Die einen jubelten am Dienstag, 23. August, gleich nach der Haushaltsklausur. Die anderen reagierten sofort: Etikettenschwindel! - Gejubelt hatte die SPD. Und man versteht ja auch den Jubel: Nachdem in Sachen sozialer Wohnungsbau in Sachsen seit Jahren gar nichts ging, konnte Albrecht Pallas am Dienstag verkünden: Jetzt gibt es endlich wieder Geld dafür.

„Mit dem vorliegenden Entwurf für den Doppelhaushalt 2017/18 ist uns ein Paradigmenwechsel gelungen. Endlich wird der Freistaat wieder ein Programm für den sozialen Wohnungsbau auflegen. Das ist ein klarer Erfolg unserer Politik“, erklärte Pallas, der in der SPD-Fraktion im Landtag Sprecher für Wohnungsbau und Stadtentwicklung ist. Die Zahlen stehen jetzt im Haushaltsentwurf der Regierungskoalition für 2017/2018.

Und die SPD schreibt sich wohl mit Recht zu, den Gesinnungswandel in der Regierung endlich bewirkt zu haben, gegen alle Widerstände.

„Da immer mehr Menschen in die sächsischen Ballungsräume ziehen, besteht die Gefahr, dass bezahlbarer Wohnraum knapp wird. Dieser Herausforderung werden wir mit dem neuen Programm zur sozialen Wohnraumförderung begegnen. Neben den etablierten Instrumenten der Wohnungsbauförderung, die zumeist als Darlehen ausgereicht werden, brauchen wir neue Möglichkeiten, um den Anreiz für Investitionen zu erhöhen“, erklärte Pallas. „Deshalb sind im jetzt vorliegenden Regierungsentwurf rund 106 Millionen Euro für die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum vorgesehen. Diese Mittel sollen in Form von Zuschüssen an die Bauherren ausgereicht werden – wenn diese sich im Gegenzug verpflichten, für einen bestimmten Zeitraum ihre Wohnungen zu günstigen Mietpreisen anzubieten.“

Aber dass die sächsische Regierung doch wieder zuerst ans Umverteilen in andere Töpfe denkt, rief sofort die Grünen auf den Plan. Nicht einmal die Mittel, die der Bund extra für sozialen Wohnungsbau bereitstellt, werden komplett weitergereicht. Als wenn Sachsens Regierung bei Wohnungsbau nur an Eigenheime für Besserbetuchte denken kann, die die Finanzkraft haben, auch Darlehen aufzunehmen.

Da fühlte sich Wolfram Günther, wohnungspolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion, regelrecht veräppelt.

„Die aktuelle Jubelmeldung der SPD kommt zu früh und sie verschweigt das Kleingedruckte. Zwar wird ab 2017 eine grüne Kernforderung erfüllt und erstmals seit 15 Jahren wieder Bundesmittel für soziale Wohnraumförderung investiert. Allerdings sollen dabei nicht einmal die Hälfte der eigentlich vom Bund für sozialen Wohnungsbau bereitgestellten Gelder genutzt werden. Hier streut die SPD den Menschen in Sachsen Sand in die Augen“, stellt Günther fest.

Der Freistaat erhält in den Jahren 2017 und 2018 insgesamt rund 119 Millionen Euro vom Bund für die soziale Wohnraumförderung, pro Jahr also rund 59 Millionen, wie gehabt. Dazu addieren sich in den beiden nächsten Jahren insgesamt 115,2 Millionen Euro. Diese Aufstockung wurde in den Bund-Länder-Gesprächen im Juli 2016 erreicht. Für Sozialen Wohnungsbau müssten also jetzt jedes Jahr 117 Millionen Euro zur Verfügung stehen. Stehen sie aber nicht, weil Sachsens Innenminister auch alle anderen Wohnungsbauförderungen mit in die Summe hineinquetschen will.

„Diese Mittel für die soziale Wohnraumförderung hat Sachsen auch bitter nötig. Denn seit 2001 wurde in Sachsen kein Sozialwohnungsbau mehr gefördert“, erklärt Günther. „Doch die CDU/SPD-Koalition in Sachsen will von den insgesamt 234,2 Millionen Euro nur 106 Millionen Euro für den sozialen Wohnungsbau ausgeben, also nicht einmal die Aufstockung des Bundes vollständig einsetzen. Der Rest der Mittel wird wie bisher in verschiedenen Darlehensprogramm ausgegeben, nicht aber in die eigentlich vom Bund anvisierte Förderung des sozialen Wohnungsbaus.“

Er verweist dabei auf den dramatischen Rückgang von Sozialwohnungen in Sachsen − allein in Leipzig ging die Zahl der Sozialwohnungen von knapp 45.000 im Jahr 2010 auf 391 im Jahr 2015 zurück. Das gesamte vom Bund bereitgestellte Geld für soziale Wohnraumförderung müsse auch dafür ausgegeben werden, fordert der Abgeordnete.

Bei den im Haushaltsentwurf eingestellten 106 Millionen Euro im Titel ‚03 23/ 893 02 Zuschüsse für die Wohnraumförderung‘ lohne der Blick ins Kleingedruckte. In den Erläuterungen sei zu lesen, dass aus diesem Topf nicht nur Zuschüsse zur sozialen Wohnraumförderung (mit Mietpreis- und Belegungsbindung), sondern auch Zuschüsse zur barrierearmen Anpassung von Mietwohnungen sowie Zuschüsse für wohnungswirtschaftliche Modellprojekte ausgegeben werden sollen.

„Um hier Transparenz herzustellen, habe ich mehrere Kleine Anfragen an Innenminister Markus Ulbig (CDU) eingereicht. Ich möchte wissen, in welcher Höhe tatsächlich die Schaffung von Sozialwohnungen in den nächsten beiden Jahren gefördert wird, wie viele Wohnungen mit dem Geld entstehen sollen und warum die Staatsregierung sich weigert, die vollständige vom Bund zur Verfügung gestellte Summe einzusetzen“, sagt Günther. „Auch beim angestrebten Förderprogramm sind die Details noch unklar. Wir fordern, dass ein Zuschuss von Fördergeldern nur gewährt wird, wenn dadurch möglichst langlaufende Belegungsrechte garantiert werden. Auch hier verlange ich von der Staatsregierung Auskunft.“

Wenn alles so bleibt, wie jetzt geplant, werden es vor allem die Städte Dresden, Leipzig und Chemnitz sein, die sich in die für sozialen Wohnungsbau bereitgestellten 106 Millionen Euro teilen würden, weil hier wieder erhöhter Bedarf am Bau preiswerter Wohnungen besteht. Da das die Summe für zwei Jahre ist, fallen pro Jahr 53 Millionen Euro an, für eine Stadt wie Leipzig also etwas über 20 Millionen Euro, was ungefähr 200 geförderten Wohnungen entsprechen würde.

Gebraucht aber werden – wenn Leipzigs Wachstum so weitergeht – zwischen 1.000 und 1.500 Wohnungen mit Belegungsbindung pro Jahr, was 100 bis 150 Millionen Euro allein für Leipzig bedeuten würde. Der Freistaat versucht also ein weiteres Mal, die Mittel knapp zu halten und das Thema auszusitzen.

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