1922 eingeweiht, konnte die Ez-Chaim-Synagoge nur 16 Jahre bis zur Zerstörung in der Pogromnacht 1938 eine Stätte lebendigen jüdischen Lebens sein. Seitdem fristet der Ort der einst größten orthodoxen Synagoge Sachsens ein Schattendasein als Parkplatz mit der unwirtlichen Ausstrahlung einer Betonfläche. Im Jahr des 100. Weihe-Jubiläums wollen wir ihn wieder mit dem Leben der Menschen verbinden, denen die Synagoge einst Halt und Hoffnung gab.

Dies umso mehr, als die Synagoge vor allem jüdischen Menschen innere Heimat gab, die vorher schon vor Pogromen im Osten Europas fliehen mussten. Einige Jahrzehnte war Leipzig Zufluchtsort für verfolgte Juden in Europa, ehe die Nationalsozialisten die Stadt für sie zum Vertreibungsort machten.

Bis zum Weihe-Jubiläum Anfang September lädt der Notenspur-Verein an jedem Donnerstag 17 Uhr ein, sich an die in der Pogromnacht 1938 zerstörte Synagoge und die Menschen, die in ihr feierten, hofften und klagten, zu erinnern. Es erklingt Livemusik – meist gespielt von der jüdischen Cellistin Ayala Sivan Levi aus Israel, die seit einigen Monaten in Leipzig lebt und das Anliegen mit uns teilt, den verödeten Parkplatz zu einer Stätte der Erinnerung zu machen.

Während des wöchentlichen Gedenkens ist die Stimme des damaligen Oberkantors Nathan Wilkomirski in einer Aufnahme aus den 1920er Jahren zu hören. Wir lesen Texte – deutsch und hebräisch – die in der Synagoge gelesen wurden und den Menschen Lebensmut und Orientierung vermittelten. Durch Augenzeugenberichte lassen wir die Zeit, in der die Synagoge stand, lebendig werden.

Im Mittelpunkt des Gedenkens steht nicht das Gebäude, sondern sind die Menschen, denen die Synagoge auf ihrer Flucht ein inneres Zuhause geben konnte und die wie die Synagoge weitgehend vergessen sind. Sie hinterließen selten Nachlässe, da sie 1938 in den Osten abgeschoben und von dort wenig später in die Vernichtungslager deportiert wurden.

„Für diese vergessenen jüdischen Menschen zuerst ist das Gedenken,“ betont Notenspur-Leiter Werner Schneider, „und ich bin sehr froh darüber, dass Ayala Sivan Levi als Jüdin dieses Anliegen mit uns teilt.“ Zu ihren Beweggründen meint die junge Frau: „An diesem Ort, der ein wichtiges Zentrum jüdischen Lebens war, befindet sich heute nur ein grauer Parkplatz.

Passanten sind sich der reichen Geschichte und des schrecklichen Unrechts hier, wo nicht nur ein Gebäude zerstört wurde, meist nicht bewusst. Deshalb treffen wir uns dort an jedem Donnerstag, um die Geschichte vom Ez Chaim durch Musik, Gesänge und Lesung zu erzählen. Wir hoffen, dass die Worte und Melodien das Herz durchdringen, damit die Geschichte dieses Ortes nicht vergessen wird. Für mich ist es eine berührende Aufgabe, dort die Melodien meiner Kindheit zu spielen, und mich mit Passanten zu unterhalten. Ich freue mich, Teil dieses besonderen Erinnerns zu sein.“

Mit dem Gedenken bereiten wir uns auf das 100. Weihe-Jubiläum im September vor. In der Festwoche vom 4. bis 11. September, gemeinsam verantwortet vom Notenspur-Verein und dem Bürgerverein Kolonnaden-Viertel, wird der derzeit noch triste Platz durch vielfältige Veranstaltungsformate mit Leben gefüllt. Dauerhafte Erinnerungselemente werden im Anschluss dafür sorgen, dass die Synagoge und die in ihr beheimateten Menschen nicht wieder dem Vergessen anheimfallen.

Wir setzen der Erinnerungslosigkeit des betonierten Parkplatzes unsere Stimmen, Gedanken und Hoffnungen entgegen.

Alles muss klein beginnen. Aber: „Ez Chaim – Baum des Lebens. Die Erinnerung kehrt zurück.“

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