Falsches Denken führt zu falschen Ergebnissen. Das muss auch die Commerzbank registrieren, wenn sie ab und zu mal die Unternehmen nach ihrer Investitionsneigung fragt. Hat sie von Ende 2013 bis Anfang 2014 mal wieder getan. Jüngst hat sie die Ergebnisse der Studie "Vorsicht versus Vision: Investitionsstrategien im Mittelstand" vorgestellt. Das Wörtchen "Vorsicht" steht nicht ohne Grund vorn.

Die Zinsen in der EU sind so niedrig, dass man eigentlich nicht mehr von Zinsen sprechen kann. Der Markt ist geflutet mit billigem Geld, die Banken schieben es sich in riesigen Tranchen hin und her. Nur da, wo es ankommen soll, kommt es nicht an: Bei den Unternehmen. Dass Tausende Unternehmen in den Krisenstaaten Südeuropas keine neuen Schulden machen wollen oder können, versteht man noch. Auch wenn man dann beim Nachdenken über volkswirtschaftliche Zusammenhänge arg ins Grübeln kommt.

Dass aber auch der Mittelstand in Deutschland sich in Zurückhaltung übt, macht sichtlich sogar die Banken nachdenklich. Die Befragung der Commerzbank ergab zwar einen ansteigenden Willen der Unternehmen, wieder mehr zu investieren. Und trotzdem zögern sie, bei den Banken um Kredite nachzufragen.

Ein Hoffnungsschimmer, meint die Commerzbank: “Im sächsischen Mittelstand ist offenbar eine Trendwende in Richtung langfristigerer Investitionsbereitschaft eingeläutet: Eine Mehrheit von 58 Prozent aller Unternehmen ist derzeit bereit, wieder langfristig zu planen und entsprechende Risiken einzugehen. Vor zwei Jahren waren dies nur 43 Prozent der Unternehmen, so ein zentraler Befund der neuen Studie der Commerzbank Mittelstandsinitiative ‘UnternehmerPerspektiven’.”

Die Studie trägt den Titel “Vorsicht versus Vision: Investitionsstrategien im Mittelstand”. TNS Infratest hat dazu mehr als 4.000 Unternehmer, davon 221 in Sachsen, und rund 70 Volkswirtschaftler an deutschen Hochschulen befragt. Die Studie ist also nicht unbedingt 1:1 auf Sachsen zu übertragen. Aber wenn das Lagebild auch in der wesentlich finanzkräftigeren Gesamtwirtschaft so ist, dann stimmt da was nicht.

“Es ist zwar sehr erfreulich, dass sich immer mehr Mittelständler vom reinen ‘Fahren auf Sicht?` verabschieden und die Krisenjahre endgültig hinter sich lassen”, meint Nikola Köller, Vorsitzende der Geschäftsleitung, verantwortlich für das Mittelstandsgeschäft der Commerzbank in Leipzig, Sachsen-Anhalt und Thüringen. “Die Frage ist jedoch, wann und wie sich dies in konkretem Handeln niederschlägt, denn die Zufriedenheit der Mittelständler mit ihrer Umsatzrentabilität sinkt.”

Eigentlich benennt sie das Grundproblem, dass den hiesigen Unternehmen Bauchschmerzen macht, sehr genau: Wann lohnt sich eine Investition, wenn die meisten befragten Unternehmen davon ausgehen müssen, dass ihr Marktanteil in den nächsten Jahren nicht wachsen wird? Kann es sein, dass das ganze Denken in “Wachstum” nicht mehr funktioniert? Und zwar auch deshalb, weil reihenweise wichtige Absatzmärkte regelrecht verschwunden sind?

Auch 54 Prozent der von TNS Infratest bundesweit befragten Volkswirtschaftler halten das Engagement der Unternehmen in Wachstum für unzureichend.

Die klassischen Erklärungsversuche gehen immer über die Marktpreise. Die Commerzbank dazu: “Unternehmen sehen Investitionsbarrieren vor allem in schwankenden Rohstoff- und Energiepreisen sowie im Fachkräftemangel. Investitionstreiber sind vor allem Kundenerwartungen und die Pflege des Bestands. Die Gruppe der Innovationsführer investiert hingegen stärker in die Entwicklung neuer Produkte und Märkte.”

