Am 4. April, um 9.26 Uhr, da hatte der Vorsitzende Richter Rüdiger Rubel am Bundesverwaltungsgericht in Leipzig noch nicht einmal sein Urteil verkündet, landete schon die frische Post aus Berlin im E-Mail-Fach. Das Netzwerk Logistik Leipzig-Halle machte über sein Medienbüro am Reichstag Werbung für den eigenen Flughafen: Dann fliegt doch über Leipzig in der Nacht!

Eine Stunde später war klar: Es kommt genau so. Das Bundesverwaltungsgericht entschied im Streit um die Nachtflüge in Frankfurt, dass das Verbot von Starts und Landungen zwischen 23 und 5 Uhr rechtens ist. Sehr zur Freude der Kläger, zu denen auch betroffene Kliniken gehörten. Bereits der Hessische Verwaltungsgerichtshof (VGH) in Kassel hatte die vorgesehene Nachtflugregelung in Frankfurt beanstandet, weil sie Anwohnern nicht genügend Schutz vor Lärm biete. Diese Entscheidung wurde nun vom obersten deutschen Verwaltungsgericht bestätigt.

Aus der Sicht des Netzwerk Logistik Leipzig-Halle ein Grund sieht das ganz anders aus. Es sieht den “Frachtbetrieb an Deutschlands größtem Airport erheblich beeinträchtigt.” Es ging – nur zur Erinnerung – um ganze 17 nächtliche Flüge. Am Flughafen Leipzig / Halle gibt es in der Nacht mittlerweile 84 nächtliche Flugbewegungen. Am neuen Flughafen Berlin-Schönefeld wurde die Zahl auf 77 begrenzt.
Den Frachtflugverkehr in Frankfurt betrifft das Verbot gar nicht. Denn Fakt ist auch: Der größte Teil der Luftfracht in Deutschland wird nach wie vor tagsüber umgeschlagen. Und zwar in Frankfurt am Main, das 2010 sämtliche anderen deutschen Frachtflughäfen locker in die Tasche steckte mit einem Umschlag von 2,3 Millionen Tonnen. Leipzig rangierte da schon auf Platz 2 mit 663.000 Tonnen – knapp vor Köln/Bonn.

Dass sich jetzt das Netzwerk Logistik zu Wort meldet, ist vor allem Marketing in eigener Sache. Denn jetzt wittert man die Chance, den nächsten Nacht-Logistiker nach Schkeuditz zu locken: die Lufthansa Cargo, die während des Gerichtesprozeses mehrfach lauthals jammerte, nach eigenen Angaben im Jahr 40 Millionen Euro Gewinn einzubüßen, wenn die Nachtflugerlaubnis nicht kommt.

Wie gesagt: fiktive Gewinne. Denn fliegen durfte die Lufthansa-Tochter diese 17 Nachtrouten ja noch nicht.

Für das Netzwerk Logistik ein Fall zur Eigenwerbung: “Im Fall eines permanenten Nachtflugverbots für den Flughafen Frankfurt/Main steht den internationalen Logistikdienstleistern mit der Logistikregion Leipzig-Halle eine vollwertige Alternative zur Verfügung.”

Leipzig-Halle nehme mittlerweile Platz 4 unter den deutschen Güterverteilungszentren und Platz 14 im Ranking der europäischen Güterverkehrszentren ein. Und weil keine amtliche Auflage das Frachtfliegen in Leipzig begrenzt, geht es auch mal mit Abküzung über die Köpfe der schlafenden Einwohner. “Eine moderne Infrastruktur im Zentrum des Kontinents ermöglicht Logistikdienstleistern hier binnen kürzester Zeitfenster die Abwicklung ihrer Transporte in die aufstrebenden Märkte Osteuropas und Asiens, aber auch die Industriezentren von den BeNeLux-Staaten über West- bis Südeuropa. Zunehmend erfahren die transkontinentalen Verkehre am Standort einen signifikanten Bedeutungsgewinn, wie die neue tägliche Containerzugverbindung der DB Schenker Rail Automotive von Leipzig nach Shenyang im Nordosten Chinas unterstreicht.”

Wenn Toralf Weiße, Vorstandsvorsitzender des Netzwerk Logistik Leipzig-Halle, von der hiesigen Logistik sprecht, kommen Dinge wie nächtlicher Lärm nicht vor: “Logistische Aufgabenstellungen brauchen heute ganzheitliche Lösungen. Die Logistikregion Leipzig-Halle stellt nicht nur ein internationales Güter-Drehkreuz auf höchstem Niveau dar, sie gehört bei der zeitnahen und effizienten Abwicklung sowohl Länder- als auch Kontinente übergreifender Verkehre bereits jetzt zur Weltspitze. Die dynamische Entwicklung dieses Standortes zeigt sich nicht nur in den beeindruckenden Wachstumszahlen des Warenumschlags an den hier betriebenen Infrastrukturen – sie wird auch durch das internationale Renommee, das in den vergangenen Jahren erworben werden konnte, unterstrichen. Wer auf Leipzig-Halle setzt, setzt auf die Zukunft.”

