Den eigentlich zuständigen Wirtschaftsminister hat Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) schon gleich mit Beginn der Regierungszeit kaltgestellt. Das Thema Braunkohle hat er auf seinen Tisch gezogen, was eine Kohlepolitik ergibt, die nur noch aus Bremsen besteht. Deutlich geworden mit einem Brief, den Tillich an die Bundesregierung schrieb, mit dem er diese aufforderte, die von der EU beabsichtigten Schadstoffgrenzen zu verhindern.

Betroffen von den neuen EU-Grenzwerten für Quecksilber und Stickoxid wären natürlich auch sämtliche Kohlekraftwerke in Sachsen und Brandenburg. Für das Kraftwerk Jänschwalde könnte es das schnelle Aus bedeuten. Und seit Jahren kämpft ja Tillich gegen dieses Aus. Den Brief hat er im Namen der Braunkohleländer Brandenburg, Sachsen, Nordrhein-Westfalen und Sachsen-Anhalt geschrieben. Statt den Braunkohleausstieg zu planen und zu gestalten, der schon aus wirtschaftlichen Gründen in den nächsten Jahren ansteht, ignoriert Tillich die teuren Folgen, die ein unkoordiniertes Ende des Kohlezeitalters für Sachsen mit sich bringt.

Und die Gesundheit der Sachsen selbst scheint ihm regelrecht schnuppe. Denn dass auch sächsische Kraftwerke hohe Quecksilberlasten ausstoßen, war ja schon mehrfach Inhalt von Landtagsanfragen.

„Der Brief von Ministerpräsident Tillich, in dem er die Bundesregierung auffordert, im wirtschaftlichen Interesse der Braunkohlenkraftwerksbetreiber strengere Grenzwerte für gefährliche Luftschadstoffe zu verhindern, ist ein neuer Höhepunkt der geübten sächsischen Praxis, die Braunkohlewirtschaft so weit wie irgend möglich von Kosten und Risiken zu entlasten, indem man diese auf die Allgemeinheit abwälzt. Er vertritt damit nicht die Interessen der Bürgerinnen und Bürger an Leben, Gesundheit und langfristiger Zukunftsperspektive, sondern die kurzfristigen wirtschaftlichen Interessen der Braunkohle-Eigentümer“, erklärt zu diesem neuerlichen Vorstoß des sächsischen Ministerpräsidenten der energiepolitische Sprecher der Grünen-Landtagsfraktion Gerd Lippold. „Wie weit ist das kohlepolitische Koordinatensystem dieser Staatsregierung inzwischen verschoben, wenn sie in Nachrüstkosten für Kohlekraftwerksbetreiber einen ausreichenden Grund sieht, vielen Millionen Menschen den technisch machbaren, bestmöglichen Gesundheitsschutz zu verweigern?“

Nicht nur die Gesundheitskosten werden bei der Braunkohleverbrennung ausgeblendet. In Abgaben- und Steuerbefreiungen stecken Millionensubventionen. Und selbst der Blick auf die hohe Co2-Belastung in Sachsen zeigt, dass der Löwenanteil davon auf die Braunkohlekraftwerke entfällt. Solange die in Betrieb sind, hat Sachsen nicht mal die Chance, seine weichgespülten eigenen Klimaschutzpläne zu erfüllen.

„Es steht inzwischen wissenschaftlich außer Zweifel“, betont Gerd Lippold, „dass Luftschadstoffe wie Feinstaub, Stickstoffoxide, Schwermetalle Jahr für Jahr für tausende vorzeitiger Todesfälle und für viele Milliarden Zusatzkosten im Gesundheitssystem in Europa verantwortlich sind. Es gibt keine Alternative zum politischen Handeln für bestmögliche Gefahrenabwehr. Luftreinhaltung ist deshalb in aller Munde. Die Debatte um Luftschadstoffgrenzwerte etwa für Stickoxide und Feinstaub ist im täglichen Leben von Millionen Menschen angekommen. Millionen Bürgerinnen und Bürger sind nicht nur selbst gesundheitlich betroffen, sondern auch von Abgasskandal, Wertverlust und drohenden Fahrverboten. Dennoch wagten sich Regierungen nicht, das Problem einfach dadurch aus der Welt schaffen zu wollen, dass man die Grenzwerte für gefährliche Atemgifte so weit anhebt, bis es keine Überschreitung mehr gibt. Auch von der sächsischen Staatsregierung vernahm man in dieser Debatte um die Automobilindustrie solche Forderungen nicht.“

Aber augenscheinlich haben gerade die Chefs der Kohlekonzerne den besten Zugang zur sächsischen Staatskanzlei.