Aber: “In globalen wirtschaftlichen Megatrends sehen die meisten Unternehmen keine Anlässe für Investitionen. Allenfalls in der zunehmenden Digitalisierung sehen 39 Prozent der Unternehmen in Sachsen positive Geschäftspotenziale.”

Man merkt schon, dass hier eine Bank versucht, sich in das Denken von Unternehmen hineinzuversetzen und sichtlich Probleme hat, aus den alten Rastern herauszukommen. Denn wenn Unternehmen finanziell gut dastehen, dann müssen sie doch auch investieren oder nicht?

Selbst die befragten sächsischen Unternehmen halten sich lieber zurück.

“61 Prozent der sächsischen Mittelständler, und damit deutlich mehr als der Bundesdurchschnitt, sehen sich von schwankenden Rohstoff- und Energiepreisen, 44 Prozent von unsicheren gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen, 41 Prozent vom anhaltenden Fachkräftemangel und 41 Prozent von komplexen behördlichen Genehmigungsprozessen beim Investieren ausgebremst. Dennoch ist der Mittelstand finanziell gut aufgestellt und grundsätzlich bereit, auch durch Investitionen zu wachsen”, stellt die Commerzbank fest. Keine wirklich neue Erkenntnis: Die Banken stehen hilfsbereit in den Startlöchern, die meisten Unternehmen könnten jederzeit Kredite bekommen – und verzichten trotzdem. Unfassbar.

Nur 22 Prozent des Mittelstands sehen Finanzierungsprobleme für anstehende Investitionen, 62 Prozent wollen sogar ganz ohne Fremdkapital investieren. Was für Banken ja noch schrecklicher klingt: Diese Unternehmen bräuchten also auch kein Fremdkapital, haben selbst die eigenen Magazine gefüllt – und investieren trotzdem nicht.

Kann es sein, dass die so nervösen Unternehmer zu Recht befürchten, dass sie damit Geld zum Fenster rausschmeißen? Und zwar nicht, weil ihre Idee nicht clever wäre und die Geschäftsausweitung nicht klug, sondern weil die Rahmenbedingungen geradezu beängstigend falsch sind? Nicht nur in Russland, Griechenland, Afrika, Südamerika oder im Nahen und Mittleren Osten. Nirgendwo ist ein ernsthaftes politische Bemühen in Sicht, Gesellschaften wieder zu stabilisieren und damit erst einmal verlässliche Marktbedingungen zu schaffen. Jetzt mal Markt ohne Gänsefüßchen geschrieben, denn er ist kein Abstraktum, wie es die derzeit regierende Wirtschaftstheorie behauptet. Er ist der Handelsplatz funktionierender Gesellschaften. Wenn er von zwei Seiten demontiert wird – durch Destabilisierung der Gesellschaften einerseits und die Demontage der wichtigen Marktregulierung anderseits, dann wird ein Agieren auf diesem “Markt” praktisch zum Hasardspiel.
“Jedoch sehen 78 Prozent der befragten Wirtschaftswissenschaftler Investitionsfinanzierung ohne Fremdkapital nicht als sinnvoll an. Die Zurückhaltung bei Fremdfinanzierung ist der Befragung zufolge nicht auf mangelndes Vertrauen in die Banken zurückzuführen – als Berater sind die Institute geschätzt. 59 Prozent der Unternehmen lassen Investitionsvorhaben von ihren Bankpartnern prüfen und 68 Prozent erwarten von ihren Finanzpartnern sogar, dass diese Investitionsoptionen aufzeigen und zu Investitionen motivieren”, stellt die Commerzbank fest.

“47 Prozent der hiesigen Unternehmen verfolgen eine ausgeglichene Strategie und investieren gleichermaßen in Erhalt und Wachstum des Betriebes. Nur 8 Prozent der Befragten legen bei der Gewichtung der Investitionen den Schwerpunkt auf Wachstum”, merkt die Bank in Auswertung der Studie ganz trocken an. “Eine breite Mehrheit ist mit den eigenen Investitionen in Substanzerhalt und Wachstum zufrieden (72 Prozent bzw. 82 Prozent).”

