Sachsen ist nicht gleich Sachsen. Vielleicht steckt das hinter den völlig unterschiedlichen Entwicklungen der Gästezahlen im Jahr 2015. Um 3 Prozent gingen die Dresdner Gästezahlen zurück, nachdem sie zuvor jahrelang gestiegen waren. In Leipzig stiegen sie hingegen um 2,3 Prozent. Für die tourismuspolitische Sprecherin der Linksfraktion, Luise Neuhaus-Wartenberg, eindeutig ein „Pegida-Effekt“.

Auf der Hand liegt es natürlich. Denn in keiner anderen Stadt Sachsens können die versammelten Islam- und Fremdenfeinde derart regelmäßig ohne größeren zivilen Widerstand jeden Montag auf zentralem Platz demonstrieren wie in Dresden. Aus dem ganzen Umfeld reisen die Teilnehmer an – aus Bautzen, Freital, Heidenau und Meißen. Und die Bilder wirken natürlich und verändern die Außenwahrnehmung der bislang so attraktiven Barockstadt deutlich.

„Der Tourismus in Sachsen ist von eminenter Bedeutung für die Wirtschaft des Freistaates. 24.000 Menschen verdienen in diesem Bereich ihren Lebensunterhalt, für die Großstädte und viele Regionen Sachsens liegen hier wichtige Einnahmequellen für die Kommunen. Gerade über den touristischen Bereich hat sich Sachsen in den letzten Jahren ein positives Image aufgebaut“, stellt Neuhaus-Wartenberg fest. „Betrachtet man die Entwicklung in ganz Sachsen, erkennt man eine Stagnation auf gutem Niveau. Dass ausgerechnet die Landeshauptstadt sinkende Besucherzahlen feststellen muss, ist dabei kein Zufall.“

Die am Dienstag, 23. Februar, von der Dresdner Kulturbürgermeisterin Annekatrin Klepsch, Bettina Bunge und Thomas Ott vorgestellten Zahlen für die Landeshauptstadt zeugen aus ihrer Sicht nach Jahren der positiven Entwicklung von negativen Konsequenzen durch die ständigen Auftritte von Islam- und Fremdenfeinden für den Tourismus der Stadt. Die Verantwortlichen sprechen gar vom „Pegida-Effekt“.

„Pegida wird für Dresden mehr und mehr zum Imageproblem. Dabei müssen die Zahlen aus Dresden für den gesamten Freistaat als Warnsignal begriffen werden. Mit den traurigen Höhepunkten in Freital, Heidenau sowie Clausnitz und Bautzen am vergangenen Wochenende manifestiert sich in der Außenwahrnehmung ein immer schlechteres Bild des gesamten Freistaates“, so Neuhaus-Wartenberg. „Was mit den Aufmärschen in Dresden seinen öffentlichen Anfang nahm, ist zum sächsischen Problem geworden, und es wird bei der aktuellen Entwicklung auch im Tourismus nicht lange dauern, bis sich die Dresdner Entwicklung auf den Freistaat überträgt. – Tourismus braucht Weltoffenheit, Toleranz und kulturelle Vielfalt. Wenn potentielle Besucher dies in Sachsen nicht mehr finden, wird eine gesamte Branche unter dem Einfluss von Pegida leiden müssen.“

Leipzig legt noch ein bisschen zu

Da passt es irgendwie nicht so ganz ins Bild, wenn Leipzig einfach nur jubelt: „10. Rekordjahr in Folge: Neuer Gästerekord mit 2,83 Millionen Übernachtungen 2015. ‚Leipzig Region‘ ist die einzige Tourismusdestination in Sachsen mit Wachstum“.

Und differenziert war die Meinungsäußerung von Volker Bremer, Geschäftsführer der Leipzig Tourismus und Marketing (LTM) GmbH, aus Anlass der neuen Zahlen auch nicht: „Es ist ein hervorragendes Ergebnis, dass Leipzig zum zehnten Mal in Folge mehr Gäste gewinnen konnte. Einen großen Anteil daran haben unsere umfangreichen Marketingaktivitäten im In- und Ausland sowie die Zunahme an Kongressen, Tagungen und Events. Durch die Eröffnung der aufwendig sanierten Kongresshalle am Zoo im Mai 2015 erhielt Leipzig ein weiteres schlagkräftiges Argument, um für Kongresse und Tagungen zu werben. Hier setzen wir auch zukünftig auf die erfolgreiche Kooperation mit der Leipziger Messe GmbH und der Kongressinitiative do-it-at-leipzig.de, der 50 Partner angehören.“

Wer’s glaubt, wird selig. Die Analyse fehlt. Immer noch und weiterhin.

