Am Mittwoch, 15. März, fand der Sächsische Landtag auch ein bisschen Zeit, um über Europa zu reden. Man vergewisserte sich eher der eigenen Positionen und hinterfragte – zum Teil – den Versuch populistischer Akteure, das Projekt EU nach 60 Jahren zu demontieren. Eine erinnerte daran, dass Europa erst einmal keine Frage des Geldes ist.

„Das bevorstehende Jubiläum rückt Europa verstärkt in den Fokus der gesellschaftlichen Diskussion. Wir haben die Möglichkeit, auf das Fundament und die Leistungen der EU als Solidargemeinschaft zurückzublicken. Wir müssen mit den Bürgern aber auch intensiver in eine Reformdiskussion einsteigen. Das ist notwendig, denn die EU hat sich in den vergangenen Jahren zu weit von den Menschen entfernt“, meinte der europapolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Marko Schiemann.

Welche Reformen er vorschlägt, teilte er freilich nicht mit. Er meinte eher, Sachsen müsse sich lautstark zu Wort zu melden: „Denn Fakt ist: Mit unseren Nachbarländern Tschechien und Polen repräsentieren wir eine starke Region und sind mit unserer positiven Entwicklung Beispielgebend für ganz Europa! Für mich sind starke Grenzregionen und eine gute Zusammenarbeit deshalb das beste Fundament, um eine weitere Zentralisierung in Europa zu verhindern.“

Schöne Worte – aber auch falsche. Denn so zentralisiert wie heute war die EU auch schon vor 20 und 30 Jahren. Und mit der Fokussierung der sächsischen CDU auf die Grenzregion wird etwas deutlich, was richtig Wirtschaftswachstum kostet: die fehlende Zusammenarbeit in Mitteldeutschland.

Die Schwäche Europas beginnt mit der Schwäche der Regionalparteien.

Sozialpolitik als fünftes Rad am Wagen

Dabei gibt es wirklich brennende Themen, die mit deutlich mehr Ehrgeiz angepackt werden müssten.

„Es ‚brennt‘ an allen Ecken und Enden in Europa. Ein schlichtes ‚Weiter so‘ geht nicht. Auch die damaligen Verträge sind in einer Krise entstanden. Abbau von Feindseligkeiten und Konfrontation war das Ziel, Frieden das stärkste Motiv“, erklärte Rico Gebhardt, Vorsitzender der Linksfraktion, mit Bezug auf die Römischen Verträge von 1957. „EU-Kommissionspräsident Juncker hat aktuellen Handlungsbedarf erkannt.“

Und dann kam er auf das zu sprechen, was Schiemann mit der Floskel von der Zentralisierung abgetan hatte: „Unsere Perspektive: Seit langem steht nur der Binnenmarkt im Vordergrund. Zu sehr ist der EU-Einigungsprozess Regierungswerk, Sozialpolitik war zu allen Zeiten das fünfte Rad am europäischen Wagen. Das aber ist der Hauptgrund der Abwendung breiter Kreise der Bevölkerung in den europäischen Ländern von der EU. Die Ursache dieser ‚Glaubenskrise‘ steckt gewissermaßen schon in den Geburtsfehlern der Römischen Verträge. Das muss jetzt in den Mittelpunkt gestellt werden: die Verteidigung der universellen Friedensidee, damit ist Aufrüstung gegen andere Länder unvereinbar. Es muss um Menschen, nicht um Banken gehen. Das Europa der von egoistischen Motiven geleiteten nationalen Regierungen ist gescheitert. Wir brauchen eine Republik Europa mit starken Regionen, sozial, solidarisch, ökologisch und friedlich.“

Ein Thema, das auch die grüne Landtagsabgeordnete Dr. Claudia Maicher aufgriff.

Wer nur aufs Geld schielt, hat Europa nicht begriffen

„Worüber wir in dieser Debatte bisher nur wenig gehört haben, ist die mutige Sicht auf die Zukunft der europäischen Integration. Das wundert insofern auch nicht, als es auch in Sachsen in 28 Jahren europäischer Einigung in West und Ost nicht ansatzweise gelungen ist, Begeisterung für den Einigungsprozess zu fördern. Schon immer – und so befürchte ich auch mit Blick auf die Kohäsionspolitik der EU nach 2020 – geht es in erster Linie darum, möglichst viele Transfermittel nach Sachsen zu leiten“, benannte sie den Grundfehler auch in der Sicht von Schiemann. „Auch wenn das nicht nur legitim, sondern in der Regel gut für die Menschen im Freistaat ist. Und auch wenn ich den vorausschauenden Einsatz des Staatsministers in dieser Hinsicht zu schätzen weiß. So darf sich doch hieran nicht das sächsische Handeln mit Blick auf Europa erschöpfen. Dieses einseitige Versteifen auf Förderprogramme und deren Vereinfachung hat in der Europapolitik Sachsens zu einer Selbstlähmung geführt. Statt die Zukunft Europas in den Blick zu nehmen, diskutiert der Europaausschuss viel zu oft nur über europäische Gesetze, die sich in erster Linie als problematisch für Sachsen erweisen könnten. Der Subsidiaritätsmechanismus wird als Selbstverteidigungsinstrument der Landessouveränität politisch aufgebläht, statt als Mitwirkungsrecht verstanden.“

Das kann schon frustrieren, weil es Sachsen im politischen Betrieb immer wieder in die defensive Nein-Sager-Rolle drückt.

Wobei es nicht allein ist. Auch andere Regierungen tun alles dafür, dass der Gestaltungsspielraum für das Europa-Parlament nicht wächst. Das Ergebnis beschreibt Claudia Maicher so: „Leider funktioniert das Europa-Blaming in sich auch noch wunderbar. Denn Konservative und Sozialdemokraten haben im Europaparlament und im Rat seit Lissabon nichts unternommen, um das Europäische Parlament gegenüber den Exekutivorganen, den Rat und Europäischen Rat zu stärken. Die Regierungen bestimmen die europäische Politik.“

Ihre Hoffnung richtet sich eher nicht auf die Landesregierung.

„Derzeit erleben wir in Sachsen, dass Menschen sich ein Herz fassen, gegen den Stillstand oder gar das schleichende Abwickeln des Integrationsprojektes ihre laute Stimme zu erheben. Ich selbst habe in Leipzig an den Kundgebungen von Pulse of Europe teilgenommen und kann es allen Pro-Europäern und Pro-Europäerinnen nur empfehlen, auf den sonntäglichen Kundgebungen die Stimmen des menschlichen, des freien und einigen Europas der Bürgerinnen und Bürger zu hören. Und dieses Sich-Trauen, für Europa einzustehen, das ist es, was viele überzeugte Europäerinnen und Europäer in den 10 vergangenen Jahren seit dem Scheitern des Verfassungsvertrages für Europa kaum mehr erlebt haben.“

Heute ist wieder Pulse of Europe-Tag

Am heutigen Sonntag, 19. März, um 14:00 Uhr, findet wieder eine Kundgebung der Bürgerinitiative „Pulse of Europe“ in Leipzig statt. Treffpunkt ist, abweichend von den beiden letzten Sonntagen, ab jetzt der Nikolaikirchhof. In Leipzig wird Michael Fischer-Art zu den Teilnehmern über Europa sprechen. Gleichzeitig finden in 45 weiteren Städten in Deutschland und in Städten sieben weiterer europäischer Länder ebenfalls Kundgebungen von „Pulse of Europe“ statt.

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