„Sobald sich jedoch der Chef eines Braunkohlenunternehmens über Auflagen und Kosten beschwert, die durch besseren Schutz von Gemeinwohlinteressen entstehen können, wird das in Sachsen zur Sache der Staatsräson. Das hat Methode: seit Jahrzehnten haben CDU-geführte sächsische Staatsregierungen reflexartig den Weg gewählt, den Schutz der Interessen der Allgemeinheit konsequent hintan zu stellen, wenn das dem Lieblingskind Braunkohle diente“, so Lippold.

Es sei immer wieder dasselbe Bild, sagt Lippold: „Die Braunkohlebosse können auf den festen Willen dieser Staatsregierung vertrauen, soviel wie möglich Kosten und Risiken aus dem Unternehmen auf die Schultern der Allgemeinheit zu laden. Offenbar fühlte man sich in dieser Tradition so sicher, dass man glaubte, den seit Jahren andauernden Sevilla-Prozess zur Definition neuer EU-Schadstoffgrenzwerte rechtzeitig erfolgreich torpedieren zu können. Nun ist das Entsetzen in der Branche groß, dass auf einmal doch innerhalb eines Jahres die Umsetzung in nationales Recht ansteht.“

Das erwischt die Kohlekonzerne natürlich auf dem falschen Fuß. Immerhin haben sie allesamt über zehn Jahre damit vertrödelt, den Kohleausstieg in Deutschland zu unterlaufen und damit die vielgepriesene „Energiewende“ in eine teure Kostennote auf der Strompreisrechnung der Verbraucher zu verwandeln. Denn die zahlen dafür, dass die Kohlemeiler weiter die Netze mit Billigstrom überfluten.

„Die Braunkohleverstromung ist wegen ihrer immensen externen Kosten unter volkswirtschaftlicher Betrachtung längst eine besonders teure Art der herkömmlichen Stromerzeugung. Nur die auslaufenden Atomkraftwerke verursachen noch höhere versteckte Kosten“, geht Lippold auf den wirtschaftlichen Aspekt dieser Bremserpolitik ein. „Die neuen Abgasgrenzwerte bieten die Chance, einen – wenn auch nur winzig kleinen – Teil dieser schon immer vorhandenen, aber bisher von der Allgemeinheit getragenen externen Kosten endlich in den Büchern der Verursacher und damit bei den Eigentümern, die über Jahrzehnte Milliarden daran verdient haben, abzubilden. Nicht nur bei Luftschadstoffen wie Stickstoffoxiden und Quecksilber, auch bei der Emission von Treibhausgasen, die den Löwenanteil bilden, steht diese Einbeziehung externer Kosten noch aus. Nur mit voller Kostenehrlichkeit lässt sich aber eine Ausgangssituation herstellen, in der Marktmechanismen zu einem sicheren, sauberen, kosteneffizienten und nachhaltigen Energiesystem von morgen führen können.“

Er fordert ein Ende dieser Legende vom billigen Kohlestrom.

„Immer wieder neue Versuche der sächsischen Staatsregierung, die Braunkohlenindustrie als protegierten Bereich vor diesen Entwicklungen zu schützen, sind zum Scheitern verurteilt. Auf einem toten Pferd kommt man nicht ins Ziel“, sagt Lippold sichtlich entnervt, weil alles Bemühen, die sächsische Staatsregierung zu einer realistischen Kohlepolitik zu bringen, scheitern und der Ministerpräsident alle Kritik an seiner Lobbyarbeit von sich abprallen lässt.

„Von der sächsischen Staatsregierung fordern wir, dass sie diese Erfahrung endlich zum Anlass nimmt, sächsische Energie-, Klima- und Regionalpolitik neu zu denken und nach vorn zu schauen“, geht Lippold auf das ein, was jetzt immer deutlicher auch auf Sachsen zurollt. „Der Abschied von der Braunkohle ist nicht nur beschlossen, sondern es wird immer wahrscheinlicher, dass er sehr viel rascher kommt, als man das in der Staatskanzlei wahrhaben möchte. Die EU-Schadstoffgrenzwerte sind dabei nur ein kleiner Baustein. Wenn der Ministerpräsident gegen die sehr viel größeren Hebel der künftigen Klimaschutzverpflichtungen auch jedes Mal mit Briefen anschreiben will, dann kann er dafür bald einen eigenen Postboten zwischen Dresden und Berlin pendeln lassen.“

In eigener Sache: Abo-Sommerauktion & Spendenaktion „Zahl doch, was Du willst“

Abo-Sommerauktion & Spendenaktion „Zahl doch, was Du willst“

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar