Wenn Ämter und Verwaltungen nicht wollen, dann wollen sie nicht. Und ein nachhaltiger Hochwasserschutz gehört zu den Dingen, die Ämter und Verwaltungen in Sachsen nicht wollen. So direkt sagt es Umweltminister Thomas Schmidt (CDU) nicht. Aber seine Stellungnahme zu einem Antrag der Grünen-Fraktion liest sich genau so. Im August schon hatte der umweltpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion, Wolfram Günther, die sächsische Hochwasserpolitik heftig kritisiert.

Da hatte die Grünen-Fraktion gerade ihren Antrag eingereicht, mit dem die eingefahrene Hochwasserschutzpolitik in Sachsen geändert werden sollte. „Ökologischen Hochwasserschutz in Sachsen stärken, deutlich mehr Überschwemmungsflächen an sächsischen Gewässern schaffen“ hieß der und wäre – wenn ihn der Umweltminister ernst genommen hätte – auf ein landesweites Erfassungssystem für alle möglichen Überschwemmungsflächen sächsischer Flüsse hinausgelaufen. Digital, für alle einsehbar, eine echte öffentliche Retentionsraumbilanz.

Unmöglich, erwidert der Minister. „Die Erstellung einer digitalen fortschreibbaren öffentlichen Retentionsraumbilanz ist aus sachlichen Gründen nicht realisierbar, weil nicht für jedes hier dann zu registrierende Vorhaben Retentionsraumberechnungen vorliegen beziehungsweise vom Vorhabenträger zu fordern sind. Eine mögliche Retentionsflächenbilanz, beschränkt auf alle genehmigungspflichtigen Sachverhalte, würde eine Meldepflicht sämtlicher Vorhabenträger oder Genehmigungsbehörden erfordern. Hierfür liegen gegenwärtig keine rechtlichen Voraussetzungen und überdies keine Bearbeitungskapazitäten vor.“

Womit Thomas Schmidt ein Bild malt, das so nicht zutrifft. Worauf er auch später zu sprechen kommt. Denn sämtliche – wirklich sämtliche – sächsischen Kommunen sind heute schon per Gesetz verpflichtet, die potenziellen Überschwemmungsflächen in ihrem Stadtgebiet auszuweisen. Und zwar nicht nur die vor den Deichen, sondern auch alle hinter den Deichen. Die Kommunen wissen also über die möglichen Überschwemmungsflächen in ihrem Gebiet sehr gut Bescheid. Und es wäre für den Freistaat keine Hürde, sie ebenso anzuweisen und in diesen potenziellen Überschwemmungsgebieten sämtliche möglichen (wieder) herstellbaren Retentionsflächen für die Flüsse zu definieren.

Aber genau das ist der Punkt, wo auch Thomas Schmidt zurückschreckt vor der vermeintlichen Macht hunderter kleiner Provinzfürsten, die sich dagegen wehren – selten in aller Öffentlichkeit, dafür umso beharrlicher hinter verschlossenen Türen, wo auch ihre Wähler nicht mitkriegen, warum sie so handeln. Denn tatsächlich spielen sie da nicht nur mit dem Geld der Bürger, sondern auch mit ihrer Sicherheit.

Was da abläuft, deutet Schmidt an, wenn er zum wiederholten Mal erzählt, wie die noch 2002, nach dem damaligen „Jahrhunderthochwasser“ als zwingend beschriebenen Ausweitungsräume der Flüsse immer weiter zusammenschrumpften, weil die Stellwerkmeister vor Ort ihr Veto einlegten. Anfangs wurden ja bekanntlich sogar 13.000 Hektar neu zu schaffender Überschwemmungsfläche für möglich gehalten. Die schnurzelten dann im ersten Rutsch 2003 schon mal auf 7.519 Hektar zusammen.

Und auch die erleben eine weitere Schrumpfkur, wie Schmidt erläutert: „Nach Bericht der Landestalsperrenverwaltung (LTV) sind von den 49 Fachvorschlägen der Hochwasserschutzkonzepte zur Retentionsraumschaffung mit insgesamt 7.519 Hektar Fläche gegenwärtig sechs Maßnahmen mit 188 Hektar Fläche fertiggestellt, eine Maßnahme mit 1.436 Hektar im Bau (Polder Löbnitz), 22 Maßnahmen mit insgesamt 3.356 Hektar in Planungs- beziehungsweise Planfeststellungsverfahren.“

Macht knapp 5.900 Hektar, von denen 3.356 Hektar nach 14 Jahren immer noch in der Planungsphase feststecken, weil sie immer als nachrangig gegenüber Deichneubau behandelt wurden. Für „weitere acht Maßnahmen im Umfang von 1.206 Hektar war wegen zu geringer Priorisierungsergebnisse im Rahmen des Hochwasserschutzprogramms bisher keine weitergehende Untersuchung möglich.“ Der Satz sagt eigentlich alles über die Prioritäten in Sachsen. Aber so beiläufig deutet Thomas Schmidt auch an, dass weitere Projekte am stillen und zähen Widerstand vor Ort gescheitert sind: „Insgesamt zwölf Maßnahmen über 1.333 Hektar werden aufgrund vertiefter Prüfungen wegen fehlender technischer Machbarkeit, Akzeptanz oder Wirtschaftlichkeit derzeit als nicht durchführbar eingeschätzt.“

Womit er den Grünen-Antrag eigentlich bestätigt: Sachsen braucht ein digitales Kataster, in dem alle überhaupt realisierbaren Überschwemmungsräume für die Flüsse verzeichnet sind. Was ja noch nicht bedeutet, dass sie auch alle umgesetzt werden. Das Problem derzeit ist, dass die derzeit gehandelten 7.519 Hektar als Maximalfläche, die herstellbar ist, gehandelt werden. Was schlicht zu wenig ist, wenn Sachsen für „Jahrhunderthochwasser“ tatsächlich gerüstet sein will, ohne jedes Mal Milliardenschäden reparieren zu müssen.

Dass das auch Privateigentum berührt, war auch vor Schmidts Antwort klar. Hunderte Kommunen haben gerade in den vergangenen 25 Jahren Bauland mitten in Überschwemmungsgebieten ausgewiesen und damit erst die teuren Hochwasserschutzmaßnahmen der Gegenwart erzwungen. Das kann aber keine Lösung für die Zukunft sein. Denn dann frisst allein der Hochwasserschutz Gelder, die für andere Infrastrukturen im Land viel dringender gebraucht werden.

Das Umdenken muss also auf Seiten des Gesetzgebers passieren. Aber das will zumindest der Umweltminister derzeit nicht. Der steckt noch immer im alten Denken, das vor allem versucht, die wenigen verbliebenen Überschwemmungsgebiete vor weiterer Zersiedelung zu bewahren.

Thomas Schmidt: „Hierzu ist zunächst darauf hinzuweisen, dass das verwaltungsrechtliche Handeln im Freistaat Sachsen nicht vorrangig auf den Ausgleich von verloren gehenden Retentionsflächen durch Vorhabenträger sondern auf die Vermeidung des Verlustes solcher Flächen gerichtet ist. Das betrifft das Verbot neuer Baugebiete und die Beschränkung des Bauens in Überschwemmungsgebieten (§ 78 Abs. 1 WHG, SS 72, 73,74 Sächsisches Wassergesetz (SächsWG) ebenso sowie die Beschränkung neuer Baugebiete und die Forderung hochwasserangepasster Bauweisen in überschwemmungsgefährdeten Gebieten (§ 75 Abs. 6 SächsWG).§

Dass das zu wenig ist, haben praktisch alle Hochwasser seit 2002 gezeigt.

Dabei gehen die Grünen nicht mal davon aus, dass sofort ein neues großes Rückbauprogramm aufgelegt wird. Das macht ja keinen Sinn, wenn man nicht mal eine belastbare Übersicht über das Flächenpotenzial hat. Erst wenn man weiß, welche Überschwemmungsflächen man an welcher Stelle mit welchem Effekt herstellen kann, kann man auch Prioritäten setzen. Etwas, was 2002 und 2003 eindeutig nicht passiert ist. Im jetzigen Zustand stochert aber selbst der Minister im Nebel.

Und wahrscheinlich übertreibt er auch, wenn er den Grünen die Unmöglichkeit des Aufwandes für ein echtes Überschwemmungsflächen-Kastaster vor Augen führt: „Laut Vorschlag der Antragstellerin müsste ein landesweites Retentionsflächenkataster, das potenzielle Rückhalteflächen zum funktionalen und zeitgleichen Ausgleich von Retentionsraumverlusten ausweist, erstellt werden. Fachlich gesehen würde dies sämtliche Flächen in Überschwemmungs- beziehungsweise überschwemmungsgefährdeten Gebieten umfassen, die in den Gefahrenkarten ausgewiesen sind.“

Das Thema, das Schmidt gar nicht auf dem Tisch liegen sehen will, spricht er dabei zwangsläufig an: „Nach dem Antrag wären dann alle diese überwiegend in Privateigentum befindlichen Flächen dahingehend zu prüfen, ob sie für eine retentionsraumwirksame Abgrabung oder einen Rückbau vorhandener Bausubstanz privaten oder öffentlichen Antragstellern zur Verfügung stehen. Dem stehen als rechtliche Gründe eigentumsrechtliche Schutzansprüche sowie eine fehlende Ermächtigungsgrundlage und als sachliche Gründe ein angesichts des erwartbaren beschränkten Nutzens vor dem Hintergrund des Eigentumsrechts unvertretbarer Verwaltungsaufwand entgegen.“

Eigentumsrecht geht vor Hochwasserschutz? Das ist doch mal eine Aussage. Die auch all jene Sachsen interessieren dürfte, die nicht in Überschwemmungsgebieten gebaut haben. Denn sie bezahlen ja nicht nur den aufwendigen Hochwasserschutz für die Am-Wasser-Bauer mit, sondern auch die Sanierungen nach dem Hochwasserfall.

Was wohl auch der Grund ist, warum Schmidt das Kataster nicht will. Denn es würde für alle sichtbar machen, wer da eigentlich in Überschwemmungsgebieten gebaut hat und nun nach besserem Hochwasserschutz ruft. Nachhaltig ist das nicht, weil dabei praktisch bei jedem Hochwasser die Kasse klingelt. Und es verweigert die Einsicht, dass wirklicher Schutz von Leben und Gut dauerhaft nur möglich ist, wenn etliche der Bauten aus den Überschwemmungsgebieten wieder zurückgenommen werden. Das Bewusstsein muss erst mal wachsen. In der sächsischen Regierung fehlt es noch.

Stellungnahme von Umweltminister Thomas Schmidt zum Grünen-Antrag.

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