Der Zweifel bleibt, auch nachdem Sachsens Innenminister Dr. Roland Wöller (CDU) am Donnerstag, 2. Juli, im Innenausschuss des Sächsischen Landtages den neuen Präsidenten des Landesamtes für Verfassungsschutz vorgestellt hat und auch Stellung nahm zu den Vorwürfen, dieser habe von seinem Vorgänger zu Unrecht die Löschung der Daten von AfD-Abgeordneten verlangt. Nach der Sitzung freilich stand nicht mehr das Ob im Fokus, sondern die alte Frage nach dem schlampigen Wie.

Neuer Präsident des Landesamtes für Verfassungsschutz Sachsen (LfV) ist ja nun seit Mittwoch, 1. Juli, Dirk-Martin Christian. Die Nachricht, Christian habe die Löschung der AfD-Abgeordneten-Daten zu Unrecht gefordert, hat dann logischerweise im Innenausschuss auch zu ein paar Nachfragen geführt.

Roland Wöller erklärte dazu: „Die Arbeit des LfV muss auf dem Boden des geltenden Rechts erfolgen. Dieses allein ist der Maßstab für jegliches Verwaltungshandeln und gilt erst recht für die Behörde, die unsere Verfassung schützen soll. Das betone ich ausdrücklich, weil die Behörde Daten über frei gewählte Abgeordnete rechtswidrig gespeichert hat. Unser Grundgesetz schützt ausdrücklich das freie Mandat von Abgeordneten. Im Hinblick auf die Speicherung ihrer Daten gelten deshalb besonders strenge Maßstäbe des Bundesverfassungsgerichts.“

Ist das wirklich so einfach? Seit März wird der sogenannte „Flügel“ in der AfD ganz offiziell vom Verfassungsschutz beobachtet, denn diese starke Gruppierung innerhalb der AfD zeigt nirgendwo auch nur das Bestreben, sich von rechtsextremistischen Tendenzen abzugrenzen. Zwar hat diese Gruppe zwischenzeitlich ihre Auflösung bekannt gegeben. Aber das heißt ja nicht, dass diese Leute verschwunden sind oder über Nacht aufgehört haben, ihr rechtsradikales Gedankengut zu verbreiten.

Auch der „Spiegel“ wunderte sich am Donnerstagabend nur: „Das Bundesamt für Verfassungsschutz hatte die völkische AfD-Strömung im Frühjahr als ,erwiesen extremistisch‘ eingestuft. In einem vertraulichen Gutachten des Amts wurden mehrere AfD-Politiker aus Sachsen als ,Flügel‘-Anhänger benannt, darunter Landes- und Fraktionschef Jörg Urban und der Bundestagsabgeordnete Jörg Maier.“

Doch Dirk-Martin Christian war sich sicher, dass er sich nur an die Rechtslage hielt, als er die Löschung forderte: „Das LfV hat rechtswidrig Daten von frei gewählten Abgeordneten gespeichert und dabei die hierfür geltenden hohen verfassungsrechtlichen Hürden nicht beachtet. Die Fachaufsicht und vorgesetzte Dienststelle ist deshalb verpflichtet, derartige Rechtsverstöße zu ahnden. Man kann nicht die Verfassung schützen und selbst Verfassungsbruch begehen.

Das LfV hat seine Begründung zur Speicherung in diversen Vermerken zwar dargelegt. Diese entsprachen jedoch durchweg nicht den Anforderungen, die das Bundesverfassungsgericht mit der sogenannten Ramelow-Entscheidung an eine Abgeordnetenspeicherung gerichtet hat. Insoweit gibt es in Sachsen keine Abweichungen von der im gesamten Bundesgebiet geltenden Rechtslage. Wir haben dem LfV in diversen Schriftwechseln wiederholt entsprechende rechtliche Hinweise erteilt und es aufgefordert, seine internen Prüfvermerke an die bestehende Rechtslage anzupassen. Insbesondere haben wir immer wieder neue Belege und Beweise gefordert, die dann nicht oder nicht in der erforderlichen Qualität gekommen sind.“

Was ja eigentlich nicht bedeutet, dass der Verfassungsschutz die „Flügel“-Leute nicht beobachten darf. Er muss es nur professionell machen und rechtsmäßig belegen. Es geht also eher nicht um Löschung der Daten als um eine rechtskonforme Beweisführung.

Die Reaktionen aus den Landtagsfraktionen waren dann eher zustimmend. Selbst die Linke nahm ihre scharfe Kritik an Wöller (der ja zuvor schon mitten im Zentrum des „Fahrradgates“ stand) vorerst zurück.

