Seltsame Phänomene kann man in Sachsen schon seit einigen Jahren beobachten: Ämter, egal ob auf Landes- oder Kommunalebene, machen gute Arbeit, setzen Beschlüsse um, arbeiten Arbeitskonzepte auf Gesetzesgrundlagen aus. Doch in den entscheidenden Positionen sitzen Politiker, die keine Lust auf Umsetzung haben. So wie im Sächsischen Umweltministerium, das seit sieben Jahren die Umsetzung des Biotopverbund-Netzes einfach aussitzt. Das Artensterben in Sachsen geht also munter weiter.

Worum geht es? – Mit dem derzeitigen Schutzgebietssystem können nur etwa 30 bis 40 Prozent der heimischen Arten in überlebensfähigen Populationen erhalten werden. Es ist zu klein, zu flickenhaft, es fehlen Verbindungen zu anderen Schutzgebieten, die Schutzareale liegen oft wie Inseln inmitten riesiger landwirtschaftlicher Anbaugebiete oder abgeschottet durch massive Verbauung und Versiegelung.

Um das Überleben eines wesentlichen Teils der heimischen Fauna und Flora in Sachsen zu ermöglichen, müssen auch außerhalb von Schutzgebieten in der überwiegend land- und forstwirtschaftlich geprägten Kulturlandschaft geeignete Lebensbedingungen für jeweils ausgewählte Arten geschaffen werden. Dies umfasst vor allem die Herstellung der Voraussetzungen für die Ausbreitung und Wanderung der Arten.

Ein wesentlicher Bestandteil hierfür sind durchgängige Wildtierkorridore, die bislang durch Autobahnen, größere Bundesstraßen und Siedlungen oder große, einheitlich genutzte Agrarflächen unterbrochen sind. Mit dem Aufbau eines hochwertigen Biotopverbundnetzes, welches laufend erweitert und fortentwickelt wird, können die Überlebenschancen der heimischen Tier- und Pflanzenarten in Sachsen deutlich erhöht werden. Zum Biotopverbund gehören Großschutzgebiete, wie FFH-Gebiete oder Naturschutzgebiete als Kernrefugien, die durch sogenannte „Trittsteinbiotope“ verschiedenster Biotoptypen miteinander vernetzt werden.

„Das Jahr 2019 muss zum sächsischen Jahr der Lebensraumvernetzung werden!“, appelliert Wolfram Günther, Vorsitzender der Grünen-Fraktion im Sächsischen Landtag, an Agrarminister Thomas Schmidt (CDU). „Wir haben keine weitere Zeit zu verlieren, um das dramatische Artensterben endlich aufzuhalten.“

Nur hat der aus der Landwirtschaft stammende Minister so unübersehbar keinen Bock auf Umwelt. Er sitzt die Themen einfach wie sein Amtsvorgänger Frank Kupfer aus, kümmert sich nicht um die wirkliche Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie und auch nicht um die Umsetzung eines Biotopnetzes. Lieber tut er in Landtagsantworten so, als seien die ganzen Zahlen zum Artensterben nicht wissenschaftlich genug, man warte lieber noch ab.

„Das dramatische Artensterben heimischer Tier- und Pflanzenarten schreit danach, dass auch in Sachsen endlich gehandelt wird“, sagt hingegen Wolfram Günther. Denn während der Minister Däumchen dreht und Wölfe jagen möchte, liegen alle Pläne längst vor in seinem Ministerium.

„Seit dem Jahr 2011 läuft die UN-Dekade für biologische Vielfalt. Ihr Ziel ist es, den Artenrückgang bis zum Jahr 2020 zu stoppen. Im Bundesnaturschutzgesetz wurde bereits 2002 festgelegt, dass die Bundesländer hochwertige Gebiete für ein Biotopverbundnetz sichern und entwickeln. Auch die Bundesregierung hat mehrfach erklärt, dass das Artensterben bis 2020 aufgehalten werden müsse.

