Politik in Sachsen wird immer seltsamer. Da beschließen CDU und SPD in ihrem Koalitionsvertrag, ein Bildungsticket für ganz Sachsen einführen zu wollen, wohl wissend, dass das Geld kosten wird. Doch als es drauf ankommt, zaudert man beim Geld. Die Sache scheint zu platzen. Am 1. September meldete zumindest die „Sächsische Zeitung“ das Aus für das Bildungsticket.

Im Koalitionsvertrag von CDU und SPD heißt es, dass „ein einheitliches, sachsenweit gültiges und kostengünstiges Bildungsticket, das Schülerinnen, Schülern und Auszubildenden über den Schulweg hinaus die Nutzung des ÖPNV über das gesamte Jahr ermöglicht“, kommen soll.

Dieses zentrale Regierungsprojekt wird es nun – vielleicht – nicht geben. So hatte es der mobilitätspolitische Sprecher der Linksfraktion im Sächsischen Landtag, Marco Böhme, bereits in seiner Erwiderung auf die Fachregierungserklärung von Verkehrsminister Martin Dulig (SPD) am 15. März 2017 im Landtag vorausgesagt.

Jetzt sieht sich Marco Böhme bestätigt: „Seit über 10 Jahren fordert unsere Fraktion, den Zuschuss für den Ausbildungsverkehr im Haushalt zu erhöhen. Bei den letzten Haushaltsverhandlungen wurde mal wieder unsere Forderung auf eine Erhöhung um knapp 15 Millionen Euro auf 75 Millionen Euro im Jahr 2017 abgeschmettert – mit der Behauptung, dass doch irgendwann ein Bildungsticket kommen solle. Die Ignoranz der CDU/SPD-Staatsregierung und der Koalition ist atemberaubend. In Sachsen steigen die Elternbeiträge zur Schülerbeförderung jedes Jahr massiv, und die Regierung tut nichts dergleichen, um diese Entwicklung aufzuhalten, geschweige denn zu stoppen.“

Die Große Anfrage zur Mobilität in Sachsen (Parlaments-Drucksache 6/8865, Seite 6, Frage II.10) enthüllt, das nicht nur die Grundpreise für Schülermonatskarten in den fünf Zweckverbänden extrem unterschiedlich hoch sind, sondern auch der Zuschuss für die Eltern stark variiert und in dieser Legislatur enorm gestiegen ist. Am tiefsten müssen die Eltern in Meißen (251,63 €), Dresden (223,80 €) und in der Sächsischen Schweiz (167,75 €) für Zeitkarten der Schüler in die Tasche greifen. Die Anteile der Eltern sind in den Landkreisen und Kreisfreien Städten sehr unterschiedlich hoch. So kostet in der Stadt und im Landkreis Leipzig eine Schülercard 13,60 € im Monat (163,2 € im Jahr), wovon die Eltern im Schuljahr 2013/14 immerhin 127 € zahlen mussten, was 77 % der Kosten entspricht. Im Schuljahr 2016/17 mussten die Eltern schon 136 € zahlen, was 83 % der Kosten sind.

Ähnlich krasse Erhöhungen gab es in Dresden, wo der Elternanteil von 50 % (2013/14) auf 61 % (2016/17) gestiegen ist, wobei dort der Grundpreis für Schülertickets bereits eh sehr hoch ist (223,80 € im Schuljahr 2016/17). Den höchsten Anstieg der Elternanteile erlebten die Eltern im Vogtlandkreis. Dort wurden die Kosten für Schülerbeförderung im Schuljahr 2013/14 (10 € / Monat = 120 € / Jahr) noch komplett vom Kreis getragen, was sich im Schuljahr 2016/17 leider erübrigt hatte – nun müssen Eltern die 120 € übernehmen.

„Dass das Bildungsticket nun nicht kommt, ist die eine schlechte Nachricht, was aber viel schlimmer ist, ist, dass nichts unternommen wird, um wenigstens die jährlichen Steigerungen der Elternanteile zu stoppen“, sagt Böhme. „Die Landkreise entscheiden selbstständig, in welcher Höhe sie die Zuschüsse des Freistaates für den Ausbildungsverkehr an die Eltern weitergeben. Mit unserem Haushaltsvorschlag hätten wenigstens die Steigerungen unterbunden werden können, doch nicht mal dafür konnte sich die Koalition begeistern.“

Das Bildungsticket macht aber auch deutlich, was für ein Flickenteppich der ÖPNV in Sachsen geworden ist und wie die völlig unterschiedlichen Arbeitsweisen der Verkehrsverbünde den Effekt einer zerrissenen Tariflandschaft sogar noch verstärken. Jede Kommune ist nur auf ihr eigenes Hoheitsgebiet fixiert. Die Tarifgrenze ist die Stadtgrenze. Und der Freistaat, der das Auseinanderdriften verhindern könnte, kneift. Denn das geht nur mit Geld. Wo man den ÖPNV sachsenweit über Jahre auf Verschleiß gefahren hat, braucht es Geld, Tarifvereinheitlichungen zu finanzieren.

Und die Zahlen liegen auf dem Tisch, betont Katja Meier, verkehrspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Sächsischen Landtag und Mitglied der ÖPNV-Strategiekommission: „Dass das Bildungsticket nicht zum Nulltarif zu haben sein wird, muss CDU und SPD doch vor der Unterzeichnung des Koalitionsvertrags klar gewesen sein. Wer das Bildungsticket will, muss für den Öffentlichen Verkehr auch in den Haushaltsverhandlungen ausreichende Mittel bereitstellen. Da waren CDU und SPD der Straßenausbau und die reine Autofahrperspektive doch näher.“

Altes Auto-Denken gewann diese Runde also wieder gegen modernes Netzwerkdenken.

„Seriöse Verkehrspolitik bedeutet vor einer Absage aber, alle Fakten, Zahlen und Alternativmodelle auf den Tisch zu legen. Das ist bisher nicht erfolgt. Weder wurden die Mitglieder der ÖPNV-Strategiekommission bisher von dem Aus für das Bildungsticket informiert, noch wurde das Aus des Bildungstickets in der Kommission beschlossen“, sagt Meier. „Ich frage mich, wozu es die Strategiekommission überhaupt gibt, wenn Entscheidungen vorweggenommen, im kleinen Kämmerlein beschlossen und via Presse verkündet werden. Insofern verwundert mich die Verlautbarungspraxis des SPD-Kollegen Thomas Baum schon sehr.“

Wobei das Aus – zumindest aus SPD-Sicht – so noch nicht feststeht.

Die SZ zitierte zwar auch aus der Antwort auf eine Nachfrage von Marco Böhme zum Bildungsticket, sah in der Erklärung aber nur die Begründung für das Aus, das bis jetzt noch niemand öffentlich erklärt hat.

Böhme wollte mit seiner Anfrage den konkreten Finanzbedarf für das Bildungsticket wissen. „Zum Scheitern des Bildungstickets selbst gibt die Staatsregierung auf eine weitere Kleine Anfrage (Parlaments-Drucksache 6/10277) keine Auskunft, obwohl die Zahlen für mögliche Mehraufwendungen in der Strategiekommission vorliegen.“

Verkehrsminister Martin Dulig (SPD) gesteht in der Antwort zu, dass vor allem Befürchtungen der Verkehrsträger, auf Mehraufwendungen sitzenzubleiben, bislang eine Einigung verhindert haben. Aber Genaueres werde man erst erfahren, wenn die von ihm eingesetzte Strategiekommission ihre Empfehlungen vorlege: „Es ist einvernehmlich vereinbart, dass konkrete, aus den Untersuchungen abgeleitete und durch die ÖPNV-Strategiekommission beschlossene Handlungsempfehlungen bis Ende 2017 im Rahmen des Abschlussberichtes der Staatsregierung übergeben werden.“

Und Henning Homann, Sprecher des Arbeitskreises Wirtschaft, Arbeit und Verkehr der SPD-Fraktion, betont: „Die SPD-Landtagsfraktion hält am Plan eines Bildungstickets für Sachsen fest. Es ist im Koalitionsvertrag vereinbart. Wir wollen mit dem Bildungsticket einen Beitrag zur Bildungsgerechtigkeit leisten und Familien entlasten. Eine Aufgabe der ÖPNV-Strategiekommission ist es, bis Ende des Jahres unterschiedliche Varianten für ein Bildungsticket zu erarbeiten, auf ihre Umsetzbarkeit zu prüfen und Empfehlungen auszusprechen. Anschließend wird in der Koalition über die genaue Ausgestaltung des Bildungstickets entschieden. Das Bildungsticket wird ein Teil der Gesamtstrategie zur Entwicklung des ÖPNV in Sachsen sein. Wir brauchen dazu die Kommunen und Verkehrsverbünde als Partner. Wir erwarten, dass im Sinne der Koalitionsvereinbarung alle an einem Strang ziehen.“

Die Kleine Anfrage von Marco Böhme zum Bildungsticket. Drs. 10277

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