Es mag ihnen noch nicht so vorkommen, doch es ist schon wieder, ja, schon wieder, also wie eigentlich andauernd, lediglich manchmal weniger, aber öfter mehr, Wahlkampf. Jedenfalls surrt der Elektromagnet der demokratischen Beteiligung schon wieder so laut, dass es die Kräfte der PARTEI an die unmöglichsten Orte heranzieht. Diesmal: Chemnitz.

Die dereinst mit dem strahlkräftigen Titel „Karl-Marx-Stadt“ versehene Seniorenresidenz Chemnitz bietet tatsächlich allerbeste Voraussetzungen für ein gelungenes Treffen von trinkfreudigen, vor Phantasie und Welthass sprühenden PARTEI-Funktionierenden.

Denn KMS ist nicht nur arschgünstig, sondern auch noch mit kleinen, in Opposition zu den sächsischen Verhältnissen stehenden Inseln der Widerständigkeit versehen. Auf einer davon tagten und tranken die Genossen 36 Stunden lang, nämlich dem Subbotnik, um die kommende Wahlsause zu erörtern. Selten waren wir früher dran, denn erst am 9. Juni 2024 (bitte schonmal vormerken, liebe Leserinnen) sind Europawahlen!

Wer nun in die Welt schaut, wird schnell erkennen, dass sie sich in einem beklagenswerten Zustand befindet. Dass der Europäische Kontinent in Sachen Faschisierung, Monopolkapitalismus und ideologischem Staatsgebahren sich vor der Welt nicht verstecken muss – auch klar. Mit wehenden Konzernfahnen der Fossilwirtschaft – von Erdöl bis Verbrennermotor – stampfen wir in Richtung Klimakrise, nein, wir stampfen ja bereits in der Krise.

Die PARTEI freuts, denn unsere Farbe ist bekanntlich grau, und wenn der kleine Erdenball so weiterbrennt, ist’s bald wirklich alles grau um uns herum. Für die aktuelle Datenlage verweise ich auf die Vorträge vom nordrhein-westfälischen PARTEI-Vorsitzenden und Käferologen Dr. Mark Benecke, der sehr zügig und sehr wortreich erklärt, in welchen Schlamassel wir bereits geraten sind. Kurzform: Kein Land trocknet schneller aus als Deutschland und in New York versinken die Wolkenkratzer.

Cover Leipziger Zeitung Nr. 115, VÖ 29.07.2023. Foto: LZ

Da dieses tolle Terraforming nicht möglich wäre ohne 250 Jahre Kapitalismus (wir erinnern uns: Dampfmaschine muss Kohle fressen, sonst kein Dampf, Ottomotor, Öligarchie, Autobahn, sie wissen schon), wird weder Herr Dr. Benecke, noch ihr werter Kolumnist nicht müde zu betonen: Dem Kapital ist’s egal, ob der Planet abbrennt, solange ein Reicher existiert, der einen Klimaschutzbunker kauft.  Oder wie der Namensgeber der oben genannten Sachsenmetropole schonmal sagte: „Der letzte Kapitalist, den wir hängen, wird der sein, der uns den Strick verkauft hat.“

Darum muss ich nicht einmal besonders weite Haken schlagen, um zum Hauptthema des PARTEI-Konvents zurückzukommen: das Elend der Europäischen Union. Dereinst als Staatenclub für friedliche Wertschöpfung angedacht, ist es heute genau das: Eine überdimensionale Lobbygruppe für Wirtschaftskraft, manchmal Bühne für nationalistische Alleingänge, aber immer schon Hort von Korruption und Interessenpflege. Eigentlich keine schlechte Zeit für aufspießende Satiren, hintertriebene Streiche auf Kosten der Europäischen Idee (wie ging die noch gleich genau?) und natürlich Selbstbereicherung, schließlich auch eine Form des Protestes.

Drum darf sich keiner wundern, wenn die PARTEI immer radikaler wird in ihrer Grundhaltung. Ausgebildete Statistik-Nerds haben das tatsächlich analysiert und in Befragungen herausgefunden, „Die Welt zum Besseren verändern“ sinkt in der Beliebtheit bei den PARTEI-Aktiven, dafür steigt „Die Welt brennen sehen“ signifikant an. Wenn sie also demnächst als FDP-Mitglieder verkleidete PARTEI-Menschen sich auf Fahrradwegen festkleben sehen, wird das wohl nur die erste Stufe der Radikalisierung gewesen sein.

Schickt dies hier schonmal in Kopie an den sächsischen Staatsschutz,
Ihr MP in spe a.D.
Tom Rodig

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