Es war zwar eine SPD-Politikerin, die im Bundestag das Pippi-Langstrumpf-Lied sang - aber die Kunst des "Wie es uns gefällt" (eigentlich ein schönes abgewandeltes Shakespeare-Zitat) ist eher die hohe Kunst konservativer Politiker. Wie die des ehemaligen sächsischen Innenminister Markus Ulbig, der sich die Gesetze für hübsche Placebo-Maßnahmen schon mal so auslegte, wie es ihm gefiel. Stichwort: Bodycams. Ein Pilotprojekt ohne rechtliche Grundlagen.

So sieht es der innenpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion im Sächsischen Landtag, Valentin Lippmann, nach mehreren sehr detaillierten Anfragen zum Einsatz dieser Körperkameras an sogenannten gefährlichen Orten in Sachsen. Folgerichtig fordert seine Fraktion auch den sofortigen Stopp des Einsatzes von sogenannten Bodycams in Sachsen. Ein entsprechender Antrag wurde in den Landtag eingebracht.

“Ich halte den Einsatz von Bodycams an den sogenannten gefährlichen Orten in Dresden und Leipzig in dieser Form für rechtswidrig. Es fehlt an einer speziellen Grundlage im Sächsischen Polizeigesetz. Die Erprobung greift damit massiv und ohne Rechtsgrundlage in die Grundrechte derjenigen ein, die von den Aufnahmen und Aufzeichnungen betroffen sind”, sagt Valentin Lippmann, der bei den Grünen auch für das Thema Datenschutz verantwortlich ist. Und gerade beim Umgang mit den aufgezeichneten Bildern der Bodycams wird es schwierig.

Und da die Polizisten das Gerät an der Ausrüstung tragen, kommt es jetzt schon vor, dass es auch außerhalb der beschriebenen Einsatzorte auftaucht.

“Zudem befürchte ich, dass das Projekt und der Einsatz von Bodycams über die bislang bekannten Orte hinaus ausgeweitet wird. Zum einen entscheiden Polizeibedienstete mit Bodycams allein über ihren Einsatz. Ganz offensichtlich wurden Polizeibedienstete mit Kamera bereits außerhalb der sogenannten gefährlichen Orte eingesetzt. Zum anderen ist die Zahl sogenannter gefährlicher Orte in ganz Sachsen so hoch, dass nicht auszuschließen ist, dass der Einsatz von Körperkameras auf weitere Straßen und Plätze in Chemnitz, Freiberg und Bautzen erstreckt wird.”

Laut Lippmann wächst die Anzahl der Orte kontinuierlich: “Allein in Freiberg und Chemnitz weist die Polizei mit jeweils 29 bzw. 27 Straßen und Plätzen eine hohe Anzahl von sogenannten gefährlichen Orten aus. Ich habe erhebliche Zweifel, ob es sich bei all diesen Orten tatsächlich um gefährliche Orte im Sinne des Gesetzes handelt”. Mittlerweile gibt es also offenbar an polizeilich definierten Sonderzonen schon so jede Menge in Sachsen.

Valentin Lippmann (MdL, B90/Die Grünen) als Beobachter beim Linkenparteitag am 4. November 2017 in Chemnitz. Foto: Michael Freitag
Valentin Lippmann (MdL, B90/Die Grünen) als Beobachter beim Linkenparteitag am 4. November 2017 in Chemnitz. Foto: Michael Freitag

“Wir fordern Innenminister Prof. Roland Wöller auf, den Einsatz von Bodycams sofort zu stoppen und dem Landtag zu berichten, wie die bisherige Erprobung vonstattenging, insbesondere zu welchen Anlässen die Kameras eingesetzt wurden und wie mit den erhobenen Daten der Bürgerinnen und Bürger verfahren wurde. Zudem fordern wir einen halbjährlichen Bericht über die sogenannten gefährlichen Orte in Sachsen. Der Einsatz der Bodycams in diesen Straßen und Plätzen und die Möglichkeit, Bürgerinnen und Bürger an solchen Orten jederzeit ohne Anlass zu kontrollieren und zu durchsuchen, erfordert wegen ihres tiefen Eingriffs in Grundrechte dringend eine parlamentarische Kontrolle.”

Seit November 2017 wird in den Polizeidirektionen Leipzig und Dresden der Einsatz von Körperkameras (Bodycams) an zehn sogenannten gefährlichen Orten in den Innenstädten von Leipzig und Dresden erprobt. In Dresden betrifft dies, ausweislich der Antworten des Innenministers auf die Kleinen Anfragen des Abgeordneten Valentin Lippmann in den Drs. 6/10689 und 6/11345, je drei Straßen und Plätze in der Altstadt und in der Neustadt. In Leipzig wird die Körperkamera nach Auskunft des Innenministeriums in Teilen der Eisenbahnstraße, im Bereich Schwanenteich, Kleiner-Willy-Brandt-Platz und in der Stuttgarter Allee eingesetzt. Das Projekt ist für ein Jahr angelegt.

Die Zahl der sogenannten gefährlichen bzw. verrufenen Orte in Sachsen umfasst mittlerweile 67 Straßen und Plätze.

Allein 29 davon liegen in Freiberg, 27 in Chemnitz, sechs in Dresden, vier in Leipzig und einer in Bautzen. Sogenannte “gefährliche” oder “verrufene” Orte sind nach § 19 Absatz 2 Sächsisches Polizeigesetz solche, an denen sich erfahrungsgemäß Straftäter verbergen, Personen Straftaten verabreden, vorbereiten und verüben, sich ohne Aufenthaltserlaubnis treffen oder der Prostitution nachgehen. Schätzt die Polizei einen solchen Ort als gefährlich ein, darf sie Personen anhalten und deren Identität feststellen, die Person oder ihre Sachen durchsuchen und Bild- und Tonaufnahmen fertigen und aufzeichnen.

Die rechtliche Einschränkung: Letzteres ist allerdings nur zulässig, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass an den Orten dieser Art Straftaten begangen werden sollen, durch die Personen, Sach- oder Vermögenswerte gefährdet werden, § 37 Absatz 2 SächsPolG. Nach Auffassung des Innenministers fällt der Einsatz von Bodycams unter diese Regelung. Diese Auffassung teilt der Sächsische Datenschutzbeauftragte nicht.

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