Im „Nahverkehrsplan 2017“, den der ZVNL jetzt dem Leipziger Stadtrat zur Abstimmung vorgelegt hat, taucht auch der gern zitierte Ost-West-Tunnel wieder auf, von dem immer geredet wird. Aber es gibt dafür noch nicht einmal Strukturskizzen, geschweige denn, dass jemand weiß, was für Züge da eigentlich durchfahren sollen. Einige andere Investitionsaufgaben, die der ZVNL anmahnt, sind wesentlich realistischer – und dringender.

Zumindest prüfen will man beim ZVNL, welchen Sinn dieser so gern geforderte Ost-West-Tunnel eigentlich haben soll. Unter einer Bedingung: Das prognostizierte Wachstum auf 700.000 Einwohner im Jahr 2030 muss auch so kommen. Sonst lohnt es sich einfach nicht.

„In der Stadtentwicklungsplanung Leipzigs ist die Schaffung eines neuen Tunnels im spurgeführten Verkehr in Ost-West-Richtung in der Diskussion. Sollte in den nächsten Jahren eine Einwohnerentwicklung in Leipzig und dem Umland entsprechend der hohen Prognose zu verzeichnen sein, sollte geprüft werden, ob und wie ein solcher Tunnel in das bestehende Eisenbahnnetz eingebunden werden kann“, kann man im „Nahverkehrsplan 2017“ lesen. Einfach einen Tunnel zu bauen, macht aus Sicht des Regionalnetzplaners schlicht keinen Sinn. Man muss vorher wissen, welche Züge da wohin fahren sollen. Und vor allem, wie viel Zugverkehr man garantiert bekommt, damit sich die Milliardeninvestition auch lohnt. Kostenkalkulationen gibt es ja noch keine.

Und wirklich auf dem Schirm haben auch Leipzigs Verkehrsplaner so ein Projekt nicht. Die sehen eher die Notwendigkeit für einen Straßenbahntunnel, mit dem man das Nadelöhr City-Ring unterfahren kann. Aber selbst da gehen sie von einem Kostenrahmen von 3 Milliarden Euro aus. Und sie wissen zumindest, dass man so das Fahrgastaufkommen in der Straßenbahn tatsächlich erhöhen kann.

Aber im Zugverkehr? Man spürt die Skepsis der ZVNL-Planer: „Dabei ist zu untersuchen, welche SPNV-Kapazitäten zur wirtschaftlichen Ausgestaltung dieser Infrastrukturanlage zu planen und zu bestellen wären und wie dann das bestehende SPNV-System unter Beachtung der effizienten Steigerung der SPNV-Nutzung zu ergänzen wäre.“

Und die Skepsis betrifft auch die Stadt Leipzig: Bekommt die überhaupt hin, dieses Wachstum zu gestalten?

Und: Erzwingt das überhaupt einen neuen Tunnel? Oder lassen sich die Wachstumseffekte auch im bestehenden Netz auffangen?

Denn wirklich ausgereizt ist das Leipziger S-Bahn-Netz noch lange nicht. Sogar neue Haltepunkte ließen sich an verschiedenen Stellen noch unterbringen.

Mit der S-Bahn nach Althen und Paunsdorf

Denn wenn Leipzig wächst, kommen als Baugebiete auch die Stadtränder infrage – sofern dort auch Haltepunkte für die S-Bahn gleich mitgebaut werden. Vorschlag des ZVNL: „Für die neuen Einwohner ist entsprechender Wohnraum zu schaffen. Dieser wird entweder an neuen Standorten oder durch die Wiederbelebung bzw. Umnutzung vorhandener Standorte entstehen. Vor diesem Hintergrund sind die Errichtung eines neuen S-Bahn-Haltepunktes Leipzig-Althen sowie der Ausbau des Haltepunktes Leipzig-Paunsdorf und dessen Anbindung an das S-Bahn-Netz zu prüfen. Diese würden ihre Wirkung auf dem S-Bahn-Ast Leipzig-Stötteritz–Wurzen entfalten und eine bessere Erschließung des Leipziger Ostens durch die S-Bahn ermöglichen.“

Paunsdorf? Dort verhinderte bislang der Güterbahnhof, dass dort ein ganz logischer S-Bahn-Haltepunkt gebaut wurde. Der ZVNL: „Voraussetzung für einen S-Bahn-Haltepunkt Leipzig-Paunsdorf ist die Verlagerung der Aufgaben des Güterbahnhofs Leipzig-Engelsdorf zur Zugbildungsanlage Halle (Saale), deren Fertigstellung 2018 geplant ist.“

Danach könnte die Planung für den Haltepunkt Paunsdorf beginnen. Nicht der einzige, der ganz offensichtlich im Netz noch fehlt. Die anderen hat der ZVNL quasi ins Hausaufgabenheft für Bund und Bahn geschrieben. Denn die Maßnahmen in der benötigten Infrastruktur muss die Bahn umsetzen – und der Bund finanzieren.

Das hier ist die Aufgaben-Liste:

1. Elektrifizierung Leipzig–Grimma–Döbeln

2. Elektrifizierung und Streckenausbau Leipzig–Bad Lausick–Chemnitz

3. der dringend benötigte Haltepunkt Radefeld Porsche: „Durch den Bau des neuen Haltepunktes Radefeld wird die SPNV-Anbindung des wichtigen Gewerbegebietes Güterverkehrszentrum (GVZ) Leipzig möglich. Durch die großflächigen Ansiedlungen global agierender Unternehmen und deren Zulieferer wurde eine erhebliche Nachfrage im Pendlerverkehr identifiziert. Die Umsetzung der Maßnahme hat eine hohe Priorität.“

4. der Ausbau des Haltepunktes Narsdorf zum Bahnhof

5. Ausbau Werdau

6. die Schaffung eines neuen Haltepunktes Zitzschen See: „Langfristig ist die weitere SPNV-Erschließung des Leipziger Neuseenlandes zu prüfen. Aus heutiger Sicht ist ein neuer Haltepunkt am Zwenkauer See an der Ortslage Zitzschen am wirksamsten.“ Auf dieser Strecke verkehrt die Regionalbahn nach Zeitz, die man ja sowieso künftig auf 30-Minuten-Takte verdichten möchte. Damit wird es attraktiv, von Leipzig-Hauptbahnhof mit dem Zug nach Zitzschen zu fahren, um von dort ans Westufer des Zwenkauer Sees zu gelangen. Klammer auf: Dann werden auch Halte in Großzschocher und Knauthain wieder interessant und eine Überlegung wäre sinnvoll, die Regionalstrecke in eine richtige S-Bahn-Strecke zu verwandeln.

7. Hauptsignal Leipzig-Gohlis: „Die Strecke 6382 soll signaltechnisch so umgerüstet werden, dass in Leipzig-Gohlis ein Wenden (Beginnen und Enden) der S-Bahn-Linien bei Baumaßnahmen und betrieblichen Störungen möglich wird.“

8. und dann gibt es ja noch zwei „halbe“ Haltepunkte. Die stecken in der Gleisverbindung Leipzig-Hauptbahnhof Leipzig-Mockau: „Die Haltepunkte Leipzig Nord und Leipzig Essener Straße (in Bau) sind gegenwärtig nur in/aus Richtung Delitzsch (Strecke 6411) für den SPNV erreichbar. Alle Verkehre von/nach Leipzig/Halle Flughafen und Halle (Saale) Hbf (Strecke 5919) müssen auf einem anderen Streckengleis an der Verkehrsstation vorbeifahren. Durch die geforderte Gleisverbindung zwischen den Strecken 6411 und 5919 sollen die Haltepunkte vollständig nutzbar gemacht und eine betrieblich Flexibilität zwischen SPNV und SPFV erreicht werden.“

9. gebraucht werde auch ein Abstellgleis für S-Bahnen im Bahnhof Taucha

10. und ganz öffentlich ärgert man sich beim ZVNL über das teure, letztlich aber sinnfreie Bahnsteigkonzept der Deutschen Bahn. Das eigene Bahnsteigkonzept ist eigentlich stringent durchdacht: „Die Bahnsteige sind mit einer Höhe von 55 cm über Schienenoberkante (SOK) zu planen, um im Verbandsgebiet den stufenfreien Zugang in die mehrheitlich darauf ausgerichteten Fahrzeuge gewährleisten zu können. In Hinblick auf die eingesetzten und zukünftig einzusetzenden Fahrzeuge auf elektrifizierten Strecken sind Bahnsteiglängen von mindestens 140 m (für 145 m lange Züge) zu planen. In Abstimmung mit den weiteren Aufgabenträgern und zuständigen Ministerien im mitteldeutschen Raum unterstützt der ZVNL das Bahnsteighöhenkonzept der DB AG nicht. Ein Ausbau der Bahnsteige gemäß Bahnsteighöhenkonzept der DB AG würde den Umbau von 218 Bahnsteigen auf 76 cm über SOK im Verbandsgebiet bedeuten. Dem stehen 23 Bahnsteige gegenüber, die mit 76 cm Bahnsteighöhe gebaut worden sind.“

Und eigentlich (Punkt 11) sind es die sich mehrenden Haltepunkte, mit denen der ZVNL das Leipziger S-Bahn-Netz gern verdichten möchte – gerade da, wo mit neuen Wohngebieten und neuen Fahrgästen zu rechnen ist: „Zusätzlich zu den oben genannten Maßnahmen sind im Norden Leipzigs die neuen Haltepunkte Mockauer und Essener Straße aktuell bereits im Bau. Der Neubau weiterer S-Bahn-Stationen wird fortlaufend untersucht und bewertet. Dazu gehören eine Anbindung der Linie S 3 an die Station Leipzig Coppiplatz, neue Haltepunkte an der Delitzscher bzw. Berliner Straße in Leipzig sowie die S-Bahn-Stationen Leipzig-Althen, Leipzig-Paunsdorf und Marienbrunn.“

Man ahnt, welches Potenzial in diesem S-Bahn-Netz steckt. Jetzt braucht man nur noch ein paar Leute auf höheren Entscheidungsebenen, die verstehen, was das für die Metropolregion Leipzig bedeutet.

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