Mehrere Bücher zum Thema Rechtsterrorismus und "NSU" sind inzwischen erschienen. Doch gerade in Sachsen, wo die rechtsextremistische Terrorgruppe, die sich dann in ihrem Tätervideo "Nationalsozialistischer Untergrund" nannte, seit 1998 untergetaucht war, wird die Untersuchung des Versagens der Ermittlungsbehörden mit allen Mitteln verschleppt.

“Sowohl die Aufklärung der Verbrechen des Terrortrios als auch das Handeln der sächsischen Staatsregierung nach Bekanntwerden der Terrorzelle sind bis heute maßgeblich von Versäumnissen und Fehlern geprägt”, resümiert Miro Jennerjahn, Obmann im NSU-Untersuchungsausschuss des Sächsischen Landtags für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, das, was im vergangenen Jahr an Aufhellung passiert – oder eben nicht passiert ist. “Fast drei Wochen benötigte Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) im vergangenen Jahr, um in einer Pressekonferenz am 22. November 2011 sein Schweigen zu brechen und die schrecklichen Mordtaten des NSU zu verurteilen. Zu diesem Zeitpunkt hatte seine Kollegin Christine Lieberknecht (CDU) in Thüringen bereits eine Untersuchungskommission (die sog. Schäfer-Kommission) eingesetzt, die das Behördenversagen untersuchen sollte.

Während die Schäfer-Kommission innerhalb weniger Monate einen mehrere hundert Seiten langen, äußerst detaillierten Abschlussbericht vorlegte, umfasste der sogenannte vorläufige Abschlussbericht des sächsischen Innenministers Markus Ulbig (CDU) gerade einmal 23 Seiten. Dass dieser Abschlussbericht unvollständig ist, haben die vergangenen Monate mehr als deutlich gemacht. Über eine Informationsveranstaltung der Besondere Aufbauorganisation (BAO) ‘Bosporus’ in Sachsen im März 2007 informierte der Bericht ebenso wenig wie über die G10-Maßnahme ‘Terzett’, mit der im Sommer 2000 das enge Unterstützerumfeld des NSU-Trios überwacht wurde oder über Ermittlungen des BKA in der Staatskanzlei im Zusammenhang mit den Ceska-Morden im Jahr 2007.”

Monatelang zog sich die Gründung einer Untersuchungskommission hin – eigentlich das allererste, was ein Bundesland, in dem drei gesuchte Rechtsterroristen 13 Jahre lang untertauchen konnten, hätte einrichten müssen. Aber gerade CDU und FDP versuchten den Ausschuss zu verhindern, und als er endlich auf die Beine kam, waren augenscheinlich die Aktenschredder schon seit Monaten in Betrieb.

“Von einer Aufklärung der Versäumnisse sächsischer Behörden bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus ist Sachsen selbst ein Jahr nach dem Bekanntwerden des NSU noch weit entfernt”, stellt Jennerjahn fest. “Eigene Aufklärungsinstrumente hat die sächsische Staatsregierung immer abgelehnt. Erst als der Verfassungsschutzpräsident Reinhard Boos zurückgetreten ist, setzte Innenminister Markus Ulbig im Juli 2012 eine Kommission zur ‘Neuordnung des sächsischen Verfassungsschutzes’ ein.
Dass er in diese Kommission ausgerechnet den ehemaligen Verfassungsschutzpräsidenten Baden-Württembergs, Helmut Rannacher, beruft, in dessen Amtszeit ein Mitarbeiter seiner Behörde den rechtsextremen Ku-Klux-Klan über eine Observationsmaßnahme informierte, ist nicht nur unglücklich. Es belegt, wie wenig sensibel Ulbig vorgeht. Er konnte sich offenbar noch im Juli vorstellen, dass die Chefs anderer Verfassungsschutzbehörden ausreichend integer sind, Sachsen bei der Aufklärung der eigenen Versäumnisse zu helfen. Er hätte es besser wissen können.”

