„Das Jahr 2016 war für Sachsens Wälder ein gutes Jahr“, erklärte Sachsens Umweltminister Thomas Schmidt (CDU) am Mittwoch, 21. Dezember, bei der Vorstellung des 26. Waldzustandsberichts. Obwohl es für das Lob eigentlich keinen Grund gab. Denn tatsächlich stagniert die Entwicklung seit ungefähr 2008 und die Anpassung der sächsischen Wälder an den Klimawandel geht nicht schnell genug voran. Die Kritik gab es postwendend.

Aus ministerieller Sicht sah das Ganze recht positiv aus – so im Großen und Ganzen betrachtet. Sachsens Wälder blieben 2016 von Dürre, Extremwettern und Schädlingsbefall weitgehend verschont. Aber das kleine Warnsignal hat der Umweltminister dennoch bemerkt.

„Zu Beginn der Vegetationsperiode im Mai 2016 waren die Böden im Gebirge und Tiefland dank ausreichend Regen wieder aufgefüllt. Die hydrologischen Rahmenbedingungen waren damit für das Waldwachstum günstig. Die Temperaturen lagen an den sächsischen Waldklimastationen fast ein Grad über dem langjährigen klimatischen Mittelwert. Überregional sind massive Schadereignisse, wie Stürme oder massiver Borkenkäferbefall, ausgeblieben“, so Thomas Schmidt.

Aber das eine Grad mehr überm langjährigen Mittel ist das Warnzeichen, das Sachsens Forstleute nun seit Jahren kennen. Sachsen wird wärmer, die Sommer werden trockener, Niederschläge seltener, aber heftiger, und vor allem werden die alten Waldmonokulturen anfälliger. Was sich dann in Stressjahren umso stärker zeigt.

Das Jahr 2016 war noch ein schonendes Jahr.

Deswegen ist es eher mit Vorsicht zu genießen, wenn das Umweltministerium meldet:  Die Ergebnisse der Waldzustandserhebung weisen insgesamt auf eine stabile Vitalität der sächsischen Wälder hin. Das Niveau ist seit dem Jahr 2008 weitgehend gleichbleibend. Der mittlere Nadel- und Blattverlust für alle Waldbäume hat sich im Vergleich zum Vorjahr etwas verringert. Bei der Buche hat die starke Fruchtbildung in diesem Jahr den höchsten Wert seit der Waldzustandserhebung im Jahr 1991 erreicht. Dies trägt jedoch auch wesentlich zu einem Anstieg des mittleren Blattverlustes bei.

Das klingt alles eher nach: „Keine Sorge!“

Aber Wolfram Günther, umweltpolitischer Sprecher der Grünen im Landtag, sieht die Botschaft hinter den beruhigenden Worten.

„Der sächsische Wald ist im Dauerstress. Sein Zustand ist wie seit Jahren auf einem niedrigen Niveau“, fasst er das zusammen, was er im neuen Waldzustandsbericht findet. Der ja nur deshalb nicht auffällt, weil die Stresssymptome auch in den Vorgängerberichten abgebildet waren. Man kann sich dran gewöhnen, aber das sollte eigentlich keine Handlungsmaxime sein, wenn man weiß, dass ein Großteil der sächsischen Wälder gegenüber den zu erwartenden Extremen eben nicht resistent ist.

Laut aktuellem Waldzustandsbericht ist deutlich weniger als die Hälfte der sächsischen Waldbäume als gesund einzustufen. Mit 47 Prozent „deutlichen Schäden“ (Schadstufen 2 – 4) geht es ausgerechnet der dringend benötigten Laubbaumart Buche in Sachsen deutlich schlechter.

„Es gibt keinen Grund zur Entwarnung. Auf der Hälfte der rund 200.000 Hektar des Staatswaldes wachsen Fichten außerhalb ihres natürlichen Verbreitungsgebietes. Immer noch überwiegen artenarme Monokulturen von Nadelbäumen. Diese sind besonders anfällig gegen Trockenheit und Schädlingsbefall. Vom Ideal naturnaher struktur- und artenreicher Wälder sind wir noch sehr weit entfernt“, interpretiert Günther die Werte.

Denn noch immer ist Sachsen von den Ein-Kultur-Wäldern des vergangenen Jahrhunderts geprägt. Der Waldumbau hin zu stabileren Mischwäldern geht viel zu langsam vonstatten.

Die Fichtenbestände im Flachland müssen durch größere Anteile von Laubbäumen ersetzt werden, betont der Grünen-Abgeordnete. Laubbäume nehmen aktuell allerdings lediglich ein Drittel Waldfläche des Freistaates Sachsen ein. Der Flächenanteil der natürlicherweise vorkommenden Hauptbaumarten Eiche und Buche beträgt zusammen sogar weniger als 15 Prozent. Das ist viel zu wenig.

„Wenn die Staatsregierung das Ziel eines naturnahen, standortgerechten Laub- und Mischwaldes erreichen will, dann müsste sie allerdings beim Waldumbau entschlossener handeln“, zieht Günther sein Fazit. „Die Waldumbaufläche lag in den letzten Jahren zwischen 1.300 und 1.500 Hektar pro Jahr. Geht es in dem Tempo weiter, braucht es noch 100 Jahre, um den sächsischen Wald für den Klimawandel fit zu machen. Um den Waldumbau voranzubringen, ist eine deutlich konsequentere Bestandsregulierung des Schalen- und des Schwarzwilds nötig. Ziel ist dabei die standortgemäße Verjüngung ohne Zäune.“

100 Jahre Zeit hat Sachsen aber nicht, wenn die Klimaerwärmung weiter in dem Tempo fortschreitet. Dann gibt es die starken Trocken-Stress-Zeiten schon Mitte des Jahrhunderts. Und auch bei Starkregenereignissen fehlen heute schon wichtige Wasserrückhaltepotenziale. Laubwälder sind deutlich speicherfähiger als Nadelwälder.

„Den in den letzten Jahren deutlich gesteigerten Holzeinschlag im Staatswald sehen wir kritisch“, sagt Günther und kritisiert damit vor allem die Art und Weise, wie der Freistaat seinen Wald bewirtschaftet, statt ihn resistenter zu machen. „Aktuell zeigt sich immer mehr, dass die sächsische Forstwirtschaft voll auf Rationalisierung setzt – mit immer größeren bodenverdichtenden Maschinen, mit immer größeren Revieren und offenbar auch wieder mit mehr Kahlschlägen.“

Der verstärkte Holzeinschlag hat freilich mit den gesunkenen Holzpreisen zu tun. Wenn man Wald rein wirtschaftlich betrachtet, kommt man auf einmal unter Zugzwänge, die mit nachhaltigem Waldumbau nicht viel zu tun haben.

Und auch nicht mit der Wiederherstellung ursprünglich reicher Lebensräume. Die lassen sich ja nicht bewirtschaften und passen deshalb so schlecht in eine betriebswirtschaftliche Bilanz.

„Der Erhalt der Biodiversität muss im sächsischen Wald eine viel größere Rolle als bisher spielen. Wenn wir das Ökosystem Wald auch in Zeiten des Klimawandels erhalten wollen, dann müssten wir der Regenerationsfähigkeit und Stabilität des Waldes wesentlich mehr Raum einräumen“, erklärt Günther. Die Botschaft will ja augenscheinlich nicht wirklich ankommen im zuständigen Ministerium, wo man sehr wohl um die Verluste an Biodiversität weiß – aber zögert und zaudert, das wirklich zur Grundlage eines anderen Denkens zu machen, egal, ob es um Wälder, Landwirtschaft oder Naturschutzgebiete geht.

„Wir Grünen“, sagt Günther, „wollen den Anteil der Waldflächen, in denen natürliche Prozesse ungestört ablaufen können, die also von der Nutzung durch die Forstwirtschaft ausgeschlossen sind, mittelfristig im Staatswald auf zehn Prozent erhöhen. Wir brauchen dringend ökologische Mindeststandards für eine naturnahe Waldwirtschaft.“

Und dann setzt er noch eins drauf im Möchtegern-Heimatland der Nachhaltigkeit: „Es reicht nicht, wenn Minister Schmidt nur über Nachhaltigkeit redet – es ist endlich Zeit zum Handeln. Deshalb fordern wir Grünen, dass die sächsischen Staatswälder endlich nach den internationalen Kriterien für verantwortungsvolle Waldwirtschaft des „Forest Stewardship Council“ (FSC) bewirtschaftet werden. Nach den anspruchsvollen ökologischen und sozialen Qualitätsstandards wurde bisher allerdings erst ein Prozent der sächsischen Waldfläche zertifiziert. Zeit zum Handeln, Minister Schmidt!“

Da helfe der Blick über den Tellerrand, sagt er: „Die Wälder der Bundesländer Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen, Hessen, Baden-Württemberg, Hamburg, Schleswig-Holstein und Berlin sowie zahlreiche Gemeinde- und Privatwälder sind bereits nach den Standards des FSC zertifiziert. Leitbild der angestrebten Wirtschaftswälder beim FSC-Siegel sind naturnahe Waldökosysteme, die sich bezüglich Baumartenzusammensetzung, Vorrat, Dynamik und Struktur den natürlichen Waldgesellschaften annähern.“

Aber Sachsenforst setze nur auf die Alibi-Zertifizierung des „Programme for the Endorsement of Forest Certification Schemes“ (PEFC).

Wolfram Günther: „Das PEFC-Siegel wurde von der Holzindustrie Mitte der 1990er Jahre eingeführt, weil ihr die auf die Initiative von Umweltverbänden zurückgehende FSC-Zertifizierung zu ökologisch-anspruchsvoll und zu teuer war. Insofern ist PEFC faktisch als Mogelpackung zu betrachten.“

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