Es ist ein Dauerthema und wurde im vergangenen Jahr noch einmal extra befeuert, als einige Granden der deutschen Sicherheitspolitik mal wieder irgendwelche Schlagzeilen brauchten und das Gespenst der zunehmenden Wohnungseinbrüche an die Wand malten. Und in die Köpfe der Öffentlichkeit. Meist stellt sich nach so einem Aufruhr heraus, dass die Herren Innenminister & Co. wieder mal übertrieben haben.

Den Anlass gab es auch in Sachsen. Am 6. April veröffentlichte das Sächsische Innenministerium die Kriminalitätsstatistik für 2015 und fand es wichtig, die Sache mit den Wohnungseinbrüchen extra hervorzuheben: „Innerhalb der Eigentumskriminalität sind insbesondere Diebstähle in/aus Boden-, Kellerräumen und Waschküchen, Diebstähle von Fahrrädern sowie Ladendiebstähle zurückgegangen. Dagegen sind Wohnungseinbrüche signifikant angestiegen. So weist die Kriminalstatistik für 2015 allein 4.257 Wohnungseinbrüche auf, 388 mehr als ein Jahr zuvor.“

Und Innenminister Markus Ulbig setzte noch eins drauf: „Wohnungseinbrüche haben sich in den vergangenen zehn Jahren nahezu verdoppelt. Eine Tatsache, die einem bundesweiten Trend entspricht. Sachsen ist dabei im Vergleich zu vielen anderen Bundesländern noch relativ gering belastet. Gleichwohl ist jeder Wohnungseinbruchsdiebstahl einer zu viel, schließlich ist damit ein empfindlicher Eingriff in die Privatsphäre verbunden. Ich habe das Landeskriminalamt deshalb beauftragt, auf der Grundlage bundesweiter Handlungsempfehlungen die bisherigen Maßnahmen in Sachsen weiter zu entwickeln. Darüber hinaus werden wir die Zusammenarbeit auf Bundesebene und mit unseren Nachbarstaaten Polen und Tschechien weiter verstärken. Damit wollen wir international agierenden Banden das Handwerk legen.“

Das nahm der innenpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion im Landtag, Valentin Lippmann, zum Anlass, mal die Zahlen der vergangenen Jahre abzufragen. Nicht nur die vom Vorjahr. Da kann ja jeder was erzählen. Trends entstehen erst über Jahre. Also hat er sich für alle Einbruchsarten die Zahlen aufgeschlüsselt für Städte und Kreise geben lassen. Und zwar für den kompletten Zeitraum von 1995 bis 2015.

Das macht zumindest eines sichtbar: Die Kurve läuft ungefähr parallel zu dem, was einige Kommentatoren gern die ostdeutsche Aufholjagd in Sachen Wirtschaft nennen. In den 1990er Jahren stiegen die Zahlen in Sachsen deutlich an und bewegten sich so langsam in Richtung westdeutsches Niveau. Dann kam –  pünktlich mit der Depressionsphase 1998 bis 2005 – eine Hängepartie. Die Zahlen sackten teilweise wieder ab. Und seit ungefähr 2010 – pünktlich mit dem Abflauen der Finanzkrise – zogen sie in ganz Sachsen wieder an.

Wir haben nur einmal die Zahlen der Jahre 2004 bis 2015 für die drei Großstädte herausgezogen. Und auch nur die für Wohnungseinbruchsdiebstahl, weil ja nun alle möglichen Innenminister darüber reden, als wäre da 2015 ein Phänomen aufgetaucht, mit dem sie nie und nimmer gerechnet hätten.

Die erste Erkenntnis: Von einem rasanten Anstieg im Jahrsvergleich zu 2014 kann keine Rede sein. Die Interpretation ist falsch, auch wenn sie auf einige Landkreise zutreffen mag. In Chemnitz und Dresden gab es zwar leichte Anstiege. Aber in Chemnitz blieb die Zahl noch unter dem Spitzenwert von 2012. Dresden hatte zwar so eine Art Rekord.

