Man kommt ja so auf Ideen, wenn Politiker/-innen im Wahlkampf auf Gedanken kommen und infrage stellen, was politisch in den vergangenen Jahren entschieden wurde. So auch Petra Köpping, die für die SPD wieder zur Landtagswahl antritt. „Frau Köpping kretschmert, erzählt also jeden Tag irgendwas, von dem sie glaubt, dass es den Leuten gefällt“, unterstellte ihr Rico Gebhardt, Vorsitzender der Linksfraktion im Landtag, postwendend, nachdem sie meinte, die Kreisreform von 2008 sei „Murks“ gewesen.

„Die Kreisgebietsreform 2008 wurde von der ersten CDU/SPD-Koalition beschlossen. Der heutige SPD-Spitzenkandidat Martin Dulig war damals Vorsitzender der SPD-Fraktion. Ich empfehle Frau Köpping daher, sich ein anderes Wahlkampfthema zu suchen – meine Fraktion gab damals der SPD-Fraktion genug Gelegenheit, von dieser unsinnigen Zentralisierung Abstand zu nehmen. Die SPD entschied sich dafür, den Staat und seine Verwaltung von den Menschen vor Ort zu entfernen“, meint Gebhardt.

Nur hat Köpping die Kreisstrukturreform auch schon vor einem Jahr kritisiert. Damals wurde sie für ihre Kritik von Frank Kupfer, Vorsitzender der CDU-Fraktion im Landtag, rundgemacht: „Die pauschale Kritik von Petra Köpping ist unberechtigt! Es gehört nicht zur Aufgabe einer sächsischen Ministerin, ständig Land und Leute schlechtzureden.“

Und ein Jahr vorher waren es die Grünen gewesen, die mit einem ähnlichen Vorstoß vom damaligen Innenminister Markus Ulbig (CDU) abgebügelt wurden.

Die Frage ist also durchaus: Warum hat die SPD der Kreisreform 2008 zugestimmt? Denn dass es die behaupteten Einspareffekte von 160 Millionen Euro im Jahr nicht geben würde, war eigentlich leicht auszurechnen. Denn die resultierten – wie in so vielen „Effizienz“-Reformen der sächsischen CDU – immer wieder vor allem aus der Einsparung von Personal. Dass drei einzelne Kreise, die zu einem Großkreis zusammengelegt wurden, weniger Personal brauchen würden, war nur eine Behauptung. Die Realität sah von Anfang an anders aus.

„Wie die Linksfraktion damals erwartete, hat die Kreisgebietsreform keine Einsparungen gebracht und die Bevölkerung weiter vom Staat entfremdet. Es ist nun aber zu billig, wie die Ministerin einfach nur unverbindlich nach ,mehr Bürgernähe‘ zu rufen. Entsprechende Dezentralisierung hat die zweite CDU/SPD-Koalition seit 2014 unterlassen, ebenso wie die CDU/FDP-Koalition zuvor“, stellt Gebhardt fest.

„SPD, CDU und FDP sollten also bitte erst mal ihre Fehler ehrlich aufarbeiten, statt nun mit Parolen wie ,Staat zurück‘, ,mehr Bürgernähe‘, ,weniger Bürokratie‘ um sich zu werfen. Unsere Erklärung zu zehn Jahren Kreisgebietsreform gilt weiterhin. CDU und SPD versuchten damals, scheinbar marktwirtschaftliche Effizienzkriterien auf die Struktur des Gemeinwesens anzulegen, und sind damit krachend gescheitert.“

Stattdessen erlebten die Bürger in den eher ländlichen Regionen, wie die einstmals prägenden Mittelstädte in ihrer Region Bedeutung und Ausstrahlung verloren. Es passierte also genau das Gegenteil dessen, was hätte geschehen müssen, um den Bedeutungsverlust der Regionen zu verhindern. Mit den Verwaltungen verschwanden auch wertvolle Arbeitsplätze, während Bürgerprobleme auf einmal nicht mehr auf „kürzestem Wege“ zu erledigen waren.

Was also wäre geschehen, wenn die SPD 2008 den Mut gehabt hätte, gegen den Gesetzentwurf des übermächtigen Koalitionspartners CDU zu stimmen?

Kann es sein, dass sie sich damit ein Türchen geöffnet hätte, sich gegen die beratungsresistente Dauerregierungspartei zu profilieren und abzusetzen? Und damit für die Wähler unterscheidbar und greifbar zu werden?

Ich stelle das nur als Frage hierher.

Denn in vielem stimmen SPD und Linkspartei, was die Revitalisierung der ländlichen Räume betrifft, ja überein.

„Ja, es ist sinnvoll, Dorfläden zu fördern, in denen auch andere Dienstleistungen, darunter von Verwaltung angeboten werden. Wir als Linke wollen den Laden zurück ins Dorf bringen bzw. bestehenden Angeboten vor Ort den Rücken stärken“, sagt Gebhardt. „SPD-Wirtschaftsminister Dulig musste aber in der Antwort auf meine Kleine Anfrage (Parlaments-Drucksache 6/17809) einräumen, dass es – übrigens im Gegensatz beispielsweise zu Bayern – in Sachsen bisher keinerlei eigene Förderung für solche Läden gibt. Die SPD führt inzwischen zehn Jahre lang das sächsische Wirtschaftsministerium, in denen sie nichts für diese Läden tat.“

Aber ein Angebot zur Güte hat er trotzdem: „Gern können wir gemeinsam die bürgerfernen Strukturen des Freistaats umkrempeln. Unsere Vorschläge liegen auf dem Tisch; wir würden uns freuen, wenn es dafür nun eine größere Offenheit seitens der SPD gibt. Ich finde aber im Unterschied zu Frau Köpping: Ob die umstrittene Kreisform dauerhaft Bestand hat, sollten wir gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürger diskutieren.“

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SPD-Papier macht ein paar Vorschläge, um ein paar Fehler der Kreisreform von 2008 zu reparieren

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