Da sag noch einer, es hätte nicht genug Warnungen gegeben. Doch nun jammert das sächsische Kultusministerium, dass es nicht genug qualifizierte Lehrkräfte gäbe und man sich dem Menetekel gegenübersieht, das schon lange von Seiten vieler Medien und auch von Seiten der Lehrergewerkschaft sowie von Elterninitiativen prophezeit wurde: Bildungsnotstand. Doch genau der droht nun, nachdem man wundersamerweise in Dresden feststellt, dass es nicht genug ausreichend passendes Lehrpersonal geben wird.

Steht nach den Ferien wirklich vor jeder Klasse eine Lehrkraft?

Eine Frage treibt die Verantwortlichen im sächsischen Kultusministerium um: Nämlich, ob am Schulanfang nach den großen Ferien in allen Klassen auch eine Lehrkraft vor den (über)vollen Klassenbänken stehen wird. Der Grund: Verzweifelt sucht man im Freistaat nach wirklich qualifizierten Fachkräften. So fällt dem Kultusministerium im Freistaat die selbst gemachte Problematik nun mit voller Wucht auf die Füße, und zwar sehr schmerzhaft. Momentan ist man in Dresden fieberhaft damit befasst, Lehrer unter Vertrag zu nehmen. Doch die Einstellungsverfahren gestalten sich, jedenfalls für die Verantwortlichen, komplizierter als erwartet. 1.200 neue Lehrer sollen unter Vertrag genommen werden. Bisher haben sich 1.700 Bewerber gemeldet. Allerdings haben davon nur zwei Drittel ein Lehrerstudium. Dirk Reelfs, Sprecher des Bildungsministeriums in Dresden: „Erschwerend kommt hinzu, dass sich die meisten, rund 70 Prozent, ausschließlich für die Ballungsräume Dresden und Leipzig beworben haben.“ Außerdem habe man feststellen müssen, dass von den sogenannten grundständig ausgebildeten Lehrkräften rund 60 Prozent ausschließlich für das Gymnasium ausgebildet worden seien. Es werde also sehr, sehr schwierig für die Schularten Grundschule, Förderschule und Oberschule, die richtigen Lehrer zu bekommen.

Bessere Angebote aus anderen Bundesländern

Aktuell seien schon mehr als 860 Stellen besetzt. Allerdings ist es wie mit allen Zahlenwerken, dass man sie richtig einzuordnen hat. Was auf den ersten Blick gut aussieht, verbirgt doch einen Pferdefuß. Denn die Zahlen täuschen, weil die anderen Bundesländer aktuell schon mit ihren Einstellungsverfahren begonnen haben und mit guten Gehältern sowie mit Verbeamtung abwerben. Viele der am Lehrerberuf Interessierten verlassen sich also nicht auf ein einziges Stellenangebot und springen bei Aussicht auf mehr Geld und Verbeamtung wieder ab. So sieht sich die Bildungsagentur in Sachsen gegenwärtig mit den ersten Kündigungen der gerade abgeschlossenen Verträge konfrontiert. Der Sprecher des Kultusministeriums: „Eines können wir allerdings sagen: Mit Beginn des neuen Schuljahres wird vor jeder Klasse ein Lehrer stehen. Ob es allerdings ein grundständig ausgebildeter Lehrer ist oder ein Seiteneinsteiger oder ob die freie Stelle auch durch Abordnung oder Versetzungen besetzt werden musste, das können wir jetzt noch nicht sagen.“

Chemnitz als Berufsstandort nicht beliebt

Besonders dramatisch sei die Lehrersituation auf dem Land, sagt Michael Jung vom Lehrerverband: „Also, wir haben hier riesengroße Probleme, dass niemand nach Chemnitz will. Leipzig und Dresden können sich da mehr oder weniger zurücklehnen; dort gibt es genug Bewerbungen. Aber die Leute wollen einfach nicht aufs Land und sie wollen nicht nach Chemnitz.“ Und Michael Jung macht die Rechnung für die Chemnitzer Oberschulen auf. 13 studierte Lehrer hätten sich beworben. Darunter seien auch ehemalige Freundschaftspionierleiter und Staatsbürgerkunde-Lehrer. Dazu kämen knapp 30 Seiteneinsteiger. 45 Lehrer könnten eigentlich eingestellt werden.

Personalmangel bedingt Qualitätsmangel

Wirklich auswählen können die Bildungsagenturen also nicht. „Also, ich sage es ihnen klipp und klar. Ein Oberschullehrer, der sich bewirbt, der wird genommen“, so Michael Jung. Vor allem in den MINT-Fächern, also Mathematik, Physik, Chemie, Biologie oder Informatik sehe es für die Oberschulen schlecht aus, sagt Jung. Aber auch für die Sprachen seien kaum Bewerber da. „Also, ich gehe jetzt von meiner Schule aus in Freiberg. Es gehen dort zwei Kolleginnen in die wohlverdiente Rente. Unsere Schulleiterin schlägt heute schon die Hände über dem Kopf zusammen. Keiner weiß, von wem diese Stunden besetzt werden sollen. Also, es ist niemand da oder in Sicht, der dort wirklich diesen Englisch-Unterricht wahrnimmt.“

Wieder überfüllte Klassen

Ohne Quer- und Seiteneinsteiger funktioniert Schule in Sachsen überhaupt nicht mehr. Das sei zwar alles andere als optimal, heißt es hinter vorgehaltener Hand. Aber anders gehe es nicht. Und Michael Jung vom Lehrerverband aus eigener Erfahrung: „Es gibt sehr, sehr viele, die sind in der Schule und unterrichten ohne didaktische oder pädagogische Ausbildung.“ Doch das sei wahrscheinlich die geringste Sorge im Ministerium. Viel schwerer wiege das Problem, den Stundenplan irgendwie abzusichern. Die Gerüchte, dass der Lehrplan notfalls zusammengestrichen werde, will Ministeriumssprecher Dirk Reelfs aber nicht bestätigen. Dafür müssten Lehrer, Eltern und Schüler aber andere Einschnitte in Kauf nehmen: „Die Klassen werden gefüllt. Das bedeutet, dass insgesamt angestrebt wird, weniger Klassen zu bilden. Weniger Klassen bedeutet weniger Lehrerbedarf. Das ist der eine Punkt. Der andere sind die Lehrerressourcen, die wir für den sogenannten Ergänzungsbereich zur Verfügung stellen, also für eine Arbeitsgemeinschaft oder für den Chor. Diese Ressourcen werden wir schon von vornherein herunterfahren, um den sogenannten Grundbereich, das heißt die Absicherung der Stundentafel, sicherzustellen.“ Was passiert, wenn es nicht gelingt, genug Lehrer einzustellen, will sich keiner in den Behörden ausmalen. Denn wie die 1.200 Lehrstellen bis zum ersten Schultag am 1. August besetzt werden sollen, ist und bleibt ein großes Rätsel. Aber das war ja eigentlich schon lange abzusehen gewesen, siehe L-IZ-Berichte zum Thema.

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