Noch ist nicht klar, wer in der Causa Biedenkopf-Tagebücher nun eigentlich Recht hat. Aber für den Landtagsabgeordneten André Schollbach (Die Linke) hat sich die Finanzierungsfrage der im Siedler Verlag veröffentlichten Biedenkopf-Tagebücher aus den frühen 1990er Jahren längst zu einem veritablen Streit entwickelt. Nach dem Biedenkopf-Interview in der „Sächsischen Zeitung“ hat er wieder gefragt.

Und er hat wieder so eine Antwort bekommen, die ihn eher noch mehr verwirrt. „Herr Ministerpräsident Stanislaw Tillich hat Herrn Ministerpräsident a. D. Prof. Dr. Kurt Biedenkopf kein Angebot zur Publizierung der Tagebücher unterbreitet“, betont Dr. Fritz Jaeckel, Chef der Sächsischen Staatskanzlei, in dieser neuesten Antwort.

Und das will einfach nicht passen, wenn nun Kurt Biedenkopfs Aussage vom 20. Mai 2016 in der „Sächsischen Zeitung“ stimmen sollte: „Das Tagebuchprojekt ist ein Projekt des Freistaates. Es geht auf Tillichs Vorschlag zurück, die Tagebücher aus den Jahren 1989 bis 2000 aus Anlass des 25-jährigen Jubiläums des Freistaates im Herbst 2015 vom Freistaat herausgeben zu lassen. Das Land sollte die Kosten für die Bearbeitung und die Veröffentlichung der Texte und den Erwerb der Rechte übernehmen. Die Kosten für die Neuauflage des ersten Bandes haben wir selbst übernommen. Inzwischen lehnt der Ministerpräsident die weitere Erfüllung unserer Vereinbarung ohne Begründung ab. Hätten wir das gewusst, hätten wir Tillichs Angebot nie angenommen.“

Danach also hätte Stanislaw Tillich das Angebot gemacht.

André Schollbach hatte das Biedenkopf-Interview ja zum Anlass genommen, diese nächste Kleine Anfrage an die Staatsregierung zu richten. Er wollte wissen, welches Angebot Ministerpräsident Stanislaw Tillich gegenüber Alt-Ministerpräsident Kurt Biedenkopf hinsichtlich der Publizierung der Tagebücher wann unterbreitete, welche Vereinbarung dazu wann getroffen wurde und bezüglich welcher Teile dieser Vereinbarung aus welchen Gründen eine Umsetzung durch Ministerpräsident Stanislaw Tillich abgelehnt wird.

Nun liegt die Antwort vor und offenbart für André Schollbach eklatante Widersprüche zwischen den Aussagen von Alt-Ministerpräsident Kurt Biedenkopf und den Angaben der Staatsregierung. Denn diese teilt in ihrer Antwort vom 10. Juni ziemlich eindeutig mit: „Weder seitens des Freistaates Sachsen noch seitens Herrn Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich sind Vereinbarungen mit Herrn Ministerpräsidenten a. D. Prof. Dr. Kurt Biedenkopf getroffen worden, aus denen sich eine Verpflichtung zur Publizierung von dessen Tagebüchern ergibt.“

Für Schollbach stellen sich da einige Fragen, wie das Geschäft nun tatsächlich zustande kam: Gab es ein Angebot von Ministerpräsident Stanislaw Tillich an Alt-MP Biedenkopf zur Publizierung der Tagebücher? Wurde eine Vereinbarung zwischen dem Freistaat Sachsen bzw. MP Tillich und Alt-MP Biedenkopf hinsichtlich der Publizierung der Tagebücher getroffen? Lehnt MP Tillich die weitere Erfüllung der Vereinbarung ab und warum?

Denn wenn die Interpretation von Kurt Biedenkopf zutrifft, dann war das Ganze zwar ein ziemlich teures Buchprojekt, mit dem die Staatsregierung irgendwie die demokratische Aufbauphase ab 1990 würdigen wollte. Aber dann ist unverständlich, warum überhaupt noch die CDU-nahe Adenauer-Stiftung als Mittler auftreten musste. Dann hätte die Staatskanzlei die Bücher ja einfach selbst beim Siedler Verlag beauftragen können und wäre wahrscheinlich deutlich preiswerter weggekommen.

Es sind schlicht zu viele Schleifen und Umwege in dem Deal, der nun – statt zu einer späten Ehrung für Sachsens Alt-Ministerpräsidenten zu werden – zu einem großen Ärgernis wird, in dem der Riss wieder sichtbar wird, der zwischen Biedenkopf und der CDU-Führungsspitze seit 2002 existiert. Die sogenannte „Hausfrauen-Affäre“ war damals der Anlass, dass der parteiinterne Druck auf Biedenkopf so stark wurde, dass er im Januar 2002 seinen Rücktritt erklärte. Und der Riss ist augenscheinlich nicht gekittet, sondern – im Gegenteil – nun wieder aufgerissen.

„Wir erleben eine veritable Auseinandersetzung zwischen dem amtierenden Ministerpräsidenten und dem Alt-Ministerpräsidenten. Die Angaben zu ein- und demselben Sachverhalt stehen in eklatantem Widerspruch zueinander“, kommentiert Schollbach die beiden unvereinbaren Aussagen. „Nur eine Version kann der Wahrheit entsprechen. Hieraus ergeben sich mehrere Fragen: Wer sagt die Unwahrheit? Soll hier etwas vertuscht werden? Und aus welchen Gründen? Ich werde den Vorgängen und Widersprüchen zu der staatlichen Finanzierung der Biedenkopf-Tagebücher und der Rolle von Ministerpräsident Tillich in dieser Angelegenheit weiter nachgehen. Die Staatsregierung wird sich erneut parlamentarischen Anfragen stellen müssen.“

Die neueste Antwort in der Tagebuch-Frage.

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