Wieder lädt der sächsische Landwirtschaftsminister am 1. August zu einem „Waldgipfel“ ein. „Die schlechten Nachrichten aus dem Wald reißen nicht ab. Jeden Tag erreichen uns neue Hiobsbotschaften. Deshalb müssen wir dringend handeln“, ließ Minister Thomas Schmidt (CDU) am 24. Juli verkünden. „Bundesweit haben Stürme, Dürre und Borkenkäfer schon jetzt mehr als 100.000 Hektar Wald zerstört.“ Auf die Idee, dass die Arbeit seines Ministeriums Teil des Problems ist, würde der Mann nicht mal im Traum kommen. Selbst die Gewerkschaft der Forstarbeiter ist da weiter.

Schmidt als Minister ist jedenfalls nur noch im Wahlkampf-Panikmodus: „Auch hier in Sachsen erleben wir seit den Stürmen im Winter 2017/2018 Schäden in nie dagewesener Größenordnung. Wenn wir den Wald noch retten wollen, müssen wir umfangreiche Maßnahmen einleiten, die uns enorme Anstrengungen abverlangen – auch finanziell. Darüber möchte ich mit meinen Amtskollegen sprechen und gemeinsam mit ihnen nach Lösungen suchen.“

Wenn Politiker Worte wie „enorm“ oder „nie dagewesen“ in den Mund nehmen, ist es eigentlich ein offenes Eingeständnis von Überforderung. Da besetzt einer ein Amt, ohne auch nur die geringste Ahnung zu haben, wie man Lösungen findet.

Dass die Jahre 2018 und 2019 selbst im Vergleich zu den Vorjahren sehr extrem sind, gesteht auch die IG BAU Nord-West-Sachsen zu, in der auch die Forstarbeiter organisiert sind. Nur sehen sie halt den Wald nicht aus der Perspektive eines Ministersessels, sondern beim Aufräumen mittendrin.

Zu trocken, zu warm, zu viele Schädlinge: Ein Großteil der heimischen Nadelbäume ist nach Einschätzung der IG Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) Nord-West-Sachsen akut bedroht – mit massiven Folgen für die Forstwirtschaft in der Region.

„Nach dem Hitze-Jahr 2018 fehlt auch in diesem Sommer bislang der nötige Regen. Gerade heimische Fichten leiden unter ,Dürre-Stress‘. Die Bäume sind Schädlingen wie dem Borkenkäfer fast schutzlos ausgeliefert“, sagt der Bezirksvorsitzende der Forst-Gewerkschaft, Bernd Günther. Die aktuelle Lage sei dabei erst der Anfang. „Der heimische Wald bekommt den Klimawandel längst zu spüren. Bei Fichten, Kiefern und Tannen geht es langfristig ums Überleben.“

Was überhaupt nicht neu ist, sondern genau so zu erwarten

Das Sächsische Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie hat die ganzen Prozesse im Gefolge der Erderwärmung für Sachsen schon vor 15 Jahren modelliert: samt den höheren Durchschnittstemperaturen und den massiv zurückgehenden Niederschlägen gerade in den Sommermonaten. Schmidts Vorgänger haben zumindest begriffen, dass das bedeutet, den Wald so schnell wie möglich umzubauen. Denn was bei diesen Veränderungen zuerst in Gefahr gerät, sind die Nadelbaumplantagen aus der Zeit, als man die Wälder nur als Lieferanten für billiges und schnell wachsendes Holz betrachtete.

Der Klimawandel macht die Labilität dieser Wälder für alle sichtbar. Nadelbäume machen etwa 66 Prozent der rund 530.000 Hektar des sächsischen Waldes aus. Das geht aus der letzten Bundeswaldinventur hervor.

„Jeder dritte Baum in Sachsen ist eine Fichte. Sie ist besonders von der aktuellen Witterung betroffen“, so Günther. Ohne ausreichend Wasser könnten die Bäume kaum Harz bilden, das sie gegen die Schädlinge schütze, erklärt der Gewerkschafter. Wegen der Wärme halte sich der Buchdrucker derzeit etwa vier Generationen lang – statt wie sonst nur zwei. Geschwächte Bäume seien zugleich anfälliger für Stürme. Nach Beobachtung der IG BAU Nord-West-Sachsen sind mittlerweile sogar junge Bäume vom Borkenkäfer betroffen, obwohl der Schädling sonst überwiegend ältere Bäume mit dicker Rinde befalle.

Was man ergänzen muss, weil der Borkenkäfer von hilflosen Ministern so gern als Super-Schädling bezeichnet und behandelt wird: Auch Schmidt denkt den Wald immer noch als industriellen Plantagenwald. Der Borkenkäfer aber gehört zu den ganz natürlichen Nützlingen im Wald, er hat seine Rolle auch in gesunden Wäldern, denn er ist es, der kranke und abgestorbene Bäume wieder in Mulch verwandelt. Er produziert keine kranken Wälder. Die hat der Mensch in seiner Wirtschaftslogik geschaffen.

Andere Bäume und weniger Wirtschaft braucht der Wald

„Die Ausfälle bei der Holzernte könnten damit in einigen Jahren massiv sein“, warnt Günther. Aber er benennt auch gleich das, was die sächsischen Umweltminister seit Jahren nicht auf die Reihe kriegen: Wichtig sei eine neue „Waldstrategie“, um den Forst vor dem Klimawandel zu schützen.

„Wir brauchen eine breite Aufforstung mit den Baumarten, die vor Ort gedeihen. Dabei müssen private Waldbesitzer und staatliche Forsten noch stärker als bisher auf Mischwälder setzen. Eine Fichte, die neben Buchen und Eichen steht, kommt besser mit Schädlingen zurecht“, so die Gewerkschaft. Für eine nachhaltige Bewirtschaftung seien aber auch mehr Förster und Waldarbeiter nötig. „Aktuell rächt sich der jahrzehntelange Personalabbau im Forst. Der Waldumbau ist eine Mammutaufgabe, für die man qualifizierte und ordentlich bezahlte Fachkräfte braucht. Sie dürfen in keinem Haushaltsplan fehlen“, fordert die IG BAU.

Zugleich warnt die Umwelt-Gewerkschaft vor einem reinen betriebswirtschaftlichen Blick auf die Wälder. „Wer nur Gewinninteressen im Sinn hat, setzt eher auf Ein-Baum-Kolonien, mit denen sich einfacher Geld verdienen lässt. Aber am Ende kommt die Rechnung von der Natur – nämlich wenn Trockenheit und Schädlinge der Monokultur zusetzen“, so Gewerkschafter Günther.

Der nächste Schritt ist logisch: Man darf die Wälder gar nicht reinen Forstbetrieben überlassen. Sie brauchen eine naturschutzfachliche Betreuung. Und sie brauchen mehr Schutz vor den Förstern, die auch in Sachsen vor allem in Tonnen und Festmetern denken, denen aber oft das Wissen um die Biodiversität eines Waldes fehlt.

Nach Angaben des Bundeslandwirtschaftsministeriums fielen in den deutschen Wäldern im vergangenen Jahr mehr als 32 Millionen Kubikmeter „Kalamitätsholz“ an – das ist Holz von kranken oder beschädigten Bäumen. Zwei Drittel davon gingen auf das Konto des Borkenkäfers, ein Drittel fiel Stürmen zum Opfer.

Sachsen muss sich auf eine zunehmend wärmere und regenlose Zukunft einstellen

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Hier kann man sich zumindest schon mal daran beteiligen, weitere Fällungen im mehrfach geschützten Leipziger Auwald zu verhindern.
Der Petent (Nukla e.V.) kämpft schon seit Jahren gegen diese Fällungen. Hat dabei durch andere Verbände, die den Stadträten lieber erklären, daß ein Forstwirtschaftsplan mit weiteren Fällungen von bis zu 8.000 Festmetern nötig sei, nicht sooo viel Unterstützung. Ebenso wenig von der Uni Leipzig, die hoffen, daß Nukla die eingereichte Klage gegen die Fällungen verliert.

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