Heißt ja wohl im Klartext: Das ewig gefeierte Thema “Wachstum” ist tatsächlich nur eines für eine Minderheit der Unternehmen. Die meisten haben ihr Betätigungsfeld klar definiert und sind eher bestrebt, die Qualität ihrer Arbeit zu verbessern und Vorsorge für die Zukunft zu betreiben, indem in Gebäude, Maschinen und die Fachkräftesicherung investiert wird. Man “wächst” nicht mehr exzessiv nach außen, sondern stärkt Produktqualität und Kundenbindung.

Aber es gibt ja dann noch immer diese Meute von Wirtschaftswissenschaftlern, die vom Katheder herab andere Werte verkünden. “Die Volkswirtschaftler sehen jedoch in beiden Bereichen mehr Investitionspotenzial”, meint nun die Commerzbank daraus schließen zu können. Der Widerspruch wird auf Seite 20 der Studie eklatant sichtbar: Während die meisten Unternehmer aus bester Erfahrung sagen, das Investitionsniveau sei ausreichend, bescheinigen die befragten Ökonomen aus der Turmperspektive der reinen Lehre zu wenige Investitionen.

Natürlich steckt das falsche Denken schon in den Fragen. Was soll ein Unternehmer antworten, wenn er vor so eine Alternative gestellt wird: “Eher auf Sicht fahren, kurzfristig planen und flexibel entscheiden.” oder “Eher langfristige Entscheidungen treffen und die resultierenden Risiken eingehen.”Da steckt die Verachtung des Unternehmers, der langfristige Risiken sehr genau abwägt, schon in der Frage.

Es steckt aber auch das eigene (nicht eingestandene) Wissen drin, dass es derzeit gar keine weite Sicht gibt, dass Unternehmer sehr wohl sehr realistisch handeln, wenn sie “auf kurze Sicht” fahren.

“Für die Unternehmer stehen bei Investitionen in Sachwerte Büro- und Betriebseinrichtung und Maschinen oder Produktionsanlagen ganz oben auf der Agenda (75 bzw. 73 Prozent). Auch bei Investitionen, die über Sachwerte hinausgehen, setzen die Unternehmen auf Substanzerhalt: 92 Prozent investieren in Aus- und Weiterbildung ihrer Belegschaften, 90 Prozent in die Optimierung von Arbeits- und Organisationsstrukturen. Erst danach kommen Investitionen in Ausbau oder Erweiterung von Vertriebsstrukturen (64 Prozent), Entwicklung neuer Produkte oder Angebote (57 Prozent) sowie in Markenaufbau und -werbung (54 Prozent)”, fasst selbst die Commerzbank zusammen, was ihre Studie ergab. Nichts könnte besser beschreiben, wie verantwortungsvoll der so gern gefeierte deutsche Mittelstand mit der Substanz seiner Unternehmen umgeht.

Man könnte eigentlich froh sein, dass das Hyperventilieren der Banken, Börsen und ihrer “Wachstums”-Theoretiker so wenig abgefärbt hat auf die mittelständischen Unternehmer.

Aber die Commerzbank wäre nicht die Commerzbank, wenn sie daraus nicht geradezu die gegenteiligen Schlüsse ziehen würde. Denn die dicken Geschäfte macht sie ja nur, wenn die Unternehmen ins Risiko gehen.

Nikola Köller: “Wir müssen uns bei allem Optimismus fragen, wie wir als Bank die Unternehmer hierzulande unterstützen können, den Anschluss an die Weltmärkte zu halten. Unsere Aufgabe ist es, den Mittelstand kompetent zu beraten, ihn zu begleiten und ihm immer da, wo es verantwortbar ist, Mut zu mehr Wachstum und entsprechenden Investitionen zu machen.”

Wahrscheinlich ist es einfach so, dass Unternehmen in Deutschland diesen Zuspruch von ihrer Bank gar nicht brauchen. Die Finanzkrise hat ja deutlich genug gezeigt, wo das realistischere Denken zu Hause ist. Bei den meisten Banken war es das jedenfalls nicht.

Die vollständige Studie findet man hier: www.unternehmerperspektiven.de

Direkt zur Studie als PDF: www.unternehmerperspektiven.de/media/up/studien/14__studie/14_studie_2014_final.pdf

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