Fraktionen im Stadtrat entlarven sich auch durch ihr Abstimmungsverhalten. Am 20. April ging es in der Leipziger Ratsversammlung eigentlich darum, die Leipziger Verkehrsbetriebe (LVB) in der finanziell derzeit schwierigen Lage zu unterstützen. Inflation, Tarifsteigerungen für die Angestellten und massiv gestiegene Baukosten machen dem Unternehmen zu schaffen. Doch die CDU-Fraktion machte auch diese Abstimmung zu einer Generalablehnung der 2018 beschlossenen Mobilitätsstrategie der Stadt.

Mit fadenscheinigen Argumenten. So eloquent auch CDU-Stadtrat Michael Weickert argumentierte, die Stadt könne nicht einfach erwarten, Bund und Land würden jetzt mehr Geld für den ÖPNV in die Kommunen geben, so eigenartig war dann das durchgehende „Nein“ der CDU-Fraktion zu sämtlichen Punkten aus der Vorlage der Stadt.

Selbst zu einem Punkt, in dem OBM Burkhard Jung lediglich versprach: „Der Oberbürgermeister wird beauftragt, die veränderten Rahmenbedingungen (u. a. Bevölkerungsentwicklung, Fahrgastzahlen, Tarifsteigerungen über 2 %; Datenbasis ist das Jahr 2023) im Zusammenhang mit der Evaluierung der Mobilitätsstrategie 2030 zu bewerten und dem Stadtrat die Ergebnisse im 4. Quartal 2024 vorzulegen.“

Vorlage der Stadt „Aktuelle Herausforderungen der ÖPNV-Finanzierung unter dem Nachhaltigkeits-Szenario“

Jede Ratsfraktion, die sich irgendwie ernsthaft mit dem ÖPNV in Leipzig beschäftigt, wartet geradezu auf so einen Bericht. Denn Fakt ist – und das sprachen am 20. April ja fast alle Redner und Rednerinnen an -, dass sich die Rahmenbedingungen seit dem Stadtratsbeschluss zum Nachhaltigen Mobilitätsszenario 2018 deutlich verändert haben.

Kein Ausbau in Sicht?

Was aber nicht stimmt – und was Michael Weickert so falsch darstellte wie FDP-Stadtrat Sven Morlok – ist, dass sich bei Leipzigs ÖPNV gar nichts getan hätte und nicht in den Ausbau investiert wurde.

Was stimmt, ist, dass es keine Streckenerweiterungen gegeben hat und diese auch vor 2030 nicht zu erwarten sind.

Aber der simple Blick ins System zeigt, wie sehr die LVB in neue Fahrzeuge investiert haben – 61 moderne XL-Straßenbahnen von Solaris fahren mittlerweile durch die Stadt, die nächste Fahrzeuggeneration, die ab 2024 fahren soll, ist bestellt und wird sogar vom Land mit 68 Millionen Euro gefördert.

Eine Straßenbahn in Leipzig. Foto: Michael Freitag
Eine Leipziger Straßenbahn im Einsatz. Foto: Michael Freitag

Was eben auch heißt: Es ist nicht völlig sinnfrei, wenn der OBM aufgefordert wird, mit Bund und Land über Fördermittel für den ÖPNV zu sprechen. Die gab es sogar in der Vergangenheit immer wieder – wenn auch oft in „homöopathischen Dosen“.

So gesehen stimmte auch nicht, wenn Linke-Stadträtin Franziska Riekewald meinte, es gäbe keinen Ausbau, sondern nur die Aufrechterhaltung des Status Quo. Nur dass sie aus völlig anderer Perspektive argumentierte, denn aus Sicht der Linksfraktion geht der Ausbau des ÖPNV viel zu schleppend voran. Da müsste, so Riekewald, dringend „ein Zahn zugelegt werden“.

Wie belastbar ist die Prognose?

Die Gelder, über die am 20. April entschieden werden sollte, waren ja keine zusätzlichen Gelder für den Ausbau, sondern nur jene Summe, mit der die prognostizierten Finanzierungslöcher der LVB 2023 und 2024 gestopft werden sollen: 9 Millionen und 11 Millionen Euro.

Oder im Text der Vorlage: „Die außerplanmäßigen Aufwendungen nach § 78 SächsGemO in Anlehnung an § 79 (1) SächsGemO zur ÖPNV-Finanzierung i. H. v. 9 Mio. € für 2023 und 11,5 Mio. € für 2024 im Budget ‚Öff. Personennahverkehr‘ (926_547_ZW) werden bestätigt.“

Das hat natürlich viele Stadträtinnen und Stadträte aufgeschreckt. Denn wenn jetzt bei den LVB so ein Finanzierungsloch aufklafft, was wird das in Zukunft? Ein Fass ohne Boden?

Prognostizierte Fahrgastzahlen bei den LVB. Grafik: Stadt Leipzig
Prognostizierte Fahrgastzahlen der LVB. Grafik: Stadt Leipzig

Die Vorlage freilich bietet jede Menge Zahlenmaterial, das zumindest die Grundlagen dieser Prognose zeichnet. Da sind die drei Corona-Jahre, die das Fahrgastaufkommen (und damit auch die Einnahmen) der LVB dramatisch haben einbrechen lassen. Da sind die massiv gestiegenen Energiepreise, die Preise für Beschaffung und Bau.

Und nun natürlich die hohen Tarifabschlüsse, die sich die Mitarbeiter/-innen der LVB zweifellos verdient haben. Die aber auch zusätzliche Millionenbeträge bedeuten, welche die LVB aus eigener Kraft nicht erwirtschaften können.

Da ist – wie Michael Weickert richtig bemerkte – natürlich der Steuerzahler gefragt.

Aber da sind auch die Prognosen für die Fahrgastentwicklung, welche die Vorlage enthält, die durchaus fragwürdig sind. In der Vorlage heißt es: „Mit einer Konsolidierung der Fahrgastzahlen auf dem Niveau von 2019 ist frühestens ab 2024 zu rechnen. Im Jahr 2022 war ein Sondereffekt von etwa 6 Mio. Fahrgästen infolge des 9€-Tickets zu verzeichnen.“

Woher diese Vermutung stammt, steht nicht da. 2022 war das erste Jahr, in dem sich die Fahrgastzahlen wieder stabilisierten. Nach knapp 100 Millionen in den Jahren 2020 und 2021 waren es inzwischen erstmals wieder 135 Millionen. Aber das hat nicht nur mit der „Rückkehr“ von Fahrgästen zu tun, die in der Corona-Zeit lieber den ÖPNV mieden, sondern damit, dass das Fest-, Gastro- und Messegeschäft auch 2022 erst langsam wieder anlief.

Und auch 2022 gab es weiterhin spürbare Ausfälle im Liniendienst, weil Fahrpersonal erkrankt war. Da wurden etliche Linientakte ausgedünnt, was natürlich immer zu einem Fahrgastverlust führt.

Berichtstermin ist jetzt der 31. Oktober

Darüber wurde am 20. April nicht weiter diskutiert, auch wenn durchaus erwähnt wurde, dass sich die Personalprobleme der LVB noch verschärfen, wenn die Gehälter der Fahrer und Fahrerinnen nicht steigen.

Wie sich die Sache weiter entwickelt, das weiß kein Mensch wirklich. Und da bezweifelte vor allem Franziska Riekewald, ob die Zahlen in der Vorlage so stimmen. Weshalb die Linksfraktion einen Änderungsantrag eingereicht hatte, diese ganzen luftigen Prognosen eben nicht zu bestätigen.

„Die Kapitel 2.2-2.6 (siehe Begründung) werden nicht bestätigt. Die inhaltliche Konkretisierung (inkl. Finanzierung) sowie die zeitliche Untersetzung der Maßnahmen wird dem Stadtrat bis zum 31.10.2023 per Beschlussvorlage zur Entscheidung vorgelegt“, verlangte sie in ihrem ersten Änderungsantrag.

Und: „Der Oberbürgermeister wird beauftragt, die veränderten Rahmenbedingungen (u. a. Bevölkerungsentwicklung, Fahrgastzahlen, Deutschlandticket, Tarifsteigerungen bis 2 %, Datenbasis ist das Jahr 2023) im Zusammenhang mit der Evaluierung der Mobilitätsstrategie 2030 zu bewerten und dem Stadtrat die Ergebnisse im 4. Quartal 2024 vorzulegen.“

Das konkretisierte sich in der Diskussion dann auf den 31. Oktober. Und OBM Burkhard Jung konnte dem auch folgen. Dass er bis zum 31. Oktober einen wirklich fundierten Bericht vorlegt, wünschte sich dann auch eine eindeutige Stadtratsmehrheit mit 32:17 Stimmen. Nur eben ohne CDU-Fraktion und AfD-Fraktion.

Was dann die Frage aufwirft: Wie wollen diese beiden Faktionen eigentlich über das Nachhaltigkeits-Szenario und den ÖPNV mitreden, wenn sie die Fakten und Zahlen nicht einmal interessieren?

Ein prinzipielles „Nein“ zum ÖPNV

So ging das ja dann in der punktweisen Abstimmung zur Vorlage selbst, mit der den LVB die benötigten 20 Millionen Euro zur Verfügung gestellt werden sollen, munter weiter.

Selbst beim Punkt 4, in dem es eigentlich ganz logisch heißt: „Der Oberbürgermeister wird beauftragt, sich weiterhin aktiv gegenüber dem Bund und dem Freistaat Sachsen an den entsprechenden Stellen und Gremien (bspw. über den Deutschen Städtetag) für eine auskömmliche Finanzierung des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) einzusetzen.“

Hier einfach dagegenzustimmen, weil man als Fraktion das Nachhaltigkeitsszenario schon aufgekündigt hat, ist auch ein politisches Statement: Der ÖPNV in Leipzig ist eigentlich völlig egal.

Beschlossen wurde dann – mit sichtlichem Unbehagen auch bei Fraktionen, die sich den ÖPNV-Ausbau dringend wünschen – die Sache mit der Buslinie zur Spinnerei: „Die Erschließung der Halle 7 der ehemaligen Baumwollspinnerei mit der Linie 64 wird, zunächst entgegen des Nahverkehrsplanes und des Stadtratsbeschlusses Nr. VI-DS-06352-ÄA-02, in 2023 und 2024 ausgesetzt, aber anlassbezogen angeboten.“

Angenommen wurde hingegen ein weiterer Änderungsantrag der Linken, den LVB bis zu 4,5 Millionen Euro zur Verfügung zu stellen, um den Inflationsausgleich für die Angestellten bezahlen zu können. Auch der ist ja im Budget der LVB nicht darstellbar.

Radverkehr kontra ÖPNV?

Die Freibeuter haben hingegen ihren Antrag – für den Sven Morlok noch plädierte – zurückgezogen. Hier ging es darum, den Ausbau der Parkraumbewirtschaftung in Leipzig zu bremsen.

Ein Ansinnen, das Sven Morlok noch mit der Sichtweise unterlegt hatte, der Ausbau der Pull-Maßnahmen im ÖPNV würde auf die lange Bank geschoben (also Ausbau des ÖPNV-Angebotes), dafür würden Push-Maßnahmen einfach durchgedrückt und quasi ein Fahrrad-Szenario umgesetzt, das der Stadtrat so gar nicht beschlossen hätte.

Wer aber ins Nachhaltigkeits-Szenario schaut, sieht, dass der Ausbau des Radverkehrs dort genauso steht wie der des ÖPNV. Was dann auch Kristina Weyh sehr vehement betonte, die sich deutlich darüber wunderte, dass ihre Vorredner die – auch millionenschweren – Entwicklungen im ÖPNV-Angebot einfach nicht sehen wollten.

Sie verwies auf den Ausbau des Flexa-Angebotes. Aber wer auf den Buslinien 89 und 60 unterwegs ist, weiß, dass auch das Angebot elektrisch fahrender Busse wächst und in Lindenau ein riesiger Bus-Port gebaut wurde, in dem die E-Busse aufgeladen werden. Auch das ist ÖPNV-Ausbau und gleichzeitig ein spürbarer Beitrag zur Leipziger Energiewende.

Aber um die geht es ja sichtlich einigen Fraktionen schon gar nicht mehr. Sie versuchen jetzt Wahlkampf zu machen, indem sie das nachhaltige Mobilitätsszenario verteufeln, jetzt, wo es endlich Stück für Stück und gegen große Widerstände umgesetzt wird.

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