Als am 26. März 2017 der erste von letztlich zwei Nominierungsparteitagen der AfD Sachsen zur Bundestagswahl stattfand, musste eine renommierte Journalistin des „Spiegel“ im sächsischen Weinböhla vor der Tür bleiben. Melanie Amann, gerade mit einem neuen Buch über die AfD auf dem Markt, wurde der Zutritt und somit die Berichterstattung von der AfD für das norddeutsche Nachrichtenmagazin kurzfristig und ohne Begründung verweigert. Als der Deutsche Journalistenverband sich am 27. März in die Sache einschaltete und auf die Pressefreiheit pochte, sah sich kurz darauf Dr. Thomas Hartung (Landesvize der AfD Sachsen) zu einer Pressemitteilung zum Vorgang genötigt. Mit der Wahrheit nahm er es dabei nicht besonders genau, wie sich auf L-IZ - Anfrage beim „Spiegel“ und der Verlagsgruppe Verlag „Droemer Knaur“ herausstellte.

Für Außenstehende las sich das Statement des Landessprechers der AfD Sachsen auf den ersten Blick schlicht nur ein wenig überheblich. In paternalistischem Tonfall begründete Hartung auch auf Facebook verbreitet am 27. März 2017 die verweigerte Berichterstattungsmöglichkeit der Buchautorin mit den Worten, die AfD habe „Melanie Amann die Akkreditierung verweigert, um sie vor sich selbst zu schützen: sie musste bereits mehrere strafbewehrte Falschbehauptungen über die AfD anerkennen.“

Man könnte denken – ok, jeder macht mal Fehler, auch Melanie Amann ist natürlich nicht frei davon. Gekennzeichnet waren diese Ausführungen als wörtliches Zitat von Hartung selbst.

Als ehemaliger Fernsehjournalist beim lokalen Sender „Sachsen Fernsehen“ weiß Dr. Thomas Hartung um die Schwere der seinerseits getätigten Aussagen, wenn es um das öffentliche Ansehen und die Glaubwürdigkeit von Journalisten geht. Auf die L-IZ–Rückfrage hin, ob Hartung Belege liefern könne, Melanie Amann würde falsche Tatsachen über die AfD verbreiten und hätte dies bereits mehrfach einräumen müssen, wurde es jedoch ruhiger seitens des sonst rührigen Pressesprechers.

Dann folgte ein Schritt zur Seite

Mit etwas Verzögerung übermittelte Hartung den kurzsilbigen Hinweis, man möge sich sein wörtliches Zitat nun vom AfD-Bundesverband, dort verantwortlich Pressesprecher Christian Lüth (Ex-FDP, heute AfD), erklären lassen. Hartung gegenüber L-IZ.de: „ … dazu äußert sich der Landesverband nicht. Bitte wenden Sie sich dazu an den Bundesverband.“ Auf die nochmalige Rückfrage, wie man zukünftig mit Hartungs Zitaten in offiziellen AfD-Versendungen als verantwortungsvolle Presse zumal in Wahlkampfzeiten umgehen solle, schwieg Hartung. Und dies immerhin, nachdem er sich selbst in einer bundesweit bekannten Sache zu Wort gemeldet hatte.

Auch Christian Lüth sah sich als Pressesprecher der AfD Deutschland bislang außerstande, Belege für die Behauptungen seines Parteikollegen zu liefern. Jedenfalls folgte auch seitens des Bundesverbandes beredtes Schweigen bis heute trotz schriftlicher Anfrage.

Reaktionen und ungläubiges Kopfschütteln

Bei der Verlagsgruppe „Droemer Knaur“ zeigte man sich angesichts der Einlassungen Hartungs eher irritiert. Doch man ahnte, worauf Thomas Hartung fälschlicherweise anspielen könnte – ein aktueller Vorgang zwischen Beatrix von Storch und dem Verlag vielleicht? Nicht also, wie Hartung behauptet, abgeschlossen und „anerkannt“, denn die Sache hat gerade erst begonnen. Und man ist seitens „Droemer Knaur“ nicht bereit nachzugeben, wenn es um das aktuelle Buch von Amann „Angst für Deutschland“ geht.

Auf Nachfrage klärte Verlagssprecherin Katharina Ilgen erst einmal eine mutmaßlich weitere Falschbehauptung Hartungs auf: „Nicht die AfD, sondern die AfD-Europa-Abgeordnete Beatrix von Storch hat uns abmahnen lassen und auch eine einstweilige Verfügung beantragt mit der die weitere Verbreitung des Buches `Angst für Deutschland` untersagt werden soll. Das Gericht hat erhebliche Bedenken, die Einstweilige Verfügung so zu erlassen.“

Im Kern dreht es sich bei dieser noch offenen Auseinandersetzung nicht um die Abmahnung der AfD. Und es geht zudem um eine einzige Passage im Buch. Die über von Storchs Äußerungen rings um die Frage, ob man nun an den neuen Mauern Europas oder Deutschlands nach der DDR-Geschichte im Zweifel wieder schießen solle. Nach wochenlanger Aufregung darum, ob nun Storch auf Twitter „mausgerutscht“ sei oder nicht, hat Amann in ihrem Buch diesen Vorgang nochmals beschrieben.

Wogegen sich von Storch nun juristisch wehrt, mit unklarem Ausgang.

„Droemer Knaur“ – Verleger Hans-Peter Übleis jedenfalls teilt zur aktuellen, also nicht abgeschlossenen Juristerei mit: „Wir werden mit allen rechtlichen Mitteln gegen diesen Versuch, den Verkauf des Buches zu stoppen vorgehen. Melanie Amann ist eine exzellente Journalistin, die fundiert und sorgfältig recherchiert. Der Vorwurf, unwahre Tatsachen zu behaupten, ist haltlos. Im beginnenden Wahlkampf ist `Angst für Deutschland`, das hinter die Kulissen der AfD blickt und die Partei kritisch und umfassend analysiert ein wichtiger Beitrag zum politischen Diskurs.“

„Anerkannt“ ist gar nichts …

Da sich Thomas Hartung und die Bundes-AfD bislang nicht bereit sahen, Belege für die pauschale Einordnung, Amann hätte mehrfach Unwahrheiten über die AfD verbreitet, vorzulegen, konnte man nur weiterfragen. Und so kam als letzte Adresse noch der „Spiegel“ infrage. Die Journalistin hat hier neben etwaigen Buchveröffentlichungen ihre ausschließliche publizistische Heimat. Womit nur hier noch ein Beleg der Aussagen Hartungs zu finden wäre. Der „Spiegel“ beriet sich daraufhin mit der Rechtsabteilung.

Was die Hamburger Kollegen dazu zu sagen hatten, lassen wir jetzt einfach mal am Ende des Beitrages nach dem Fazit stehen. Und würzen ausschließlich mit der Überschrift nach: „Wer zweimal lügt …“ Garniert mit folgender Passage, denn einige Worte der ursächlichen Presseversendung des sächsischen Pressesprechers Thomas Hartung für die AfD sind eher selbstentlarvend.

„Da beim Publikum aber diese Falschbehauptungen haften bleiben, ist es drittens das gute Recht jeder Organisation von der international agierenden AG bis zum Karnevalsverein, das mediatisierte Image positiv zu beeinflussen.“

Ein Eingeständnis der AfD Sachsen vielleicht (wo sie vorgeblich Amann meinte), dass sie ihre Wähler selbst für so dumm hält, sie würden wirklich glauben, alle bekannteren Journalisten lügen. Und daraufhin die Falschnachrichten vorsorglich selbst produziert, wie schon der Leipziger Fall zur L-IZ selbst zeigte. Dass die AfD Sachsen bereits kostenpflichtig eingestehen musste, einfach Bilder von der L-IZ.de in eigenen Presseveröffentlichungen zu benutzen, ist seit vergangenem Freitag aktenkundig. Und belegt das kuriose Verhältnis dieser „anständigen“ Partei zur Arbeit Anderer.

Die Lügen über angebliche Äußerungen des L-IZ-Mitgründers Robert Dobschütz in einer Podiumsdebatte hat die Partei ebenfalls längst eher kleinlaut eingeräumt. Was genau besehen Lüge Nummer 3 allein hier in Leipzig macht.

Wehren dürfen sich in einem Rechtsstaat also auch diejenigen, die von der AfD zu Unrecht attackiert werden. Mal sehen, ob eine Partei, die immerhin zur Bundestagswahl antritt, sich zukünftig wie alle anderen Mitbewerber verhält. Und zum Bundesparteitag der AfD im Kölner Maritim Hotel am 22. und 23. April 2017 alle Journalisten hereinlässt.

Melanie Amann natürlich auch und besonders.

Die Antworten von Klaus Brinkbäumer, Chefredakteur „DER SPIEGEL“ auf unsere Fragen

Generelle Situation: „Nein, es gibt kein offenes Abmahnverfahren gegen den SPIEGEL-Verlag seitens der AfD, und insbesondere gab es bisher keine einzige strafbewehrte Unterlassungsklärung, die der SPIEGEL-Verlag oder Frau Amann gegenüber der AfD abgegeben hätten. Es gibt aktuell den Versuch von Beatrix von Storch, eine einstweilige Verfügung gegen das Buch von Frau Amann zu erwirken (das nicht als SPIEGEL-Buch erschienen ist, sondern bei der Verlagsgruppe Droemer Knaur), aber bisher hat das Landgericht Berlin diesem Antrag nicht entsprochen.“

Zum SPIEGEL & die AfD: „Es gab bisher auch keine Richtigstellung. Der SPIEGEL hat lediglich in einem Fall dem Anliegen der AfD-Parteijugend entsprochen, deren offizielle Sprachregelung mit Blick auf ihren Kontakt zu der Jugendorganisation von Wladimir Putins Partei zu berücksichtigen. Dabei ging es um den Satz „Offiziell lässt die Junge Alternative verlauten, dass es bereits ein Sondierungsgespräch gab und man für das geplante Jugendnetzwerk weiter das Gespräch mit der Putin-Jugend suchen werde.“ Hier der Link zu diesem Beitrag.

Zum Ausschluss vom Parteitag: „Aus Sicht des SPIEGEL-Verlags ist der Ausschluss Melanie Amanns vom Parteitag am 26. März nicht nur sachlich unbegründet, sondern er zeugt von einer inakzeptablen Haltung der Partei zur Presse- und Meinungsfreiheit in Deutschland. Hier geht es nicht um den Einzelfall unserer hervorragend, nämlich sorgfältig und präzise arbeitenden Kollegin, sondern es ist zu befürchten, dass die AfD kritische Berichterstattung grundsätzlich unterbinden möchte.“

Der DJV am 27. März 2017 zum Verhalten der AfD

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