Gut getan haben die Worte, die Finanzbürgermeister Torstn Bonew zur Leistungswilligkeit der Mitarbeiter/-innen der Verwaltung erst im „Kreuzer“ und dann am 25. Juni in der Ratsversammlung gefunden hat, der Personaldebatte zwischen Verwaltung und Stadtrat nicht wirklich. Sie zeugen von einer Einstellung, die in Zeiten zunehmenden Fachkräftemangels nicht mehr funktionieren kann. Und zumindest in der Fraktion Bündnis 90 / Die Grünen kamen diese Worte ganz schlecht an. Die übt nun scharfe Kritik an den Äußerungen Torsten Bonews zur Arbeitszeitdebatte und fordert eine differenzierte Betrachtung der Zusammenhänge zwischen Arbeitszeit, Produktivität und gesellschaftlichem Wohlstand.
In einem Interview mit dem Stadtmagazin Kreuzer (Ausgabe 05/25) hatte der CDU-Finanzbürgermeister erklärt, er würde Berufseinsteiger, die keine 40-Stunden-Woche mehr schaffen, „zum Betriebsarzt schicken“ und behauptete, dass „Deutschland keine Leistungsgesellschaft“ mehr sei. Zudem äußerte er, beim Begriff „Work-Life-Balance“ bekäme er „Pickel im Gesicht“.
Die ursprüngliche Anfrage wurde in der Ratsversammlung am 25. Juni 2025 nur sehr ausweichend beantwortet. Zudem vermochte es auch der Oberbürgermeister nicht, sich von den persönlichen Äußerungen seines Stellvertreters zu distanzieren, kritisieren die Grünen.
In der mündlichen Ausführung auf die Nachfragen von Grünen-Stadträtin Chantal Schneiß bestätigte Bonew seine persönliche Sicht einmal mehr mit Äußerungen wie „dass wir in unserem Land zu wenig arbeiten“ und „dass wir hart am Rand sind, unseren gesellschaftlichen Wohlstand durch zu wenig Arbeit zu verspielen“ und bezog sich dabei auf angebliche Aussagen aus einem Gutachten der Wirtschaftsweisen.
Wenn die grundlegenden Daten fehlen
Das Grundproblem dabei: Es gibt überhaupt keine umfassenden Daten zum Leistungsumfang in der Leipziger Stadtverwaltung, nur eine erste vorläufige Überprüfung einzelner Ämter – dummerweise mit dem Ergebnis, dass einige Ämter gegenüber ihrem Leistungskatalog sogar unterbesetzt sind und sogar mehr Personal benötigten. Rund 1.000 Stellen in der Leipziger Verwaltung sind nicht besetzt, weil die Stadt das dafür notwendige Fachpersonal nicht findet.
Die Grünen-Fraktion will nun mit einer weiteren Stadtratsanfrage detaillierte Informationen über die Entwicklung des Arbeitszeitvolumens und der Teilzeitquoten in der Leipziger Stadtverwaltung sowie belastbare Daten zum Zusammenhang zwischen Arbeitsumfang und wirtschaftlicher Entwicklung anfordern. Denn ohne solche belastbaren Zahlen läuft die Personaldebatte im Rathaus völlig in den Nebel.
„Die Aussagen des Finanzbürgermeisters zeugen von einem erschreckend rückwärtsgewandten Verständnis moderner Arbeitswelt und ignorieren die Komplexität dieser völlig“, sagt Chantal Schneiß, Stadträtin und Sprecherin für Arbeitnehmer/-innenrechte der Grünen-Fraktion. „Wir möchten mit unseren Nachfragen die Faktenlage klären und eine konstruktive Debatte über zukunftsfähige Arbeitsmodelle anstoßen.“
Die Wirtschaftsweisen sehen völlig andere Ursachen
Die bündnisgrüne Fraktion weist auch darauf hin, dass aktuelle Gutachten der Wirtschaftsweisen keineswegs eine Verlängerung der Arbeitszeit als Lösung für wirtschaftliche Probleme empfehlen, sondern vielmehr strukturelle Faktoren wie Bürokratie, schleppende Digitalisierung und hohe Energiepreise als Ursachen identifizieren.
Besonders kritisch sieht die Fraktion die fehlende Berücksichtigung der Care-Arbeit, die überwiegend von Frauen geleistet wird.

„Die Realität vieler Familien in Leipzig ist geprägt von der Herausforderung, Beruf und Familie zu vereinbaren. Starre 40-Stunden-Modelle sind mit der Betreuung von Kindern oder der Pflege von Angehörigen oft nicht vereinbar, insbesondere angesichts begrenzter Kita-Öffnungszeiten und fehlender Betreuungsangebote in Randzeiten“, betont Schneiß.
Die Fraktion fordert deshalb von der Stadtverwaltung unter anderem Auskunft darüber, wie viele Mehrarbeitsstunden die Beschäftigten in den letzten Jahren geleistet haben, wie sich Krankheitsquoten entwickelt haben und welche konkreten Maßnahmen zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie ergriffen wurden.
„Wer die Haushaltsprobleme der Stadt durch längere Arbeitszeiten lösen will, hat die wirklichen Ursachen nicht verstanden“, sagt Chantal Schneiß . „Wir brauchen strukturelle Antworten auf strukturelle Probleme – und eine moderne Arbeitswelt, die Menschen nicht ausbrennt, sondern ihre Potenziale fördert.“
Die Fraktion Bündnis 90 / Die Grünen erwartet eine umfassende Beantwortung der Anfrage in der nächsten Ratsversammlung am 27. August.
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