Aber wer die Dresdner Kurve mit der Leipziger vergleicht, der sieht, dass die Dresdner Zahlen noch deutlich niedriger liegen. Man sieht aber auch, dass die Zunahme der Wohnungseinbrüche nicht 2014 begonnen hat, sondern um die Jahre 2006/2007. Und das, nachdem die Fallzahlen gerade in Leipzig vorher deutlich zurückgegangen waren. Das alles deutet darauf hin, dass der Versuch der Innenminister, das Phänomen mit reisenden Einbrecherbanden zu erklären, höchstwahrscheinlich falsch ist. Die mögen eine Rolle spielen – auch in Leipzig.

Doch die Kurve korrespondiert mit zwei anderen Phänomenen: der Einführung von „Hartz IV“ im Jahr 2005 und der folgenden Kriminalisierung von tausenden Jobcenter-Kunden, die im Lauf der Jahre mit einer zunehmenden Zahl von Sanktionen konfrontiert wurden. Sanktionshauptstadt ist ja bekanntlich Leipzig.

Und da über das eh schon knapp kalkulierte Lebensminimum sanktioniert wird, taucht natürlich die Frage auf: Wo holen sich die oft mehrfach Sanktionierten eigentlich das, was ihnen zum Leben dann fehlt? Oder gehen sie bereitwillig in das wachsende Heer von Privatschuldnern?

Das zweite Phänomen, das natürlich in dieser Zeit eine Rolle spielte, war der „Siegeszug“ von Crystal Meth, der Droge, die am schnellsten „durchknallt“, aber auch am schnellsten zu körperlichen und psychischen Verfallserscheinungen führt. Hier lautet das Stichwort: Beschaffungskriminalität.

Und wir gehen jetzt erst gar nicht auf die Frage ein, wie ein erhöhter polizeilicher Verfolgungsdruck bei der Jagd nach Drogendealern auf die Preise wirkt – und wie Drogensüchtige die höheren Preise dann bezahlen. Und wovon.

Deswegen überrascht es auch nicht, dass die Einbruchszahlen in der sächsischen „Armutshauptstadt“ doppelt so hoch sind wie im deutlich wohlhabenderen Dresden.

Man könnte ähnliche Grafiken auch für andere Diebstahlsarten malen und käme zu ganz ähnlichen Ergebnissen: Einem deutlichen Rückgang der Fallzahlen um die Jahrtausendwende und dann einem deutlichen Wiederanstieg nach 2005.

Es sieht also ganz danach aus, als wären die vereinigten deutschen Innenminister mal wieder auf dem Holzweg und entfalten die falsche Betriebsamkeit, während man sich mit aller Macht weigert, die tatsächlich zugrunde liegenden Ursachen anzugehen. In gewisser Weise kann man es auch so zuspitzen: Für die Sanktionspolitik der deutschen Jobcenter bezahlen etliche jener Bürger, bei denen dann eingebrochen wird. Wobei der Schaden dann ja nicht nur die schnell „vertickbaren“ Wertgegenstände betrifft, die die Einbrecher mitnehmen, sondern auch zerstörte Schlösser, Türen, Fenster. Und es wächst das Gefühl der Unsicherheit. Und wenn es um Sicherheit geht, werden Bürger zu Recht unruhig.

Nur zeugt es auch von ministerieller Ignoranz, wenn man den Bürgern dann erzählt, dass man der Sache mit polizeilicher Emsigkeit Herr wird. Bei Aufklärungsquoten um 20 Prozent? Das ist ein Witz. Genauso wie dieses hemdsärmelige „Einbruchsmafia“, das die sächsische CDU in die Welt posaunt.

Man muss an die Ursachen gehen. Aber welche Minister geben schon gern zu: Eigentlich haben wir das selbst verbockt?

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