Vielleicht muss er auf die Belange der umwohnenden Bürger auch keine Rücksicht nehmen. Im Netzwerk ist das komplette Who-is-Who der großen Unternehmen aus der Region vertreten – nicht nur die Logistiker. Denn auch die anderen sind natürlich auf reibungslose Lieferabläufe angewiesen.

Das Drehkreuz kann man auch beschreiben, ohne auch nur eine der beiden großen Städte daneben zu erwähnen: “Die flexible und leistungsfähige Verkehrsinfrastruktur am Standort spricht für sich: So stellt der Leipzig/Halle Airport bereits jetzt Deutschlands zweitgrößtes Luftfrachtdrehkreuz dar. Nachdem im Jahr 2011 mit mehr als 760.000 Tonnen Luftfracht der siebente Rekord in Folge aufgestellt werden konnte, wurden am Leipzig/Halle Airport allein im Februar 2012 rund 66.000 Tonnen umgeschlagen – das entspricht einem Wachstum von 19 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat. Der Leipzig/Halle Airport verfügt über eine 24-Stunden-Betriebserlaubnis für Frachtflüge. Das Start- und Landebahnsystem umfasst zwei parallele Runways, die auch unter Cat IIIb – Bedingungen unabhängig voneinander genutzt werden könnten. Aktuell werden im Frachtverkehr vom Leipzig/Halle Airport aus rund 60 Ziele auf vier Kontinenten angeflogen.”

Bei den Straßenanbindungen das Netzwerk die Städte Leipzig und Halle. Aber nicht als Orte zum Leben, Wohnen und Arbeiten, sondern als Knotenpunkte. “Zudem zeichnen ein dichtes Fernstraßennetz und Anschlüsse an die wichtigen Autobahnen A9, A14 sowie die A38 die Region aus. Neben einem umfangreichen Gleisnetz mit zahlreichen Ladestellen gelten die Städte Leipzig und Halle für Eisenbahnverkehre als wichtige Knotenpunkte im überregionalen Schienennetz. Zur Abwicklung kombinierter Verkehre stehen mit den Terminals in Leipzig-Wahren, Halle und Schkopau leistungsfähige Schnittstellen bereit. Intermodale Containerterminals, etwa in Halle, runden das logistische Angebot der Region ab.”

So agiert ein Lobby-Verband, der eigentlich auf nichts mehr Rücksicht nehmen muss. 17 nächtliche Flüge mehr in Leipzig? Wen juckt das noch?

Der Netzwerk Logistik Leipzig-Halle e.V., 2008 von rund 20 Vertretern der Logistikwirtschaft rund um Leipzig und Halle gegründet, “um die gemeinsamen Interessen im Sinne der Region und regionalen Wirtschaft zu verwirklichen”, hat mittlerweile 110 Mitglieder. Neben Logistikdienstleistern vereint das Kooperationsnetz auch Unternehmen aus dem Bereich logistiknaher Dienstleistungen und Personaldienstleistungen, Verbände, die öffentliche Verwaltung, Kammern sowie Forschungs- und Bildungseinrichtungen. Die Geschäftsräume des Netzwerkes Logistik Leipzig-Halle e.V. befinden sich am Flughafen Leipzig/Halle.

Denn zu den Interesen gehören ja auch preiswerte Arbeitskräfte und Verwaltungen, die nicht sagen: “So geht das aber nicht”.

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Das könnte jetzt Folgen haben. Auch für Leipzig …

Was zumindest die höchst aktuelle Diskussion darum verhindert, wie eine auch für die Einwohner der Region erträgliche Logistikstruktur aussehen könnte. Was dann wieder etwas mit Akzeptanz und Transparenz zu tun hätte. Denn die Rolle in der Welt ist das eine – aber wie sieht es mit dem Renommé in der Region aus? Oder ist da ganz egal, weil die Entscheider nicht in dieser Welt leben und die Gewinne auch nicht hier versteuert werden?

Der Flughafen Leipzig / Halle, dessen Landebahn Süd nun vor mittlerweile fünf Jahren in Betrieb genommen wurde, erwirtschaftet bis heute keine Gewinne. Die Anteilseigner – auch die Stadt Leipzig – zahlen bis heute drauf. Die Diskussion wäre längst deutlich realistischer, wenn das anders wäre.

www.logistik-leipzig-halle.net

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