Es ist schon erstaunlich, dass genauso wie beim ver.di-Wahlforum zwei Tage zuvor auch beim IHK-Wahlforum am 13. August am Ende ein Thema im Mittelpunkt stand, das die Einladenden vorher gar nicht auf der Agenda hatten: die Personalpolitik der CDU/FDP-Regierung. Selbst der FDP-Vorsitzende Holger Zastrow sagte mehr als deutlich: Die "Polizeireform 2020" war eindeutig ein Fehler, "wenn man die Sache heute rückschauend betrachtet". Unter anderem.

Er ließ auch noch durchblicken, wie FDP und CDU im Jahr 2010 daran gingen, das Personal des Landes mit einem Handstreich von 86.000 auf 70.000 einzudampfen, irgendwie auf das Niveau der westdeutschen Bundesländer, obwohl Zastrow – ganz Marketing-Mann – auch flapsig einwarf, das Problem Sachsens sei, dass man 1990 die Personalkonzepte westdeutscher Bundesländer übernommen hätte – aus Bayern, Baden-Württemberg und NRW. Daher käme das viele Personal.

Was den einfachen Landesbewohner natürlich erstaunt, denn von 1990 bis 2009 wurde das Personal im Öffentlichen Dienst ebenfalls Jahr um Jahr abgebaut – auch im Landesdienst. Eine Zwischenlösung gab es im Grunde nur bei den Lehrerinnen und Lehrern, von denen viele bereit waren, in Teilzeit zu gehen, um mit der gesunkenen Schülerzahl auch eine große Entlassungswelle zu verhindern. Doch schon in der jetzigen Regierungszeit von FDP und CDU wurde sichtbar, dass die Grenze erreicht ist. 1.500 bis 1.600 Lehrer gehen ab jetzt jedes Jahr in Ruhestand. Der Freistaat hätte in der Lehrerausbildung und der Einstellungspolitik längst umsteuern müssen.

Doch stattdessen dieses 70.000er-Programm. Aber diesmal erklärte Zastrow, wie es dazu kam. Denn dahinter steckt ein ganz typischer FDP-Ansatz: Man wolle eine effizientere, schlankere und leistungsfähigere Verwaltung. Das ginge aber nicht mit dem Apparat, meinte Zastrow. Es sei also eine geniale Idee, den Apparat zu zwingen, schlankere Strukturen zu entwickeln, indem man einfach radikal die Belegschaft kappt. Ohne Aufgabenkritik oder Konzept. “Sie wissen gar nicht, wie sich der Apparat wehrt, wenn es um neue Strukturen geht”, sagte Zastrow am Mittwoch. “Da ist das das beste Mittel, ihn zu zwingen.”

Doch der Apparat ist in Sachsen nicht unbedingt das, was die FDP darunter versteht. Die meisten Landesbediensteten gibt es im Bildungs- und im Polizeibereich. Und selbst Zastrow musste zugeben, dass man im Bildungsbereich längst umsteuern muss. Der Puffer, die geplanten 10.000 Lehrer einfach wegzuschrumpfen, existiert überhaupt nicht. Sachsen hat nicht mehr Lehrer pro Schüler als andere Länder – im Gegenteil. Es sind schon lange zu wenig. Und das hat mit Wirtschaft zu tun. Und mit Fachkräftemangel. Denn ein Land, das jedes Jahr 10 Prozent der Schüler ohne Abschluss entlässt, produziert sich den Fachkräftemangel selbst.

Auch die Praxisferne und die mangelnde Flexibilität der sächsischen Schule wurde thematisiert. Antje Hermenau von den Grünen verwies darauf, dass ein Bundesland wie NRW nicht nur eine halb so hohe Schulabgängerquote ohne Abschluss habe als Sachsen (5 Prozent), sondern im ländlichen Raum auch auf Wunsch der Kommunen Gemeinschaftsschulen eingeführt hat, die längeres gemeinsames Lernen und freiere Wahl des Bildungsweges ermöglichen. Und so nebenbei werden auch wohnortnahe Schulstrukturen im ländlichen Raum erhalten.

“Aber in Sachsen wurde unter Schwarzgelb das Projekt Gemeinschaftsschule einfach beendet”, sagte Petra Köpping (SPD), die als Landrätin in ihrem Landkreis Leipziger Land seinerzeit ein erfolgreiches Gemeinschaftsschulprojekt hatte. Und die Eltern nahmen es an: Aus einer 5. Klasse wurden binnen drei Jahren fünf. Das wäre Wahlfreiheit im Bildungswesen, sagte Köpping.

“Aber was NRW da macht, haben wir doch auch mit unserer Oberschule”, meinte Zastrow, “das war nicht nur eine Umetikettierung.” Dafür bekam er von den Mitbewerbern nur noch ein Schulterzucken.

Was den FDP-Mann nicht entmutigte.Auch als das Thema Sicherheit endlich noch dran kam, warf er sich in die Bresche und hatte tatsächlich den Mumm, die nun seit drei Jahren heftig gepriesene “Polizeireform 2020” für gescheitert zu erklären. Den Mut hatte auch Ronald Pohle (CDU) nicht, der – wie sein Innenminister Markus Ulbig – versuchte, das Kriminalitätsdilemma in Leipzig mit dessen Rolle als Großstadt, der Grenznähe und der wachsenden Suchtproblematik zu erklären.

