Braunkohleverstromung ist weder billig noch preiswert. Gleich mehrfach wird Braunkohleverstromung in Deutschland subventioniert und begünstigt. Die Kosten verschwinden in den Etats von Bund und Ländern. Aber den entsetzten Stromkunden wird mit ernster Miene erzählt, es seien die Erneuerbaren Energien, die den Strompreis in die Höhe treiben. Wie die Braunkohleverbrennung auch durch ihre Gesundheitsschädigung massive Kosten verursacht, belegt jetzt eine Greenpeace-Studie.

Sie baut auf Forschungen in den USA aus den 1980er Jahren auf, mit denen ermittelt wurde, welche Folgen die gesundheitsschädigenden Emissionen auf Krankheitstage und Todesrate der in der Umgebung lebenden Bevölkerung hat. Erarbeitet wurde die jetzige Greenpeace-Studie für die 67 größten Kohlekraftwerke Deutschlands. Bei Greenpeace ist man alarmiert. Denn während der GAU in Fukushima dazu geführt hat, dass die Bundesregierung den Ausstieg aus der Atomkraft doch wieder auf die Tagesordnung setzte, geht der Neubau neuer Kohlekraftwerke in Deutschland unvermindert weiter. 15 solcher Kraftwerke sind derzeit noch in der Planung, darunter das von der Mibrag geplante Kraftwerk Profen, für das das Kohleunternehmen nun schon seit zwei Jahren nach Mit-Investoren sucht.

“Trotz ihrer verheerenden gesundheitlichen Folgen, ist die Kohle nach wie vor die wichtigste Säule der deutschen Stromversorgung. Ungefähr 140 Stein- und Braunkohlekraftwerke sind in Deutschland in Betrieb und erzeugen 45 Prozent des gesamten Strombedarfs. Davon entfallen 26 Prozent auf die besonders dreckige Braunkohle”, heißt es in der Greenpeace-Studie. Einer der Gründe dafür, dass Kohlestrom scheinbar so billig ist, ist neben der umfassenden direkten und versteckten Subventionierung auch die Tatsache, dass ein wesentliches Steuerinstrument völlig versagt: der so genannte Zertifikatehandel. Nur durch eine anhaltende und deutliche Verknappung der Zertifikate für das klimaschädliche CO2, das bei der Kohleverbrennung freigesetzt wird, wird auch ein finanzieller Druck auf die Kraftwerksbetreiber ausgeübt, die Kohleverbrennung zu drosseln und stattdessen umweltfreundlichere Energiegewinnung zu finanzieren.

“Aufgrund niedriger Preise für Importkohle und Emissionszertifikate nimmt die Kohleverstromung in Deutschland gegenwärtig sogar zu. Dies hängt auch damit zusammen, dass Deutschland über riesige Vorkommen der besonders schmutzigen Braunkohle verfügt”, stellt die Studie fest. “Diese wird in Tagebauen abgebaut und in nahegelegenen Kraftwerken verbrannt. Mit 185 Millionen Tonnen im Jahr 2012 ist Deutschland ‘Weltmeister’ bei der Braunkohleförderung – ein höchst fragwürdiger Titel.”

Und: “Zwischen 2010 und 2012 nahm die Stromerzeugung aus Stein- und Braunkohle in Deutschland um fünf Prozent zu. Die gestiegene Kohleverbrennung dürfte seitdem zu einer Zunahme von ungefähr 155 jährlichen Todesfällen und damit rund 1.650 verlorenen Lebensjahren geführt haben. Die 15 Kohle-Neubauprojekte würden – inklusive der 2012 ans Netz gegangenen Blöcke in Neurath und Boxberg – zum Verlust von weiteren 1.100 Menschenleben sowie ungefähr 12.000 verlorenen Lebensjahren führen.”

So nebenbei rückte dabei auch wieder ein Kraftwerk ins Blickfeld, das seit über zehn Jahren im Leipziger Süden vor sich hin schmaucht: das Kraftwerk Lippendorf. Es taucht ganz oben in der Liste der schmutzigsten deutschen Kohlekraftwerke auf. Der erste Preis dieser Negativbewertung ging freilich nach Brandenburg: Das Kraftwerk Jänschwalde verursacht rein rechnerisch 393 Todesfälle pro Jahr. Wie sich die Zahl ermittelt, wird in der Studie erläutert.

Es geht vor allem um die toxischen Verbrennungsrückstände im Feinstaub, den die Kraftwerke in die Luft blasen. Dazu Stick- und Schwefeloxide. Und da wird es jetzt spannend. Da bekommt auch die Leipziger “Feinstaubzonen”-Diskussion einen neuen Dreh. Denn die Leipziger Feinstaubbelastung ist schon durch die so genannte Hintergrundbelastung besonders hoch – höher auch als die Dresdener. Was auch daran liegt, dass die Emissionen aus den Kraftwerksschloten nicht immer nur im direkten Umfeld der Kraftwerke niederregnen, sondern auch mit dem Wind “verweht” werden. Und da der Wind in Leipzig am häufigsten aus Süden und Westen weht, spielt selbst das bei Schkopau gelegene Kohlekraftwerk für die Leipziger Feinstaubbelastung eine Rolle.

