahre lang einfach in Amnesie verfallen beim Thema "Terror von Rechts". Diesen Eindruck mussten zumindest die Mitglieder des "NSU"-Untersuchungsausschusses des Sächsischen Landtages bekommen, als sie am Montag, 5. November, den ehemaligen Landespolizeipräsidenten und jetzigen Leipziger Polizeipräsidenten Bernd Merbitz vernahmen.

Der hat ja als Zusatzauftrag neben seiner Amtsübernahme in Leipzig den Auftrag mitbekommen, von hier aus eine schlagkräftige Polizeistruktur zur Verfolgung des Rechtsextremismus in Sachsen aufzubauen. Aber Merbitz war im Lauf seiner Karriere nicht nur Landespolizeipräsident, sondern von 1991 bis 1998 auch Leiter der Abteilung Polizeilicher Staatsschutz beim Landeskriminalamt Sachsen, wo seit Juli 1991 auch die Soko Rex angesiedelt war, gegründet nach der drastischen Zunahme rechtsextremistischer Gewalttaten und Übergriffe auch in Sachsen. Stichwort: Hoyerswerda 1991.

All das, was heute so aktuell und erschreckend scheint und Berichte des sächsischen Verfassungsschutzes ziert, war damals schon da. Es war der neu berufene Leiter des Landeskriminalamtes, Peter Raisch, der seinerzeit – nach seinen Erfahrungen mit der Bekämpfung des Rechtsextremismus in Baden-Württemberg – die Soko Rex aus der Taufe hob, die sich – entsprechend gut ausgerüstet – binnen weniger Monate zur erfolgreichsten Truppe bei der Verfolgung rechtsextremer Strukturen in Ostdeutschland mauserte. Im Kern aus zehn jungen Polizeibeamten bestehend, konnte sie bis auf 50 Polizisten ausgebaut werden, stark genug, um im Milieu systematisch zu ermitteln, zuzugreifen und den Verfolgungsdruck aufrecht zu erhalten.

Die Innenminister, die das zu verantworten hatten, waren Rudolf Krause und Heinz Eggert. Doch unter ihren Nachfolgern erlahmte der Eifer, das gewalttätige rechte Klientel zu verfolgen, zusehends. Die Soko Rex wurde Stück für Stück ausgedünnt.

“Sachsen hatte und hat einen Spitzenplatz bei rechten Straftaten sowie dabei einen erschreckend hohen Anteil an Gewalttaten. Dies betonte Bernd Merbitz bereits in seinem Eingangsstatement. Der Zeuge, damals Leiter der Soko Rex im Freistaat, verhehlte nicht sein Unverständnis über die politische Entscheidung, dieses erfolgreiche polizeiliche Instrument faktisch zu zerschlagen. Eine Begründung dafür kenne er nicht”, resümiert Kerstin Köditz, Obfrau der Fraktion Die Linke im “NSU”-Untersuchungsausschuss, den Auftritt von Bernd Merbitz, der als Polizist in leitenden Funktionen durchaus beobachten konnte, wie die sächsische Politik des schleichenden Abbaus der Polizeiverfolgung dazu führte, wie rechte Strukturen wieder erstarkten, sich vernetzten und 2004 die Grundlage dafür bildeten, dass die NPD mit wehenden Fahnen in den Landtag einzog.

Die von der Polizei registrierten rassistisch und rechts motivierten Straftaten nahmen nicht ab, sondern zu. In aller Ruhe konnten sich gewalttätige Netzwerke etablieren. Der Verfassungsschutz schrieb die Polizeizahlen einfach ab, klatschte die Demonstrationsereignisse von Protesten gegen Nazi-Aufmärsche einfach als “Linksextremismus” daneben, und fertig war das völlig falsche sächsische Weltbild.

Von dem der verantwortliche Innenminister bis heute nicht Abschied genommen hat. Das wäre ein Trugschluss. Wäre es anders, er hätte die gesamte Aufklärung des sächsischen “NSU”-Komplexes ganz anders vorangetrieben.Als Bernd Merbitz 2007 zum Landespolizeipräsidenten ernannt wurde, fing er mit der Soko Rex praktisch wieder von vorne an. Weil man das so natürlich nicht gut verkaufen konnte, sprach auch das damals von Albrecht Buttolo geleitete Innenministerium lieber von einer Aufstockung der Soko Rex – von 18 auf 30 Mitarbeiter. Der Unterschied zu 1991 aber war: Die rechten Netzwerke hatten sich längst etabliert und tief verankert in der sächsischen Provinz. Mittlerweile fühlten sich die gewaltbereiten Nazis so stark, dass sie auch zum Angriff auf die Großstädte bliesen. Leipzig zum Beispiel. Logische Folge: In Leipzig wurde die Soko Rex verstärkt, dasselbe in Chemnitz.