Denn Leipzig hat – in abgeschwächter Form – auch die Probleme ganz Sachsens. Denn nicht nur in Dresden gingen die Zahlen zurück. Chemnitz verzeichnete einen noch viel deutlicheren Rückgang von 8,9 Prozent. Und man könnte das durchaus interpretieren unter der Überschrift: „Mitgefangen, mitgehangen“. Denn während Dresden und Leipzig ein eigenes wahrnehmbares internationales Renommé haben, muss sich Chemnitz deutlich stärker unter der Marke „Sachsen“ verkaufen. Und all das, was in Heidenau, Bautzen, Clausnitz, Freiberg usw. passiert, wird international natürlich unter „Sachsen“ vermeldet.

Die Wirkung, die die Nachrichten innerhalb Deutschlands haben, wird dann in deutlich differenzierten Zahlen sichtbar: In Dresden und in Chemnitz gingen nämlich auch die Übernachtungen von Gästen aus Deutschland zurück – um 5,1 bzw. 6 Prozent. Dieser Wert aber stieg in Leipzig um 4,6 Prozent.

Eigentlich ein starkes Indiz dafür, dass innerhalb der Bundesrepublik sehr wohl differenziert wird, wo die wildesten Aufmärsche sind und wo sich die Zivilgesellschaft noch wirksam wehrt. Wobei auch das Plus von 1,4 Prozent in dieser Kategorie noch nicht wirklich Anlass zum Schampustrinken ist. Wenn die „Marketingaktivitäten“ wirklich so toll waren, hätte hier mehr passieren müssen – gerade im Jahr des 1.000-jährigen Jubiläums der Ersterwähnung.

Die Wahrscheinlichkeit ist wesentlich größer, dass die Stadt sich langsam als feste Bezugsgröße für Städte- und Kulturtouristen etabliert, aber dennoch im Inland nicht die Werte erreicht, die sie erreichen könnte.

„Im Verhältnis zum Gesamtwachstum erhöhte sich der Anteil der inländischen Gäste im Jahr 2015 nur geringfügig um 1,0 Prozent (Ankünfte) und 1,4 Prozent (Übernachtungen). Die Zuwächse der Gäste- und Übernachtungszahlen in Leipzig gehen vor allem auf ausländische Touristen zurück. Deren Ankünfte und Übernachtungen erhöhten sich 2015 auf 209.252 (+6,6 Prozent) und 424.975 (+8,3 Prozent).“

Und auch das ist kein Selbstläufer, denn bei Franzosen, Niederländern, Schweizern und Italienern gab es rückläufige Tendenzen. Die starke Werbung in Tschechien und Polen hat dafür die Gästezahlen von dort ansteigen lassen.

Insgesamt verzeichnete Leipzig 1.535.955 Ankünfte und 2.829.824 Übernachtungen, was dann die Zahlen von 2014 noch einmal übertraf.

Irgendwie spielt die Region in Sachsen noch eine Sonderrolle: „Zu diesen Zahlen kommen 2.036.168 gewerbliche Übernachtungen in der Region Leipzig hinzu, sodass sich insgesamt ein Volumen von rund 4,9 Millionen Übernachtungen für die Gesamtdestination ‚Leipzig Region‘  ergibt. Das entspricht einem Anteil von 26 Prozent an den gesamten Übernachtungen in Sachsen. Damit liegt die ‚Leipzig Region‘ an der Spitze der Gästestatistik. Sie ist auch das einzige Reisegebiet in Sachsen, das 2015 wachsende Ankünfte und Übernachtungen verzeichnet“, geht die Leipzig Tourismus und Marketing GmbH kurz auf die gegenläufige Tendenz ein.

Aber die Besorgnis ist auch bei Bremer angekommen: „Es bleibt abzuwarten, ob sich unsere potentiellen Gäste vom derzeit schlechten Sachsen-Image beeinflussen lassen. Mit verstärkter Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, kreativen Projektkooperationen sowie Präsentationen in unseren Wachstumsmärkten wollen wir deshalb noch deutlicher unsere Vorzüge herausstellen und aufzeigen, dass Leipzig traditionell eine weltoffene, gastfreundliche Handels- und Kulturstadt ist. Daher erwarten wir auch für das Jahr 2016 ein moderates Wachstum.“

Das könnte klappen, denn mit dem „100. Deutschen Katholikentag“ vom 25. bis 29. Mai 2016 hat die Stadt zumindest ein überregional für Aufmerksamkeit sorgendes Ereignis im Kalender. Das Max-Reger-Jubiläum erwähnt die LTM noch. Leibniz fällt erst mal unter den Tisch. Vielleicht kann Leipzig tatsächlich noch ein wenig von seinem Image zehren als Stadt der Friedlichen Revolution. Aber wie lange noch?

Die Kritik jedenfalls an der Politik der sächsischen Staatsregierung will dieser Tage nicht verstummen.

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