Doch in dieser Zeit haben die Umweltminister in Sachsen nichts mit strategischem Ansatz vorangebracht. Ein wesentlicher Schritt, das dramatische Artensterben noch aufzuhalten, bestünde in der Entwicklung eines fachlich klugen Biotopverbundnetzes, das diesen Namen auch verdient“, erklärt Günther und weiß aus dem Ministerium, dass die Mitarbeiter dort schon lange alles erarbeitet haben.

„Dabei hat das Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie schon Gebietskulissen für ein solches Biotopverbundnetz erarbeitet. Umweltminister Schmidt ist zu verdanken, dass diese Pläne bis heute in den Schubladen liegen. Wenn der Umweltminister jetzt nicht aktiv wird, wird Sachsen alle Ziele der Nationalen Biodiversitätsstrategie und die völkerrechtlich vereinbarten Ziele der Biodiversitätskonvention, bis zum Jahr 2020 das Artensterben zu stoppen, meilenweit verfehlen“, erläutert Günther die in Deutschland gefassten Ziele.

Das kommt einem doch sehr vertraut vor. Genauso sitzt Schmidt die Einhaltung der Ziele der Wasserrahmenrichtlinie aus. Wenn er sich mal äußert, klingt das immer wieder wie „Ist doch in Sachsen alles viel besser, als die Leute so glauben“.

Sachsen als ministerielle Einbildung.

„Neue Straßenschneisen und Baugebiete sowie hohe Stickstoffgehalte und Pestizideinsatz in der Landwirtschaft nehmen den Arten nicht nur den Lebensraum, sondern verhindern auch den wichtigen genetischen Austausch“, betont Günther die wichtige Rolle des Biotopverbundes.

„Deshalb brauchen wir einen sachsenweiten Biotopverbund, der ein Netz an hochwertigen Flächen für die Artenvielfalt über den ganzen Freistaat spannt und vorhandene Schutzgebiete über Verbundachsen verknüpft. In Sachsen benötigen wir vor allem deutlich mehr Wanderkorridore und Trittsteinbiotope, die diese Kernlebensräume vernetzen, und so die fehlenden Linien und Knoten im Biotopverbundnetz ergänzen. In all den Jahren der UN-Dekade für biologische Vielfalt hat es keinerlei Entwicklung und Kontrolle solcher Wanderkorridore und Trittsteinbiotope gegeben. Im Freistaat steht ein Biotopverbund auf dem Papier, existiert aber nicht in der Wirklichkeit.“

Wie erwähnt: Im zuständigen Landesamt liegen die Pläne vor. Nur der Agrarminister fühlt sich nicht bemüßigt zu handeln.

Worum geht es bei diesem so bitter nötigen Verbund wertvoller Biotope?

Durch Wanderkorridore für spezifische Arten, Trittsteinbiotope zwischen mehreren Schutzgebieten und Wildtierkorridore unter oder über Autobahnen und Bundesstraßen hinweg kann beispielsweise ein Biotopverbundnetz flächenmäßig wachsen. Gerade in den stark besiedelten Regionen und fragmentierten Landschaften Sachsens ist die Umsetzung und Kontrolle eines hochwertigen Biotopverbundnetzes für das Abbremsen des Artensterbens von entscheidender Bedeutung.

Dazu aber muss man auch die Bauern mit ins Boot holen, die künftig als Pfleger einer artenreichen Landschaft eine ganz neue Rolle übernehmen müssen. Denn es sind ihre Felder, die wieder um Wiesen, Raine und Gehölze bereichert werden müssen, jene kleinen und doch unersetzbaren „Trittsteine“, mit denen die bedrohten Populationen von Tieren und Insekten wieder in Kontakt miteinander kommen können.

Forderungspapier des BUND listet auf, was Politik in Deutschland sofort zur Minderung der Umweltbelastung tun kann

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