Die Stuttgarter Forscher haben die entsprechenden Emissionsmessungen aus ganz Europa mit den entsprechenden Kraftwerkstandorten in einer Karte übereinander projiziert. Es ist eine Karte mit Aha-Effekt. Deutlich sichtbar ist die höhere Feinstaubbelastung rund um das nordrhein-westfälische Kohlerevier, wo sich etliche der deutschen Kohlekraftwerke ballen. Aber der Blick nach Mitteldeutschland zeigt: Da stehen nicht nur ebenfalls einige Braunkohlemeiler, da ist die Feinstaubkonzentration auch deutlich höher.Das Kraftwerk Lippendorf gehört mit 108.000 Tonnen Feinstaubemissionen noch nicht einmal zu den staubigsten Anlagen. Bei der Emission von Schwefeldioxid liegt es freilich deutschlandweit auf Rang 2, gleich hinter Jänschwalde.

Bei den Gesundheitsauswirkungen liegt es nach den Berechnungen der Stuttgarter Forscher auf Rang drei, verursacht also statistisch 212 Todesfälle pro Jahr und 47.995 Tage Arbeitsausfall, weil die Betroffenen so krank sind, dass sie nicht zur Arbeit gehen können.

Und das ist eine berechenbare Größe, denn damit wird die Wirtschaft ganz direkt geschädigt. Man kann das erwirtschaftete Bruttoinlandsprodukt pro Stunde und Erwerbstätigen nehmen, wie es 2012 in Sachsen erwirtschaftet wurde. Das sind immer 33,12 Euro. Die kann man mit der Standardarbeitszeit von 8 Stunden und den 47.995 Ausfalltagen multiplizieren. Das ergibt allein für das Kraftwerk Lippendorf eine volkswirtschaftliche Wirkung von 12,7 Millionen Euro im Jahr. Weil aber all die Patienten mit Lungenwegserkrankungen oder Krebs oder was alles noch Folge der Atemluftbelastungen sind, natürlich nicht sagen können, welches Kraftwerk nun konkret für ihre Leiden verantwortlich ist, gehen diese direkten Folgen der Luftbelastung im großen Rauschen der Gesundheits- und Wirtschaftsstatistik unter. Die Leute fallen aus, die Unternehmen haben den Schaden.

Damit ist Lippendorf das volkswirtschaftlich schädlichste Kraftwerk in Sachsen – ganz knapp vor Boxberg, das mit bislang 164 errechneten Todesfällen und 37.018 Ausfalltagen in der Liste auftaucht. Aber 2012 ging ja der neue Block in Boxberg ans Netz. Der neue Block bringt rechnerisch weitere 53 Todesfälle pro Jahr, plus weitere 11.922 Ausfalltage. Zum volkswirtschaftlichen Folgeschaden von 9,8 Millionen Euro kommen also 3,16 Millionen weitere hinzu – macht also fast 13 Millionen Euro.

Es tauchen auch noch zwei kleinere sächsische Kraftwerke in der Liste auf – das von der Mibrag betriebene Kraftwerk Deuben, das ungefähr 1,33 Millionen Euro an gesundheitlichen Folgeschäden verursacht, und das Heizkraftwerk Chemnitz Nord II, das hier rund 930.000 Euro verursacht. Zusammen also über 27,9 Millionen Euro, die allein durch krankheitsbedingte Ausfalltage an Schaden entstehen. Da sind die direkten Gesundheitskosten – noch nicht berücksichtigt: Medikamente, Behandlungen, Arztkosten …

Das neue Kraftwerk Profen in der Elsteraue, das die Mibrag plant, würde mit weiteren 1,56 Millionen Euro volkswirtschaftlichen Ausfallkosten zu Buche schlagen.

In einer Grafik zeigt Greenpeace auch, wie sich das Verhältnis der gesundheitsschädlichen Emissionen der Kohlekraftwerke verhält etwa zu denen aus Gas-und-Dampf-Kraftwerken, wie die Leipziger Stadtwerke eines betreiben. Die Emissionen dieser GuD-Kraftwerke, die eigentlich die richtige “Übergangstechnologie” in der “Energiewende” wären, sind um ein Mehrfaches geringer. Nur sorgt gerade die dauerhafte Präsenz “billigen” Kohlestroms in den Netzen dafür, dass sich Investitionen in GuD-Kraftwerke nicht rechen.

Und natürlich stehen die erneuerbaren Energieanlagen auch daneben – hier insbesondere die Windanlagen, gegen die die sächsische Regierung mit all ihrer Macht ankämpft. Die haben natürlich keine dieser Emissionen.

“Anstatt die Kohleverstromung geordnet zu beenden, werden in Deutschland auch weiterhin neue Kohlekraftwerke geplant und gebaut. In den vergangenen Jahren konnten Bürgerinitiativen und Umweltverbände zwar über 20 neue Kohlekraftwerke verhindern. Doch die Energiekonzerne planen immer noch 17 neue Kohlekraftwerke”, kritisiert Greenpeace. “Sechs dieser Kraftwerke sind bereits genehmigt und in Bau – mit einer Inbetriebnahme wird für die Jahre 2013 bis 2015 gerechnet. Die Betreiber der Kohlekraftwerke rechnen für neue Anlagen mit Laufzeiten von 40 Jahren und länger. Jedes neue Kohlekraftwerk wird somit zu einem Hindernis für die Energiewende.”

Die Meldung findet man auf der Greenpeace-Website.

Den Report findet man hier: www.greenpeace.de/fileadmin/gpd/user_upload/themen/klima/Kohle-Gesundheitsreport.pdf

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar