Wer sich erinnert: Anfang September kochte in Leipzig mal wieder die Diskussion um den Einsatz des Leipziger Stadtordnungsdienstes als Stadtpolizei hoch. Ein Thema, das auch die LVZ immer wieder spielt, wenn der sächsische Innenminister Markus Ulbig (CDU) in die Kritik gerät, weil die durch ihn verantwortete Personalsituation bei der Polizei für unhaltbare Zustände sorgt im Land. Dann wird auch gern behauptet, der Ordnungsdienst müsse die Arbeit der Polizei unterstützen oder gar stellenweise ersetzen.

Was nicht wirklich möglich ist. Die Befugnisse der Landespolizei sind ziemlich deutlich getrennt von den Befugnissen des Stadtordnungsdienstes. „Ich kann auch auf die T-Shirts der Ordnungsbediensteten schreiben ‚Stadtpolizei‘, das ändert gar nichts an der Situation“, sagte OBM Burkhard Jung am 5. September in einer kurzfristig einberaumten Pressekonferenz. Anlass war die Vergewaltigung einer Joggerin im Rosental nur wenige Tage zuvor. Ein Schockmoment für die ganze Stadt. Aber es warf auch die Frage auf: Hätte das verhindert werden können?

Durch mehr Streifen von Polizei und Ordnungsdienst zum Beispiel? Beide laufen seitdem verstärkt Streife gerade im Rosental, die Polizei ist auch mit Reiterstaffel unterwegs.

Aber Burkhard Jung nahm die Gelegenheit auch wahr, um Markus Ulbig heftig für seine Polizeipolitik zu kritisieren und den allerorts spürbaren Mangel an richtigen Polizeibeamten anzuprangern. Gerade das Fehlen von Polizei sichtbar im Stadtgebiet eröffnet Räume der Unsicherheit. Und Jung wiederholte auch die Zahl 200: 200 Polizisten fehlen in Leipzig. Mindestens. „Der Zahl hat bis heute niemand widersprochen“, sagte Jung.

Der Zahl hat auch bis heute niemand widersprochen. Denn alles deutet darauf hin, dass die Lücke beim Polizeipersonal in Leipzig tatsächlich noch größer ist und eher in die Dimension 400, 500 tendiert.

Aber darüber diskutierten die üblichen Verdächtigen nach dem 5. September nicht. Stattdessen versuchte die Leipziger CDU ihren Innenminister zu verteidigen und erneuerte ihre Forderung, den Stadtordnungsdienst mit mehr Vollmachten auszustatten, ihn zu einer richtigen „Stadtpolizei“ zu machen, mit Schlagstöcken und gar Hunden auszustatten. Und in Reaktion auf Jungs Ausführungen, dass der Ordnungsdienst auch nach sächsischem Recht klare Befugnisgrenzen hat und auch nicht in den fließenden Verkehr eingreifen darf, reagierte die LVZ mit dem forschen Satz: „In Dresden hält die städtische ‚Polizeibehörde‘ auch Radfahrer im fließenden Verkehr an, etwa wenn sie ohne Licht fahren – in Leipzig dürfen sie das nicht.“

Das klang dann so, als wäre Leipzig nur zu blöd, die Ordnungsdienstmitarbeiter ordentlich einzusetzen.

Aber auch Enrico Stange, ordnungspolitischer Sprecher der Linksfraktion im Landtag, war diese Aussage neu. Im Sächsischen Polizeigesetz gibt es dazu keine Aussage. Also fragte er die Staatsregierung an, auf welcher Rechtsgrundlage da in Dresden augenscheinlich etwas möglich ist, was in Leipzig nicht geht. Geantwortet hat Innenminister Markus Ulbig, der ja nun kraft seines Amtes wissen sollte, welche Polizeibehörde was darf.

Das, was die Ordnungsdienste der Kommunen dürfen, ist in der „Verordnung des Sächsischen Staatsministeriums des Innern über die Wahrnehmung polizeilicher Vollzugsaufgaben durch gemeindliche Vollzugsbedienstete“ geregelt. Eigentlich. Denn selbst Ulbig sagt dazu eindeutig: „Darin ist lediglich in Nummer 1 die Überwachung des ruhenden Straßenverkehrs geregelt. Eine Zuständigkeit für die Überwachung des fließenden Straßenverkehrs ergibt sich demnach für den GVD (Gemeindevollzugsdienst, d. Red.) auf dieser Grundlage nicht. Eine solche Befugnis ergibt sich auch nicht aus dem Straßenverkehrsrecht, da gemäß § 36 Abs. 5 Straßenverkehrsordnung nur die Polizei im formellen Sinn – mithin in Sachsen nur der Polizeivollzugsdienst mit seinen Polizeibediensteten – zur Überwachung des fließenden Verkehrs befugt ist.“

Die gesetzliche Regelung ist also eindeutig: Der Stadtordnungsdienst darf nicht in den fließenden Verkehr eingreifen. Auch nicht in den Radverkehr.

Aber Sachsens Innenminister wäre nicht der, der er ist, wenn er nicht ein Hintertürchen gefunden hätte, das scheinbar erlaubt, was tatsächlich untersagt ist.

Markus Ulbig: „Gemäß § 163b Abs. 1 der Strafprozessordnung (StPO), welcher bei Ordnungswidrigkeiten gemäß § 46 Abs. 1 bzw. § 53 Abs. 1 OWiG entsprechend anwendbar ist, darf die gemeindliche Verwaltungsbehörde nach §§ 35, 36 Abs. 2 OWiG, § 2 oder 3 der Verordnung der Sächsischen Staatsregierung über Zuständigkeiten nach dem Gesetz über Ordnungswidrigkeiten (Anlage 2) im Rahmen des Bußgeldverfahrens die Identität des Betroffenen durch Festhalten feststellen; das Festhalten umfasst auch das Anhalten eines Verkehrsteilnehmers im fließenden Verkehr unter strenger Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit. Allerdings muss zeitlich vor dem Anhalten eine tatsächliche Verdachtslage bestehen, welche eine begangene Ordnungswidrigkeit des Betroffenen als möglich erscheinen lässt. Diese Verdachtslage darf nur beobachtet, aber nicht im Wege einer systematischen Verkehrsüberwachung im Sinne des Straßenverkehrsrechts (siehe 1. Absatz) festgestellt werden.“

Da schnurzelt dann die forsche Behauptung, der (Dresdner) Stadtordnungsdienst dürfe „auch Radfahrer im fließenden Verkehr“ anhalten, so ziemlich zusammen.

Das beginnt schon beim von Ulbig erwähnten „Grundsatz der Verhältnismäßigkeit“: Die Ordnungsbediensteten dürfen Radfahrer nicht einfach anhalten, weil sie vermuten, diese könnten sich an irgendeine Verordnung nicht gehalten haben. Sie müssen schon eine mögliche Ordnungswidrigkeit beobachtet haben. Vorher, vor dem Anhalten.

„Allerdings muss zeitlich vor dem Anhalten eine tatsächliche Verdachtslage bestehen, welche eine begangene Ordnungswidrigkeit des Betroffenen als möglich erscheinen lässt“, betont Ulbig. Das von der LVZ gewählte Beispiel „Fahren ohne Licht“ könnte so ein Fall sein: Die Ordnungsbediensteten sehen möglicherweise, dass jemand bei Dunkelheit ohne Licht Rad fährt. Dann gefährdet er sichtlich sich und andere Verkehrsteilnehmer. Die Ordnungswidrigkeit ist offenkundig. Vielleicht gehorcht er dann auch und hält an und steigt ab und ist reumütig.

Aber dann kommt dieses Festhalten: Ab wann ist es verhältnismäßig? Straßensperren darf das Ordnungsamt nicht bauen, den Verkehr anhalten auch nicht. Gewalt anwenden übrigens auch nicht. Das ist alles ganz allein der Polizei zugestanden. Es ist also ein gesetzlich sehr, sehr schmaler Grat, der Stadtordnungsbedienstete dazu berechtigt, Radfahrer wegen beobachteter Ordnungswidrigkeiten anzuhalten.

Systematisch darf es der Stadtordnungsdienst sowieso nicht. Das steckt in Ulbigs Satz: „Diese Verdachtslage darf nur beobachtet, aber nicht im Wege einer systematischen Verkehrsüberwachung im Sinne des Straßenverkehrsrechts festgestellt werden.“

Die Erwartung also, man könnte den Stadtordnungsdienst zur Überwachung des Radverkehrs einsetzen, ist völlig überzogen. Selbst die systematischen Kontrollen in den Leipziger Fußgängerzonen, wo tagsüber das Radfahren untersagt ist, erfolgen in Leipzig deshalb stets in Zusammenarbeit mit der Polizei.

Es weckt schlichtweg völlig falsche Erwartungen, wenn allgemein behauptet wird: „In Dresden hält die städtische ‚Polizeibehörde‘ auch Radfahrer im fließenden Verkehr an …“

Burkhard Jung hält diese Auslegung der Rechtslage für sehr gewagt. Und Ulbig nennt eine Reihe wesentlicher Einschränkungen. Dazu kommt, dass der Stadtordnungsdienst noch viel mehr Aufgaben hat und personell die vielen fehlenden Polizisten in Leipzig nicht wirklich ersetzen kann. Womit wir beim eigentlichen Grund der Diskussion wären, von dem mit diesen Strohfeuern immer wieder abgelenkt wird.

Die Antwort des Innenministers. Drs. 10675

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