Zastrow aber erwähnte zumindest, dass am Anfang nichts anderes stand als der Gedanke, das zur modernen Polizei “mehr Effizienz” gehören sollte. Heißt: Weniger Polizisten schaffen mit besserer Technik mehr Sicherheit. Doch das sei wohl ein Irrtum gewesen, sagte nun Zastrow. Die Polizeireform habe das erwartete Ergebnis nicht gebracht. “Rollende Büros können den Polizisten auf der Straße nicht ersetzen.”

Das war deutlich. Es war aber auch ein Dementi der eigenen, früher am Abend getroffenen Aussage, man müsse dem Apparat nur genügend Personal entziehen, dann würde er sich zwangsläufig selbst reformieren.

Womit dann wohl Petra Köpping (SPD) und Antje Hermenau (Grüne) Recht behalten: Die sächsische Staatsregierung hat ihre Personalpolitik ohne jegliches Konzept und ohne Aufgabenkritik durchgezogen. Wer reformieren wolle, brauche zwingend ein Konzept.

Das Chaos in Schulen, Polizei, Hochschulen und allen anderen von Kürzung betroffenen Landesbereichen ist also das Resultat eines Kürzens ohne Plan und Konzept.

Aber wer lässt so einen Vorwurf auf sich sitzen? Gar den Vorwurf von Luise Neuhaus-Wartenberg (Die Linke), bei der Planung des Lehrerbedarf sei im sächsischen Kultusministerium zwei Wahlperioden lang nichts passiert. Lehrerbedarf könne man sehr wohl schon sechs, acht Jahre vorher planen. Man wisse doch, wie alt die Lehrer seien und wann sie wahrscheinlich in Ruhestand gehen.

Diese Planung sei sehr wohl passiert, wehrte Ronald Pohle als Vertreter der CDU ab. Man habe auch reagiert, als vor zwei Jahren die Probleme offenkundig wurden, sogar einen Minister habe man ausgewechselt. Und außerdem seien für die Schulen die Kommunen zuständig, die hätten ihren Bedarf melden müssen und seien am Ende verantwortlich, wenn Schulen geschlossen würden.

Da atmete auch Petra Köpping kurz und tief durch und erzählte dann ein bisschen, wie Schulnetzplanung in Sachsen funktioniert und dass Kommunen so viel planen könnten, wie sie wollen. “Wenn die Schulnetzplanung dem Land nicht gefällt, wird sie nicht genehmigt. Und wer keine genehmigte Schulnetzplanung hat, bekommt auch keine Fördermittel. So ist das Leipzig gegangen. Am Ende reicht die Kommune dann eine Planung ein, die der Landesdirektion passt.” Auch wenn dann Schulen dicht gemacht werden müssten, von denen alle wüssten, dass sie drei Jahre später wieder dringend gebraucht würden.

Und dabei wollte Moderator Andreas F. Rook an dieser Stelle doch über Fachkräftemangel in Sachsen diskutieren lassen. Und auch wenn Holger Zastrow die größere Praxisnähe der Oberschule lobte, wurde deutlich: Wer derart an Lehrern und Schulen spart und kürzt, der wird weder die hohe Quote von Schulabgängern, die nicht ausbildungsfähig sind, senken, noch die Schüler besser auf ihre Berufswahl vorbereiten. Das braucht in allen Fällen mehr Lehrer und mehr Puffer in den Schulen. Auch für einen Vorschlag, der dann aus dem Publikum kam: staatlich geförderte Kollegs für Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund, damit sie einen besseren Einstieg in die deutsche Sprache und Kultur finden und damit auch einen besseren Einstieg in die deutsche Schule. Ein echtes Leipzig-Thema, denn hier beträgt der Anteil von Schülern mit Migrationshintergrund schon 20 bis 30 Prozent.

Beim IHK-Forum war es am Ende nicht das Publikum, das gern wissen wollte, wie die Parteien sich nach der Wahl einsortieren, sondern der Moderator. Aber es wurde deutlich, dass sich eigentlich niemand verweigern kann, wenn es nach der Wahl um Verantwortung geht. Wenn SPD oder Grüne etwas bewegen wollen, gibt es nur die Minimalchance in einer Koalition Rot-Rot-Grün – oder als Juniorpartner der CDU. Die FDP würde ihren ganz eigenen sächsischen Weg gern weitergehen, was nicht allzu gut klingt, weil das wichtigste Experiment – der rigide Personalabbau – schon fatale Folgen zeigt, bevor er tatsächlich richtig angerollt ist.

Am Ende war es ein Forum, in dem es nicht wirklich direkt um Wirtschaftspolitik ging. Aber selbst die manchmal etwas diffuse Diskussion zeigte, welch wichtige Rolle tatsächlich auch funktionierende staatliche Strukturen für einen Wirtschaftsstandort wie Sachsen spielen. Und dass man mit einer undurchdachten Personalkürzung mehr Schaden anrichten kann, als gedacht.

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar