Ungewöhnlich voll war es in der Woche nach Ostern in vielen Leipziger Straßenbahnen. Die Leipziger Verkehrsbetriebe (LVB) hatten mit ihrer Aktion "Benzinpreis-Wahnsinn - Zeit zum Umsteigen!" Tausende Kraftfahrzeugbesitzer zum Einsteigen in Bahnen und Busse gebracht. Vier Tage lang konnte sie - einzig mit ihren Kfz-Zulassungspapieren als Ausweis - kostenlos mit LVB-Fahrzeugen fahren.

Großes Murren hörte man nicht. Gar so schrecklich ist es augenscheinlich nicht, seine Wege in Leipzig mit der Straßenbahn zurückzulegen und auf den Komfort des Automobils zu verzichten. Und möglicherweise deutet der Erfolg der Aktion auch darauf hin, wie viele Leipziger Autofahrer tatsächlich schon mit dem Gedanken spielten, das Auto gegen einen ÖPNV-Abo umzutauschen. Geld spart es tatsächlich. Nicht erst seit 2012. Aber mit einem dauerhaften Preis über 1,75 Euro hat der Liter Benzin augenscheinlich eine Schwelle erreicht, an dem sich so mancher Autofahrer sagt: Nun reicht’s.

Möglich auch, dass das Geschimpfe in den weniger gründlichen Medien nicht mehr funktioniert – auf die Ölkonzerne, die Tankstellenkartelle, die gemutmaßten Preisabsprachen. Alle Jahre wieder glänzte auch die Bundesregierung mit Aktionismus, wollte das “Oligopol” brechen, freie Tankstellen stärken (so wie im Mai 2011) oder die Pendlerpauschale schnell mal erhöhen, wie Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) vor Ostern in die Debatte warf. Als könnten die eh schon knappen Steuergelder den Preisanstieg an den Tanksäulen kompensieren.

Dass gerade Geringverdiener davon wieder mal gar nichts haben würden, war schnell ausgerechnet. Im Gegenteil: Da die Pauschale ja aus Steuergeldern bezahlt wird, würden sie wieder draufzahlen – und Nutzer anderer Verkehrsmittel gleich mit.

Die einschlägigen Medien tönten zwar weiter vom “Benzinpreis-Irrsinn”. Aber irre sind sie eigentlich selbst. Sie möchten gern eine gute heile Welt, in der das Benzin billig bleibt. Doch das bleibt es nicht einmal in den Sprit-Niedrigpreisländern China und USA. Der Grund ist simpel. Seit 2006 stagniert die Ölförderung weltweit. Die neuen Ölfelder, die erschlossen werden, liegen in geologisch komplizierten Regionen, teilweise schon weit draußen im Meer. Die Förderung wird teurer und riskanter – die Ölkatastrophe 2010 im Golf von Mexiko hat das Ausmaß dieser Risiken gezeigt.

Und da die Weltproduktion – trotz anhaltender Finanzkrise – nicht rückläufig ist, sinkt auch der Spritverbrauch nicht. Der Sprit wird zwangsläufig teurer. Die Preisspitzen von 2008 waren kein Ausrutscher, sondern nur eine Zwischenstation auf dem Weg zu immer höheren Preisen. Der Tag, an dem die verantwortlichen Politiker begreifen werden, dass der wertvolle Rohstoff Öl viel zu billig und viel zu schnell einfach für die Massenmobilität der Wohlstandsgesellschaft verbrannt wurde, ist vielleicht gar nicht mehr so weit. Und dann wird auch unter den Politikern eine Panik ausbrechen, die mit der Angst vor dem Klimawandel wenig zu tun hat.Denn alle großen Volkswirtschaften weltweit sind auf die Verfügbarkeit billigen Treibstoffs angewiesen. Ohne bezahlbares Öl fahren keine Tankerflotten, fliegen keine Frachtflugzeuge und keine Urlaubsflieger, rollen auch keine Mega-Trucks. Ohne billiges Öl sind aber auch 90 Prozent der Produkte, die in den Kaufhäusern der Welt landen, nicht mehr herstellbar. Der Preis von 1,77, 1,78 Euro an den Tankstellen für den Liter Benzin ist auch nur eine Durchgangsmarke.

Die Aussage dazu direkt aus dem Statistischen Landesamt zur Preisentwicklung im März 2012: “Für Kraftfahrer besonders bitter waren die Entwicklungen an den sächsischen Tankstellen. Sie zahlten rund vier Prozent mehr für den Liter ‘Diesel’ oder ‘Superbenzin’.” Seit März 2011 sind Kraftstoffe damit um 7,9 Prozent teurer geworden, seit 2005 sogar um 40,1 Prozent. Und da es ähnliche Entwicklungen auch bei der Haushaltsenergie gab (+ 44,4 Prozent), wird das flüssige Geld in den Börsen vieler Leipziger logischerweise knapp.

Da fängt Mancher an zu Grübeln. Und der ein oder andere Verantwortliche bei den LVB hat sich die Bürgerumfrage von 2008 vielleicht doch noch einmal genauer angeschaut. Denn die Leipziger wechseln ja immer wieder mal das Verkehrsmittel. Nur die Gründe dafür sind völlig unterschiedlich.

Wer angegeben hatte, auf den Pkw gewechselt zu sein, hatte vorrangig zwei Gründe genannt: Der wichtigste war die Änderung des Weges zu Ausbildung, Schule, Kita oder Arbeitsplatz. Aus Radfahrern und Fußgängern wurden Pendler. Die familiäre Logistik musste den neuen – wohl größeren Distanzen – angepasst werden. Übrigens ein Thema, das Leipzigs Stadtplanern durchaus Handlungsoptionen eröffnet. Denn wenn Arbeits-, Lern- und Betreuungsorte und auch Einkaufsmöglichkeiten in den kompakten Stadträumen liegen, kann man meist aufs Auto verzichten. Die kompakte Stadt ist eine Stadt der kurzen Wege.

Der zweite Grund fürs Umsteigen war schlicht die Bequemlichkeit. Nichts anderes.Wer aber vom Pkw auf den ÖPNV, aufs Rad oder Schusters Rappen umstieg, der nannte ganz andere Gründe. Der allererste – und der wird Ulf Middelberg, dem kaufmännischen Geschäftsführer der LVB, zuallererst ins Auge gestochen sein: Ihnen war das Autofahren zu teuer geworden. Zweitwichtigster Grund: die Gesundheit. Den gaben übrigens jene am häufigsten an, die vom Auto aufs Fahrrad umgestiegen waren. Dritter genannter Grund: Der Weg hat sich geändert. Was natürlich auch zeigt, dass sich veränderte Wohn-, Lern- und Arbeitsorte auch in bessere Verbindungen mit dem ÖPNV umschlagen können. Wenn der vorhanden ist.

Und weil die Aktion kurz nach Ostern so gut funktionierte, haben die LVB gleich nachgelegt und bieten den umsteigewilligen Autofahrern jetzt etwas an, was die üblichen Fahrgäste so noch nicht angeboten bekamen: ein Schnupper-Abo für drei Monate. Auf neudeutsch: Flatrate. Wem das Straßenbahn-Fahren an den vier Schnuppertagen gefallen hat, dem wird eine Drei-Monats-Flatrate für 46,92 Euro pro Monat angeboten. Dafür können die Umsteigewilligen drei Monate lang – von Mai bis Juli – im Netz der LVB fahren. Und weil der Mai noch ein bisschen hin ist, packt das Leipziger Nahverkehrsunternehmen noch was drauf: “Die Resttage im April schenken wir Ihnen. Es entstehen für Sie keine weiteren Verbindlichkeiten. Die Flatrate endet am 31. Juli 2012.”

Kann natürlich passieren, dass jetzt tatsächlich etliche Kraftfahrer den Umstieg wagen.

Vielleicht ist es auch tatsächlich Zeit für solche Aktionen. Nicht weil den LVB die Kunden fehlen – die Zahl der Fahrgäste wurde mit Einführung der Niederflurfahrzeuge permanent gesteigert. Die Einnahmen aus Fahrgeldern stiegen – auch durch die jährlichen Tarifsteigerungen – auf mittlerweile deutlich über 70 Millionen Euro. Ziel der LVB ist es, ab 2025 immerhin 25 Prozent unter allen Leipziger Verkehrsarten zu erreichen. Derzeit sind es 18 Prozent.

Was eine deutliche Steigerung der Fahrgastzahlen um über 25 Prozent bedeutet. Und da wird es gerade auf den Hauptlinien spannend, wo die Straßenbahnen heute in den Kernzeiten schon rappelvoll sind. Ist das Netz überhaupt für diese Steigerungen ausgelegt? Ist der Wagenpark groß genug? Müssen nicht Taktzeiten weiter verdichtet werden und neue Anbindungen erschlossen werden? – Denn was passiert, wenn immer mehr Autofahrer umsteigen müssen, weil auch 1,80 oder 2,00 Euro für den Liter Sprit nicht die Grenze sein werden? Wie groß müssen dafür die Kapazitäten sein?

Aktuell arbeiten die LVB daran, das Netz für die heutigen Bedarfszahlen auf Vordermann zu bringen. In fernerer Zukunft gibt es die Vision von noch breiteren Fahrzeugen. Aber das Gleisnetz dafür umzubauen, wird noch Jahrzehnte dauern. “Die Hälfte haben wir bis heute geschafft”, sagt Roland Juhrs, der technische Geschäftsführer der LVB.

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar