Die Katze ist aus dem Sack. Eigentlich sind es jetzt sechs Katzen, obwohl der Stadtrat nur drei bestellt hat: Wie soll es weitergehen mit Leipzigs Mobilität, wenn diese Stadt bis 2030 auf 700.000 Einwohner wächst? Da sorgte das Stoppzeichen vor einem Jahr erst einmal für Entsetzen: Kassiert der OBM jetzt die versprochenen Mobilitätsszenarien? Nicht wirklich: Die sechs am Dienstag, 24. Oktober, vorgestellten Varianten haben es in sich.

Eigentlich haben sie es gar nicht in sich, denn all die Zahlen und Kosten, die man darin lesen kann, waren zu erwarten. 15 Jahre lang haben wir uns daran gewöhnt, dass es in der Leipziger Mobilität stagniert, dass keine neuen Strecken gebaut werden, im Radnetz nur geflickt wird, der Kauf neuer Straßenbahnen ein Jahrzehnteprojekt ist und die Kosten irgendwie im Keller bleiben.

Andere bundesdeutsche Städte erlebten das auch. Denn in den vergangenen 30 Jahren hat ein Erdrutsch stattgefunden. Der nannte sich meist treu und bieder: Austerität oder „Neuverschuldungsverbot“. Politiker vor allem der bürgerlichen Lager vertraten ein Staatsdenken, das vor allem die Entschuldung der Haushalte gekoppelt mit saftigen Steuersenkungen für Gutverdienende verband. Ungefähr das, was Donald Trump jetzt auch in den USA wieder macht, obwohl kaum ein Land der westlichen Welt so desolat gewordene Infrastrukturen hat.

Aber die Infrastrukturen müssen vor allem die Kommunen instand halten. Was sie aber nicht können, wenn ihre Mittel knapp gehalten werden.

Wenn die Vorstellung der sechs Szenarien etwas gezeigt hat, dann war das lediglich eine Rückkehr zu einer Normalität, die deutsche Städte nicht mehr kennen. Denn was da an steigenden Kosten allein im ÖPNV in der billigsten Variante auf Leipzig zukommt, ist nirgendwo in den Fördermodellen von Bund und Land vorgesehen.

Und der Appell von OBM Burkhard Jung war deutlich: Wenn Bund und Land nicht endlich in eine wirklich realistische Mobilitätsförderung einsteigen, werden die großen Städte allesamt in Stau und Verkehrschaos versinken.

Die sechs Szenarien unterscheiden sich vor allem in der Frage: Wie mutig entwickelt Leipzig tatsächlich ein wirtschaftliches und umweltfreundliches Verkehrssystem, wie viel Nachhaltigkeit steckt drin? Oder muss Leipzig mit einem „Weiterso“ leben, das – so Burkhard Jung – „für alle, wirklich für alle Verkehrsteilnehmer eine Verschlechterung bedeutet.“

Wie sind die sechs Szenarien entstanden und was wird jetzt geschehen?

Nachdem Fachleute der Verwaltung den Verkehr in der Stadt in den letzten Monaten analysiert, Prognosen abgeglichen und verschiedene Modelle durchgerechnet haben, wird die Vorlage mit der Darstellung sechs auf fachlich-wissenschaftlicher Basis erarbeiteter möglicher Szenarien jetzt dem Stadtrat und der Öffentlichkeit zur Diskussion übergeben. Die Szenarien, die auf Grundlage der Ziele des Stadtentwicklungsplans Verkehr und öffentlicher Raum erstellt wurden, geben einen Überblick über die Möglichkeiten und Kosten einer urbanen Mobilität in Leipzig im nächsten Jahrzehnt.

Im Frühjahr 2018 soll der Stadtrat dann über ein Vorzugsszenario entscheiden, welches Grundlage der Maßnahmenplanung der Folgejahre und auch der Fortschreibung des Nahverkehrsplans der Stadt Leipzig werden soll.

Statement von Oberbürgermeister Burkhard Jung

„Sicher, sauber und für alle bezahlbar – so wünsche ich mir die Mobilität Leipzigs in der Zukunft. Die aufgezeigten Szenarien geben einen fachlich fundierten Überblick über unsere Möglichkeiten, Wünsche und Ansprüche im ÖPNV. Auf dieser Grundlage kann die Stadtgesellschaft miteinander ins Gespräch kommen und sich eine Meinung bilden, wie wir unsere Mobilität künftig organisieren und in Balance halten wollen. Auch die Kostenseite ist jetzt grob klar: wir brauchen bis 2030 bis zu einer Milliarde Euro in Leipzig für unseren Verkehr, d. h. jährlich deutlich höhere Betriebszuschüsse, wenn Leipzig weiter so rasch wächst. Das werden wir nicht aus eigener Kraft stemmen können. Ich appelliere deutlich an die künftige Bundesregierung: Wer Klimaschutz für Deutschland will, der muss die Kommunen auch entsprechend ausstatten und finanzieren. Ohne zusätzliches Geld von Bund und Ländern werden die Städte und Gemeinden eine nachhaltige und akzeptierte Mobilität nicht organisieren können.“

Statement von Baubürgermeisterin Dorothee Dubrau

Bereits kommenden Samstag gibt es einen Workshop mit Vertretern der Stadtratsfraktionen, für Ende November laden wir Kammern, Vereine und Verbände zu einer gemeinsamen Diskussion ein. Auch alle Bürgerinnen und Bürger haben die Möglichkeit, die Mobilitätsstrategie 2030 auf der Internetseite der Stadt zu lesen und zu kommentieren. Zum Schluss hat wieder der Stadtrat das Wort, um seine bisherigen Beschlüsse, allen Bürgerinnen und Bürgern Leipzigs, der Wirtschaft und den Gästen unserer Stadt gleichwertige Mobilitätschancen zu bieten und die hohe Lebensqualität in der Stadt zu sichern, mit der Bestimmung einer Vorzugsstrategie weiter zu untersetzen. Die vom Stadtrat beschlossene Strategie wird dann auch in die endgültige Fassung des neuen Nahverkehrsplanes einfließen, dessen ersten Entwurf wir auch in Kürze zur Diskussion vorlegen wollen und der das Rückgrat unserer wachsenden Stadt bildet.“

Statement von Michael Jana, Leiter des Verkehrs- und Tiefbauamtes

„Die sechs zur Diskussion vorgelegten Szenarien basieren nicht nur auf den verkehrs-, umwelt- und klimapolitischen Zielsetzungen bisheriger Beschlüsse des Stadtrates, sie verarbeiten auch mit wissenschaftlicher, faktenbasierter Szenario-Methodik die aktuellen Daten und Herausforderungen der wachsenden Stadt und geben einen Ausblick auf die Konsequenzen unterschiedlicher Handlungsschwerpunkte und -intensität. Auch die Erkenntnisse der Verkehrsstudie der IHK, welche die Zielrichtung der Verkehrsentwicklungsplanung in Leipzig unterstützt, lassen sich hier einordnen.“

Mit jedem einzelnen Szenarium beschäftigen wir uns morgen an dieser Stelle etwas ausführlicher.

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Das ‘Fortführungsszenario’ ist ein Witz. Das ist ein “Weiter so”, wie wir es bereits aus vielen anderen Gremien kennen. Das kann nicht ernst gemeint sein.

Das wir in Leipzig bereits im Hintertreffen sind, zu altes Material besitzen, relativ hohe Preise, ein stagnierendes ÖPNV-Netz – all das sind Symptome, die der “ÖPNV-Heilsbringer” Jung forciert und quasi erzwungen hat. Und seit über 10 Jahren weiß.
Seine heeren “Wünsche” – welcher spontanen Eingebung auch immer sie entspringen – sind für viele bereits seit langer Zeit offensichtlich. Nun sind natürlich Bund und Land Schuld; das ist leider auch nicht komplett von der Hand zu weisen. Aber mit seinem Parteifreund Dulig telefoniert er anscheinend nicht so oft. Der sitzt nämlich an so einem entscheidenden Hebel.

Auf einer Ost-West-Röhre herumzureiten (die frühestens in 30 Jahren nutzbar wäre) und 1 Milliarde Goldtaler zu fordern ist mir zu primitiv.

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