So prallen Meldungen aufeinander. „Eine klare Meinung haben die Mittelständler auch zur weiteren wirtschaftlichen Entwicklung. Demnach rechnen 67 Prozent noch im laufenden Jahr mit einer wirtschaftlichen Abkühlung“, meint die creditshelf Aktiengesellschaft aus Frankfurt am Montag, 24. September. Und gleichzeitig meldet das Sächsische Landesamt für Statistik eine unerwartet hohe Wachstumsrate für Sachsen. Was ist da los?

„Das deckt sich mit den Erwartungen der Bundesbank, die für das zweite Halbjahr keinen nennenswerten Beitrag der Industrie zum gesamtwirtschaftlichen Wachstum erwartet“, meinte Prof. Dr. Dirk Schiereck von der TU Darmstadt, der die Studie für die creditshelf wissenschaftlich begleitet hat. Konkret würden 41 Prozent der befragten Mittelständler für das zweite Halbjahr nur eine „leichte Konjunkturabkühlung“ sehen. Dagegen rechneten 17 Prozent mit einem „spürbaren Rückgang“ und neun Prozent sogar mit einem „deutlichen Einbruch“.

Das stimmt natürlich nicht. Nicht weil der Professor vielleicht nicht sauber gerechnet hätte, sondern weil das Unternehmen, das die Meldung herausgegeben hat, getrickst hat. „Nur jeder vierte Mittelständler ist mit Wirtschaftspolitik der Bundesregierung zufrieden“, hatte es in der Überschrift behauptet.

Befragt wurden aber überhaupt nicht alle Mittelständler, sondern nur „244 Finanzentscheider aus mittelständischen Industrieunternehmen“. Also nur aus dem Feld der Industrieunternehmen. Und dann auch nur 244. Das hat mit einer repräsentativen Umfrage nichts zu tun.

Bestenfalls ergibt das die Aussage: Etliche mittelständische Industrieunternehmen erwarten in der zweiten Jahreshälfte einen Absatzdämpfer.

Und was hat die erwähnte Bundesbank gemeldet? Einen leichten Dämpfer im Sommer, der vor allem mit einer Unsicherheit in der Kfz-Produktion einhergeht.

„Erhebliche Einschränkungen verzeichneten dabei insbesondere Kfz-Hersteller, deren Produktion um 6¾ Prozent zurückging. Eine maßgebliche Rolle spielten dabei Probleme im Zusammenhang mit der Umstellung auf ein neues, EU-weit einheitliches und verbindliches Emissionstestverfahren für neu zugelassene Fahrzeuge“, hatte die Bundesbank festgestellt.

Das ist die deutsche Fixierung aufs Auto.

Aber die deutsche Wirtschaft ist längst im Umbau. Auch in Sachsen. Und das wurde in diesem Frühjahr sogar besonders spürbar.

Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) in Sachsen stieg im ersten Halbjahr 2018 preisbereinigt um 2,1 Prozent gegenüber dem vergleichbaren Zeitraum von 2017. Damit verzeichnete der Freistaat Sachsen sowohl im Vergleich mit dem Bundesergebnis (1,9 Prozent Zunahme) als auch in Relation zu den anderen neuen Bundesländern ohne Berlin (1,7 Prozent Erhöhung) ein etwas höheres Wachstum.

Dieses preisbereinigte Ergebnis in Sachsen wurde maßgeblich durch die überdurchschnittliche Entwicklung der Bruttowertschöpfung (BWS) in Teilen der Dienstleistungsbereiche bestimmt, teilte das Landesamt für Statistik am Montag mit.

In jeweiligen Preisen gab es in Sachsen einen Anstieg des BIP um 4,1 Prozent (Deutschland 3,7 Prozent).

Im ersten Halbjahr 2018 wurde in allen Bundesländern ein Wirtschaftswachstum gegenüber dem vergleichbaren Vorjahreszeitraum erreicht. Die Veränderungsraten lagen zwischen einem Anstieg des preisbereinigten BIP um 3,3 Prozent in Rheinland-Pfalz bzw. 2,8 Prozent in Bayern bis hin zu einer Erhöhung um jeweils ein Prozent in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt sowie 0,7 Prozent im Saarland.

Im riesigen Bereich Dienstleistung findet man das Gesundheitswesen genauso wie das Bildungswesen, den öffentlichen Dienst oder die Finanzdienstleistungen. Während die Industrie sich immer weiter automatisiert und computerisiert (Stichwort: Industrie 4.0), sammeln sich im Dienstleistungscluster lauter Tätigkeiten, die nach wie vor den Einsatz von Menschen bedingen. Und das betrifft auch den dort ebenfalls angesiedelten Bereich der Informationstechnologie, der einen immensen Bedarf gut ausgebildeter IT-Spezialisten hat.

Da statistische Ämter aber Konjunkturentwicklungen immer erst nachträglich anhand der tatsächlichen Umsatzentwicklungen beschreiben, sind sie logischerweise verlässlicher als all die hunderten Abfragen von Bauchgefühlen, die von Verbänden, Instituten oder Finanzdienstleistern veröffentlicht werden. Welche aber permanent dafür sorgen, Stimmung zu machen.

Bauchgefühl statt wirklich wissenschaftlicher Analyse, etwa, was die Wirtschaftspolitik von Bundeskanzlerin Angela Merkel betrifft.

„Der industrielle Mittelstand stellt der neuen Bundesregierung unter Angela Merkel kein wirklich gutes Zwischenzeugnis aus: Nur 26 Prozent der befragten Mittelständler vergeben dafür die Schulnoten sehr gut oder gut, während 21 Prozent die aktuelle Wirtschafts- und Mittelstandspolitik sogar mit mangelhaft oder noch schlechter bewerten. Im Schnitt vergeben die befragten Entscheider ein schwaches befriedigend“, meint creditshelf.

Ein „befriedigend“ für eine Bundeskanzlerin, die einen achtjährigen Konjunkturaufschwung zu verantworten hat? Geht’s noch?

Da war die jüngste Einschätzung der Bundesbank tatsächlich nüchterner und nicht so anmaßend.

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