Kerstin Köditz: Sächsischer „Verfassungsschutz“ sogar für interne Begründungen zu dämlich

„Anders als im Fahrradgate-Skandal hat der Innenminister sich dem Druck gebeugt und Antworten zu den Vorwürfen gegeben, die in der ,Sächsischen Zeitung‘ erhoben worden sind. Demnach war das Landesamt für ,Verfassungsschutz‘ zu dämlich, gegenüber dem Innenministerium zu begründen, weshalb es Daten von AfD-Abgeordneten speichern muss“, formulierte Kerstin Köditz, Sprecherin der Linksfraktion für antifaschistische Politik, nach der Ausschusssitzung ihre Einschätzung des Vorgangs. „In Ausübung seiner Fachaufsicht kam das Ministerium deshalb zum Ergebnis, dass die Speicherung rechtswidrig erfolgte und die Daten zu löschen seien. Die freie Mandatsausübung durch Abgeordnete ist besonders geschützt – das hat der frühere Linken-Bundestagsabgeordnete Bodo Ramelow vor dem Bundesverfassungsgericht erstritten.“

Politisch entlastet sei der Innenminister aus ihrer Sicht trotzdem nicht. „Denn er ist für das Landesamt verantwortlich und sieht seit Jahren dabei zu, wie es beim Kampf gegen Rechts herumstümpert. Diese Behörde bekam heute sogar im Ausschuss vom Innenministerium bescheinigt, dass es im Bereich extreme Rechte nicht ausreichend analysefähig ist. In anderen Bundesländern schafft es der Inlandsgeheimdienst durchaus, korrekt Daten zu verfassungsfeindlichen Bestrebungen in der AfD zu erheben.

In Sachsen wäre das auch noch besonders einfach, weil die AfD hier stark ,verflügelt‘ ist. Das Innenministerium hat übrigens schon vor acht Jahren die mangelhafte Analysefähigkeit des Landesamtes kritisiert. Wer es in all den Jahren nicht geschafft hat, nach rechts die Augen aufzumachen, ist überflüssig! Dass Gordian Meyer-Plath ein engagierter Kämpfer gegen die extreme Rechte sein soll, habe ich übrigens noch nie geglaubt und tue das auch jetzt nicht.“

Rico Adam (CDU): „Dem Verfassungsschutz einen Bärendienst erwiesen!“

„Das Bundesverfassungsgericht hat dem Verfassungsschutz sehr hohe Hürden beim Umgang mit Abgeordnetendaten auferlegt! Das hat der ehemalige Präsident Meyer-Plath ignoriert und trotz den Hinweisen der Fachaufsicht Daten von frei gewählten Abgeordneten über die rechtlich zulässige Dauer hinaus gespeichert. Er hat damit der Arbeit des Verfassungsschutzes im Freistaat Sachsen einen Bärendienst erwiesen. Denn die so gesammelten und gespeicherten Informationen sind vor Gericht nicht verwertbar“, sagte der innenpolitische Sprecher der CDU-Fraktion im Sächsischen Landtag, Rico Anton.

Vor diesem Hintergrund begrüßte Rico Anton die Neubesetzung der Präsidentenstelle im Landesamtes für Verfassungsschutz mit einem erfahrenen Juristen. „Wer verfassungsfeindlichen Bestrebungen den Boden entziehen will, muss selbst rechts- und verfassungskonform arbeiten. Nur so ist eine fundierte und objektive Arbeit einer Verfassungsschutzbehörde möglich und erfolgreich.“

Sabine Friedel (SPD): „Parlamentarische Kontrollkommission muss Vorgänge prüfen“

„Innenminister Wöller und der Präsident des Landesamtes für Verfassungsschutz haben im Innenausschuss ausführlich Rede und Antwort gestanden. Auf Basis der bisherigen Informationen habe ich den Eindruck gewonnen, dass es zwischen dem Landesamt und seiner Fachaufsicht seit einigen Monaten eine unterschiedliche Rechtsauffassung über die Frage gibt, ob rechtmäßig erhobene Daten über Abgeordnete der AfD nach der Auswertung wieder zu löschen sind oder gespeichert werden dürfen“, erklärte nach der Sitzung Sabine Friedel, die auch Mitglied der Parlamentarischen Kontrollkommission ist.

„Wer von beiden – salopp gesagt – recht hat, lässt sich nur beurteilen, wenn man mehr über die Daten weiß. Deshalb ist es wichtig, dass die Parlamentarische Kontrollkommission (PKK) zügig alle relevanten Dokumente vorgelegt bekommt und sich ein eigenes Bild macht. Auch bei anderen Vorgängen (z. B. beim Nationalsozialistischen Untergrund oder beim sog. ,USB-Stick‘-Vorfall) hat die PKK intensive Prüfungen vorgenommen und dann das Parlament und die Öffentlichkeit über ihre Bewertung unterrichtet. So sollte auch im aktuellen Fall vorgegangen werden.“

Laut Verfassungsschutzgesetz muss die PKK umfassend über die allgemeine Tätigkeit des Landesamts und über besondere Vorgänge informiert werden.

„Dass der Sachverhalt sowohl die PKK als auch den Innenausschuss über einen Presseartikel erreicht hat, ist aus unserer Sicht ein großes Problem“, sagte Friedel. „Erst recht, weil es um die Speicherung von Informationen über Abgeordnete geht. Das ist ein extrem sensibles Thema: Unsere wehrhafte Demokratie verbietet das Speichern im Einzelfall nicht, aber sie setzt gleichzeitig hohe Hürden dafür. Im Verfassungsschutzbereich gilt wie für den Rechtsstaat generell: Der Zweck heiligt nicht die Mittel. Rechtmäßigkeit und Verhältnismäßigkeit müssen bei allen Maßnahmen, die Grundrechte beschränken, der wichtigste Maßstab sein.“

Valentin Lippmann (Grüne): „Die rechtswidrige Speicherung von Daten zu Abgeordneten ist ein ungeheuerlicher Vorgang“

„Die heutige Sitzung des Innenausschusses hat gezeigt, dass der sächsische Verfassungsschutz offenbar rechtswidrig Daten zu Mitgliedern des Sächsischen Landtages gespeichert hat. Das ist ein ungeheuerlicher Vorgang. Die Beobachtung von Abgeordneten durch den Verfassungsschutz ist ein hochsensibler Bereich, an die ein enger Maßstab zu legen ist. Diesen hat das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) offenbar verletzt. Es war daher richtig, dass die Fachaufsicht eingeschritten ist und diesem Verhalten des sächsischen Verfassungsschutzes Einhalt geboten hat“, kommentierte am Donnerstag Valentin Lippmann, innenpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion, den Vorgang.

„Die Vorgänge offenbaren erneut, dass einiges im Landesamt für Verfassungsschutz im Argen liegt. Anscheinend war die Analysefähigkeit innerhalb des Amtes derart begrenzt, dass man keine stichhaltigen und rechtssicheren Belege für die Beobachtung von Verfassungsfeinden – sei es die AfD oder PEGIDA – liefern konnte.“

Auch er sieht jetzt die Parlamentarische Kontrollkommission als nächste Instanz zur Aufklärung der Sache.

„Für kommenden Montag haben wir als Koalition die Einberufung der Parlamentarischen Kontrollkommission in die Wege geleitet. Dort erwarte ich die Klärung noch offener Fragen, insbesondere wie groß die Zahl der Abgeordneten ist, über die Daten gespeichert wurden sowie welche Konsequenzen aus diesem Vorfall gezogen werden“, so Lippmann. „Verfassungsfeinde bekämpft man nicht durch verfassungswidrige Praktiken. Der sächsische Verfassungsschutz braucht eine grundlegende inhaltliche und kommunikative Neuaufstellung. Dafür sind der Innenminister Wöller und der neue Amtschef Christian verantwortlich.“

Dirk-Martin Christian: Auch ein Verfassungsschutz muss sich an die Rechtsnormen halten

Dass die Ablösung des bisherigen Präsidenten des LfV Gordian Meyer-Plath augenscheinlich eine Menge mit nicht-rechtskonformer Arbeitsweise zu tun hatte, deutete am Donnerstag dann der neue Präsident Dirk-Martin Christian zumindest zwischen den Zeilen an.

„Das wichtigste Instrument, mit dem der Verfassungsschutz in die Öffentlichkeit hineinwirkt, ist seine Analysefähigkeit. Diese schließt ein rechtmäßig erlangtes wie qualitativ hochwertiges Erkenntnisaufkommen ein, ebenso eine fachlich qualifizierte Bewertung dieser Erkenntnisse. Beides ist eine Einheit. Beides vollzieht sich nach dem geltenden Recht. Auf die Frage, ob bestimmte Ergebnisse politisch gewünscht sind oder nicht, kann und darf es dabei nicht ankommen. Entscheidend ist allein die rechtskonforme Arbeitsweise. Hier sehe ich im LfV einen wesentlichen Optimierungsbedarf“, sagte Christian.

Und in gewisser Weise macht er die ungenügende Arbeit des Landesamtes auch dafür verantwortlich, dass sich überall in Sachsen Rechtsextremisten ungestört etablieren konnten.

„Insbesondere die Bürgermeister und Landräte dürfen mit den bestehenden extremistischen Umtrieben vor Ort nicht alleine gelassen werden“, sagte er. „Ich sehe es als meine Aufgabe an, die Kommunikation zu den Kommunen so zu verbessern, dass das LfV als verlässlicher Partner im Bereich der öffentlichen Sicherheit wahrgenommen wird“, so Christian.

Der Abgang von Gordian Meyer-Plath und die ungelösten Probleme des Sächsischen Landesamtes für Verfassungsschutz

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