Und während Thüringen mittlerweile strukturelle Reformen beim Verfassungsschutz ankündigt und sich künftig auf die Beobachtung des Rechtsextremismus beschränken will, will die mit dem Makel “Rannacher” besetzte sächsische Kommission erste Ergebnisse erst im kommenden Jahr vorlegen, kritisiert Jennerjahn. Ministerpräsident Tillich suche derweil sein Heil in einem hoch riskanten NPD-Verbotsverfahren und lenke damit vom sächsischen Versagen ab.

“Trauriger Höhepunkt der letzten Monate war die Einsetzung des sächsischen NSU-Untersuchungsausschusses am 7. April 2012: Während alle anderen Untersuchungsausschüsse in Thüringen, im Bundestag und zuletzt in Bayern auch von CDU und FDP eingesetzt wurden, verweigerte sich die Regierungskoalition in Sachsen diesem Schritt. Mehr noch, die demokratische Opposition musste sich vorwerfen lassen, sie errichte einen NPD-Informationsausschuss. Entsprechend gering ist auch das Interesse der Ausschussmitglieder beider Parteien an einer zügigen Aufklärung der Behördenversäumnisse im Untersuchungsausschuss bzw. an der Arbeit des Ausschusses generell”, so der Grünen-Abgeordnete. “Dass der sächsische Untersuchungsausschuss bislang nur sehr zäh zu Erkenntnissen gelangt, liegt nicht zuletzt auch an der Handhabung der Aktenlieferung an den Ausschuss. Dies wird deutlich an den Unterlagen, die die sächsische Polizei zu den Banküberfällen des Trios hatte. Hieß es bis Anfang Oktober 2012, dass sämtliche Unterlagen dazu beim Generalbundesanwalt seien und dieser über die Freigabe entscheide, tauchten Anfang Oktober plötzlich Arbeitsduplikate der Unterlagen beim LKA auf, die dem Ausschuss übersandt wurden. Von der Existenz dieser Unterlagen war den Mitgliedern des Untersuchungsausschusses bis dahin nichts bekannt.”

Warum Sachsens Behörden derart mauern, obwohl sie sich mit einer umfassenden Aufklärung durchaus auch das Vertrauen der Bürger wieder zurückgewinnen könnten, wird wohl nicht so leicht herauszufinden sein. Vielleicht sind einfach ein paar Funktionsträger zu viel in heikle Vorgänge verwickelt, bei denen falsche Entscheidungen getroffen und wichtige Untersuchungen abgebrochen wurden.

“Möglicherweise schlummern bei sächsischen Behörden noch weitere Erkenntnisse über die Mitglieder des NSU und sein Unterstützernetzwerk. Ob diese je ans Tageslicht befördert werden, ist ungewiss”, meint auch Jennerjahn. “Die Staatsregierung und Innenminister Markus Ulbig haben es bis zum heutigen Tag nicht vermocht, eine zentrale Erfassungsstelle für Informationen zum NSU einzurichten. Auch sind sächsische Richter, Staatsanwälte, Polizisten und sonstige Beamte nach dem 4. November 2011 niemals aufgefordert wurden, Erkenntnisse, die sie zum NSU seit 1998 haben, an eine zentrale Stelle oder Ministerien weiterzugeben. Dies geht aus der Antwort auf meine Kleine Anfrage hervor. Auch dies zeigt, mit wie wenig Interesse und Struktur die sächsische Staatsregierung Aufklärung zum NSU betreibt.”

Kleine Anfrage der Grünen “Ermittlungen der Staatsregierung zu Erkenntnissen sächsischer Behörden zum Nationalsozialistischen Untergrund (NSU)”(Drs. 5/10297):
http://edas.landtag.sachsen.de/viewer.aspx?dok_nr=10297&dok_art=Drs&leg_per=5&pos_dok=-1

Alles zum NSU-Untersuchungsausschuss im Sächsischen Landtag unter:
www.gruene-fraktion-sachsen.de/politikfelder/rechtsextremismus/nsu-untersuchungsausschuss.html

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