In Wahljahren geschehen Zeichen und Wunder. Da setzen Parteien, die noch ein soziales Gewissen haben, auf einmal politische Angebote aufs Programm, die in den vier oder fünf Jahren davor nicht umsetzbar waren, weil irgendwelche Zwänge oder Faktionsdisziplin dagegen sprachen. Gerade die SPD merkt nun so langsam, dass sie mit ihrem Verständnis für die Zwänge des Marktes die Bedürfnisse der Bürger vergessen hat. Nun hat der Armutsbericht das Thema Kindergrundsicherung auf die Tagesordnung gesetzt.

Noch einmal angeregt wurde das Thema durch den Sozialbericht des Sächsischen Sozialministeriums. Dass freilich immer noch jedes fünfte Kind in Sachsen in Armut lebt, hob Sozialministerin Barbara Klepsch (CDU) im Februar nicht so deutlich hervor. Ihr war das Leib- und Magenthema der sächsischen CDU, die Vergreisung des Landes, wichtiger.

Aber für Dagmar Neukirch, die sozialpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion im Sächsischen Landtag, bestätigte der Sozialbericht für den Freistaat Sachsen die Daten aus dem Armutsbericht der Bundesregierung.

„Der im Februar vom Sozialministerium vorgelegte Sozialbericht zeigt für mich mehrere Schwerpunkte. Zuerst: Die kürzlich vorgestellten SPD-Ideen für einen neuen Sozialstaat sind auch für Sachsen der richtige Weg. Der Sozialbericht verdeutlicht, dass sich besonders bei den Alleinerziehenden und ihren Kindern die Quoten der Armutsgefährdung nicht geändert oder gar verschlechtert haben“, benannte Neukirch am 11. April das, was die Ministerin so deutlich nicht sagen wollte.

„Kinder in Armut, das darf es bei uns nicht geben. Kinder dürfen nicht als Armutsrisiko für Familien gelten. Unsere sozialdemokratische Antwort ist die Kindergrundsicherung. Die Idee dahinter: alle bisher einzeln zu beantragenden, einzeln ausgezahlten und teilweise sogar gegenseitig aufrechenbare Leistungen für Kinder zusammenzufassen. Kinder kommen so auch raus aus dem Arbeitslosen-System. Dieses ist darauf gerichtet, Menschen in Arbeit zu bringen. Das hat aber mit Kindern nichts zu tun. Deswegen bin ich für die Kindergrundsicherung.“

Und wo die Ministerin schon lauter erfreuliche Fortschritte für Familien sah, wo die Eltern nun häufiger auch einen Arbeitsplatz haben, sah Neukirch einen deutlichen Bedarf, sozial deutlich mehr zu machen.

„Der Sozialbericht gibt uns auch Aufgaben, unsere Ansätze weiter auszubauen, etwa in der Familienpolitik, beim Thema Frauen in Teilzeit oder beim Einsatz gegen Gesundheitsrisiken, die abhängig von der sozialen Lage der Bürger/-innen entstehen“, ging sie darauf ein, dass sich Armut und Benachteiligung in einem Teil der sächsischen Gesellschaft längst vererben. Und dabei entwickeln sich ländliche Räume und Großstädte längst deutlich auseinander.

Das sollte in so einem Bericht sichtbar werden, meinte sie: „Künftig soll es nicht bei dem einen Sozialbericht bleiben, der nur auf den gesamten Freistaat Sachsen schaut. Die Landkreise und Kreisfreien Städte sind so verschieden, dass ein genauerer Blick auf diese lohnenswert scheint. Die Regierungskoalition hat deshalb eine weitere Million Euro für die Landkreise bereitgestellt, für jeden 100.000 Euro, damit diese eine eigene Sozialberichterstattung für ihre Region erstellen können.“

Dagmar Neukirch (SPD). Foto: Götz Schleser
Dagmar Neukirch (SPD). Foto: Götz Schleser

Das Positive am Bericht aus ihrer Sicht: Seit die SPD mitregiert, kann man aus dem Bericht überhaupt erst einmal etwas Belastbares herauslesen. Vorher hat der Bericht die sozialen Probleme im Freistaat eher verwischt und versteckt.

„Unter der CDU-FDP-Regierung mussten wir in der sächsischen Sozialpolitik nach Gefühl agieren – das hat man der damaligen Sozialpolitik auch angemerkt. Nachdem 2006 der vorerst letzte Sozialbericht für den Freistaat vorgelegt wurde, ließen sich ohne die nötigen Zahlen und Fakten Missstände ganz einfach leugnen. Die Folgen der drastischen Kürzungen wurden nicht dokumentiert und damit einfach nicht zur Kenntnis genommen“, sagt Dagmar Neukirch.

„Deswegen hat die SPD im Koalitionsvertrag großen Wert auf eine fundierte, zielorientierte und nachhaltige Sozialberichterstattung gelegt. Jetzt liegt uns der erste umfassende Sozialbericht für Sachsen seit 13 Jahren vor, der intensiv in verschiedene Themenfelder blickt. So gibt der Bericht einen Überblick über die Lebenslagen der Menschen in Sachsen, mit Fokus auf die Themenbereiche: Erwerbstätigkeit und Einkommen, Familien und Unterstützungsleistungen des Freistaates Sachsen, Senioren, Gesundheit, Pflege, Drogen und Sucht sowie Menschen mit Behinderungen. Die Sozialberichterstattung wird jetzt regelmäßig weitergeführt, mindestens alle fünf Jahre, damit Entwicklungen erkannt und abgebildet werden können.“

Da fühlte sich dann freilich die Linksfraktion im Landtag auf vertrautem Terrain erwischt. Denn einen Antrag zur Einführung einer Kindergrundsicherung hatte die Linksfraktion in Sachsen schon 2016 eingereicht.

„Man merkt, die Wahlen stehen vor der Tür. Denn wenn jetzt die sächsische SPD eine Kindergrundsicherung fordert, dann kann der Wahltag nicht mehr weit sein“, meint nun die sozialpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Sächsischen Landtag, Susanne Schaper, zu Neukirchs Äußerung. „Als wir diese Forderung mit unserem Entschließungsantrag zur Großen Anfrage ‚Kinderarmut in Sachsen: Situation – Herausforderungen – Initiativen‘ am 14.11.2016 und erneut mit unserem Antrag ‚Kinderarmut im Freistaat Sachsen gemeinsam beseitigen!‘ am 17.05.2017 stellten, wurden diese auch mit Stimmen der SPD abgelehnt. Mit einem Antrag im nächsten Plenum ließe sich leicht feststellen, wie ernst es der SPD mit dieser Forderung wirklich ist.“

Dass die SPD jetzt auch über Kindergrundsicherung debattiert, hat mit dem im Januar vorgestellten „Starke-Familien-Gesetz“ der Bundesregierung zu tun, das Sachsens SPD-Vorsitzender Martin Dulig am 9. Januar so kommentierte: „Als SPD Sachsen begrüßen wir das ‚Starke-Familien-Gesetz‘, das heute auf Initiative von Bundesfamilienministerin Franziska Giffey und Sozialminister Hubertus Heil im Bundeskabinett auf den Weg gebracht wurde. Die Erhöhung des Kinderzuschlages und der Ausbau des Bildungs- und Teilhabe-Paketes sind wichtige Schritte für die finanzielle Stärkung der Familien. Unsere Kinder sind unser höchstes Gut und wir müssen alles daransetzen, dass kein Kind zurückbleibt“, so Martin Dulig.

„Das Gesetz kann allerdings nur ein erster Schritt sein. Mein Ziel bleibt weiterhin die Einführung einer Kindergrundsicherung. Eine Kindergrundsicherung würde nicht nur Kinderarmut stärker bekämpfen, sondern sie würde für mehr Gerechtigkeit für all jene sorgen, die wie die Kassiererin oder der Paketbote gerade so viel verdienen, dass sie kein Wohngeld, keine Teilhabeförderung oder keine Übernahme vom Kitabeitrag erhalten. Sie erhalten nur das Kindergeld. Diese Eltern verdienen also ‚zu viel‘ für Förderung, zahlen aber gleichzeitig keine oder sehr wenig Steuern und erhalten so auch keine Entlastungsbeträge für die Kinder. Damit bekommen diese Kinder am wenigsten. Deshalb braucht es die Kindergrundsicherung für Deutschland, die jedem Kind ein Existenzminimum und Teilhabe zusichert. Die Entwicklung und Perspektiven von Kindern sollten nicht von der finanziellen Situation der Eltern abhängig sein.“

Denn die Bundesrepublik hat zwar stapelweise Zuschüsse für Familien mit Kindern beschlossen, aber die Gelder kommen gerade den bedürftigen Familien oft gar nicht zugute, erst recht nicht, wenn diese gar noch in „Hartz IV“ sind, dann werden nämlich sämtliche Leistungen verrechnet, die Kinder bleiben also trotzdem arm. Ihre Chancen, aus der Armuts- und Bildungsfalle herauszukommen, sind weiterhin minimal.

Wenn sozial denkende Parteien sich bei solchen gemeinsamen Ideen einfach zusammentun und nicht den Koalitionszwang über alles stellen würden, wäre auch in der bürokratisch erstarrten Bundesrepublik viel mehr möglich.

Auch in Sachsen wird die Kluft zwischen vielen Armen und wenigen Reichen immer größer

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Ach, macht die SPD wieder ihr freiwilliges soziales Jahr vor den Wahlen? Sobald, wie sie dann wieder mir der CDU regieren, scheißen sie doch wieder darauf!

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