Köditz nach dem durchaus erhellenden Auftritt von Bernd Merbitz im Untersuchungsausschuss zur völlig unverständlichen Ausdünnung der Soko zu Beginn des Jahrtausends: “Während seiner Amtszeit an der Spitze der sächsischen Polizei dauerte es allerdings einige Jahre, bevor die Soko wenigstens wieder auf die alte Stärke gebracht wurde. Damit ist jedoch keineswegs der Verlust an Erfahrung ausgeglichen. Wir als Linke haben diesen Schritt immer als kontraproduktiv angesehen. Vollkommen unverständlich bleibt, weshalb er zu einem Zeitpunkt erfolgte, an dem die NPD ihren Mitgliederhöchststand im Freistaat hatte, die Kameradschaften stark wie nie zuvor waren und die Straftaten von rechts ebenfalls einen Spitzenwert erreicht hatten.”

Dass die Ausdünnung der einst als erfolgreich gerühmten Soko Rex just mit den Mordanschlägen des “NSU”, der auch noch in Chemnitz und Zwickau untertauchen konnte, zusammen fällt, gehört nicht wirklich zu den Überraschungen in dieser Geschichte. Eines hat direkt mit dem anderen zu tun. Und mit einer “großen Politik”, der beim Thema Nazi-Gewalt systematisch wegguckte und sogar die Schutzstrukturen der Zivilgesellschaft abbaute, die gegen das rechtsradikale Eindringen dringend vonnöten waren.

Aber so recht wollte die Regierung über all das, was sich da im Land etablierte, wohl nicht Bescheid wissen. Verdrängen und Weggucken als Politik-Maxime.

“Nach der heutigen Aussage von Bernd Merbitz vor dem Untersuchungsausschuss kann niemand mehr glauben, dass die Polizei in Sachsen beim Thema Rechtsextremismus so ahnungslos war, wie sie bislang vorgegeben hat. Es haben, zumindest sowohl in Merbitz’ Zeit als Leiter der Sonderkommission Rechtsextremismus als auch in seiner Zeit als Landespolizeipräsident, regelmäßig Besprechungen mit dem Landesamt für Verfassungsschutz stattgefunden. Warum diese Besprechungen nicht zu einem Informationsaustausch über das NSU-Trio und seinen Aufenthaltsort führten, konnte Merbitz nicht erklären”, stellt denn auch Miro Jennerjahn, Obmann der Grünen-Fraktion im Ausschuss, fest.

“Offensichtlich wurde in den 90er Jahren die Verfolgung von Rechtsextremen in Sachsen systematisch zurückgefahren”, ist sein Fazit. “Diese Einschränkung seiner Arbeit hat Merbitz allerdings nur am Rande der Vernehmung im Untersuchungsausschuss angedeutet. Ebenso, dass ihm wohl 1993 ein Maulkorb verpasst worden ist und er Beschränkungen unterlag, über Rechtsextremismus in Sachsen zu reden. Was ganz klar für die These spricht, dass der Freistaat Sachsen in diesem Bereich wenig Engagement gezeigt hat, ist die Tatsache, dass die Sonderkommission Rechtsextremismus nach 1998 trotz der gleichbleibend hohen Zahl an Straftaten seitens der extremen Rechten von 50 auf 18 Beamte reduziert wurde.”

Die Übersiedlung des NSU-Trios nach Sachsen falle damit genau in jene Zeit, als dem Rechtsextremismus offenbar keine große Bedeutung mehr zugeschrieben wurde. “Eine klare Fehleinschätzung”, so Jennerjahn.

“Insgesamt hinterließ die Befragung des Zeugen den Eindruck, dass die Sächsische Staatsregierung den Rechtsextremismus offenbar dauerhaft unterschätzt hat”, sagt Köditz. “Anders lässt sich auch kaum erklären, dass seines Wissens nach dieser nie Thema einer Kabinettssitzung gewesen sei. Hiermit wird für uns unverzichtbar, den im fraglichen Zeitraum zuständigen Innenminister ebenfalls als Zeugen vorzuladen.”

Welchen meint sie da wohl?

1998 war Klaus Hardraht Innenminister in Sachsen. Kurt Biedenkopf hatte ihn nach dem Sturz Heinz Eggerts auf den Posten berufen. Zuvor war Hardraht Justizsenator in Hamburg gewesen. Das überrascht nicht wirklich. 1998, als Hardraht die Soko Rex zusammenstrich, kamen Zschäpe, Mundlos und Böhnhart nach Sachsen, um in Chemnitz unterzutauchen. Sie mussten das Gefühl gehabt haben, dass im Freistaat Sachsen nun kaum noch Gefahr für sie drohte.

Da werden die Ausschussmitglieder wirklich ein paar Fragen haben.

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar