Geht es um den sogenannten grauen Arbeitsmarkt, kommt man an Versicherungen einfach nicht vorbei. Auch hier tummeln sich viele schwarze Schafe. Das Angebot an mehr oder weniger seriösen Jobs ist so zahlreich wie die Gesellschaften selber. Natürlich braucht jeder eine Versicherung, aber nicht jede ...Nach einer erfolgreichen Bewerbung bei einem großen Anbieter im Versicherungswesen wurde mir ein Wochenendseminar bei einem der größten der Branche, der mit "mehr Verständnis" wirbt, angeboten.

Alles sei völlig kostenlos und man werde ein “tolles Produkt” kennenlernen. Inklusive der glänzenden Einkommensmöglichkeiten, Aufstiegschancen und das ganze typische Pipapo, das man aus der Branche kennt. Man könne sich doch, so der Versicherungsmensch, der mich eingeladen hatte, das Ganze mal unverbindlich anschauen und dann entscheiden. Man sei sozusagen Gast des Hauses, obendrein seien Kost und Logis frei.

Tja, das nehme ich mal mit, dachte ich mir und sagte zu. Freitagmittag sollte der ganze Spaß in einem Kongresshotel am Templiner See stattfinden. In einem Auto eines der Versicherungsmenschen fuhren wir Richtung Potsdam. Mit im Auto noch ein anderer Kollege aus der Branche, der während der ganzen Fahrt fast ununterbrochen plapperte, als sei er auf Kokain. Dabei ging es vorrangig darum, dass man sich bei dem Geschäft dumm und dämlich verdienen könne. Und das, ohne wirklich viel arbeiten zu müssen.

Beispiele von erfolgreichen Kollegen, die innerhalb nicht einmal eines Jahres jeden Monat so um die zehntausend Euros einfuhren, schwirrten durch die Luft. Dabei lachte er ständig und schlug sich auf die Schenkel, und betonte unermüdlich, wie einfach das doch alles sei. Das Geld würde automatisch reinkommen. Er sprach davon, dass man bald in einem wesentlich komfortableren Büro mit Blick über die Leipziger Skyline logieren würde und dass eine glänzende Zukunft bevor stünde. Wir würden schon sehen, um welches Produkt es ginge. So ging das, bis wir endlich am Hotel angekommen waren.

Mir summte der Kopf von den schier unendlichen Erfolgsaussichten, die mich hier erwarteten. In der großen Hotelhalle hatte sich schon eine große Menge von Menschen versammelt, die schon vom rein Äußeren als Anhänger derselben “Kaste” der Versicherungsvertreter zu erkennen waren. Etwas über 100 Zeitgenossen mit schier unendlichen Erfolgsaussichten waren das schätzungsweise. Ich überschlug kurz die schwindelerregende Summe im Kopf, sollten die alle erfolgreich sein und jeder von ihnen so – sagen wir mal – zehn große Scheine im Monat mit nach Hause nehmen. Nun ja, wir würden sehen.

Wir alle fanden in einem großen Seminarraum Platz. Flipchart und Beamer waren aufgestellt. Jeder hatte einen Kugelschreiber und einen Schreibblock vor sich auf dem Tisch. Nachdem in der “Klasse” Ruhe eingekehrt war, galt nun die ganze Aufmerksamkeit wieder einmal einem großen Zampano, der uns in das Wochenende thematisch einführen sollte. Wie sich im Laufe des zweitägigen Seminars herausstellen sollte, war dies da vorne die Bühne für einige bemerkenswerte Auftritte von ebenso bemerkenswerten wie schillernden Protagonisten der Versicherungsszene.

Wer so etwas schon einmal mitgemacht hat, der wird wissen, unter welchem großen Thema alles stand: Verkauf. Nicht sonderlich überraschend. Interessanter war hingegen war das Produkt. Es ging schlicht und einfach um die so viel bemühte Riesterrente und die Verdienstchancen, die sich in diesem Zusammenhang mit dem Verkauf derselben ergeben würden. Nun war die Katze erst mal aus dem Sack.

Die Riesterrente also. Das staatlich geförderte Produkt, bei dem sich viele Versicherungen inzwischen tatsächlich dumm und dämlich verdient haben. Ganz im Gegensatz zu den “Riester-Rentnern”. Die klassische Riester-Rentenversicherung ist in den vergangenen Jahren der Verkaufsrenner unter den Riester-Produkten gewesen. Dabei hat dieses Produkt nach Einschätzung von Verbraucherschützern mehr als einen Haken. Der Kunde lässt sich dabei auf eine lange Zahlungsverpflichtung ein. Er kann den Vertrag höchstens beitragsfrei stellen, wenn er kein Geld mehr hat. Das heißt, er zahlt dann die Beiträge nicht mehr und bekommt später vielleicht nur eine kleine Rente – eben aus jenem Geld, das er eingezahlt hat. Außerdem sind die Zinsen seit geraumer Zeit erbärmlich niedrig.Aber davon sollte das ganze Wochenende keine Rede sein. Wozu auch? Schließlich ging es nicht wirklich um den Kunden (also um die Sorge um den Kunden), sondern alles galt der Sorge der Rendite, des Profits, ja, und den schönen mehr oder weniger kleinen oder großen Folgen raschen Profits. Als da wären: Autos, teure Uhren, Häuser, … Ich weiß, tausendmal gehört, aber tausendmal funktioniert diese Nummer immer noch. Das traf auch hier zu.

Dass die vortragenden Herren und Damen alle schnieke, dynamisch und (zwar nicht durchweg) jung waren, muss ich nicht extra erwähnen. Wichtiger war die durchaus unterschiedliche Stoßrichtung der einzelnen Seminarleiter. Und das war eine geschickt gewählte Mischung, muss ich zugeben. Den Auftakt machte der Verständnisvolle, eher etwas zurückhaltend seriös wirkende Geschäftsmann. Recht verständlich erklärte er den vielen unterschiedlichen Seminarteilnehmern die Zusammenhänge zwischen der Riesterrente und der demographischen Situation. Sprich: Immer mehr Menschen wären auf eine auskömmliche Rente angewiesen und da käme die staatlich geförderte Zusatzrente doch wie ein Geschenk des Himmels. Für die Versicherung, wohlgemerkt.

Darum und wie man dieses wunderbare Produkt am besten und gewinnträchtig an den Mann oder die Frau bringt, ging es so ziemlich während des ganzen Seminars. Dazu durften natürlich auch die entsprechenden “Motivationskünstler” nicht fehlen. Da war zum Beispiel der (Wiederholungen leider unvermeidlich) dynamische Bankkaufmann, der damit protzte, dass er als Banklehrling schon mit dem Porsche vorgefahren sei, weil er mit dem Versicherungsgeschäft mehr Geld verdient hatte als während seiner Banklehre.

Dann war da das leuchtende Beispiel. Dazu muss man wissen, dass je nach Branche unterschiedlich illustre Bezeichnungen für besonders erfolgreiche Mitarbeiter kursieren. Das reicht von “Diamant” über “Kardinal” bis hin zu numerischen Bezeichnungen wie “Sechser” oder “Siebener”. Wobei solche Bezeichnungen den jeweiligen Adepten des Mammons nur ganz ehrfürchtig und leise flüsternd über die Lippen kamen. So nach dem Motto: “Der da drüben, im schwarzen Anzug mit der Goldrandbrille … das ist ein ‘Sechser’!”

Ein solcher wurde dem staunenden Publikum in Form eines recht feist aussehenden Mitarbeiters präsentiert. Vorgestellt wurde er von einem schwitzenden Ex-Bodybuilder, der selber einen “Siebener” darstellte. Und das sogar ganz geschickt. Seiner Meinung nach jedenfalls. Er führte seinen erfolgreichen “Sechser” vor wie einen Zirkusgaul. Ein anerkennendes Raunen ging durch die Sitzreihen. Dann pickte er sich einen unscheinbar aussehenden Seminarteilnehmer heraus und fragte ihn nach dessen Beruf: “Müllfahrer bei den Berliner Stadtbetrieben.”

Das verursachte verhaltenes Lachen in den Reihen der Zuhörer. Der Ex-Bodybuilder mit den riesigen Schweißflecken unter den Achseln brachte den Saal zum Schweigen: “Ein ehrenwerter Beruf, der auch gemacht werden muss. Aber was verdienen Sie dort? So 1.400 brutto?” Der Müllfahrer nickte anerkennend. “Wie lange sind Sie dabei?” “Zwanzig Jahre”, kam es zurück. Das allerdings entlockte jetzt dem Bodybuilder und seinem Zirkuspferd ein mitleidiges Lächeln. “Habt ihr das alle hier gehört? 20 Jahre und 1.400 brutto!”

Das perfide Frage- und Antwortspiel ging weiter: “Was haben Sie zum Jubiläum bekommen? Lassen Sie mich raten: Einen Präsentkorb, ein Glas Sekt und eine goldene Uhr?” Wieder anerkennendes Nicken. “Darf ich die Uhr mal sehen?” Durfte er und wieder dieses mitleidige Lächeln – verbunden mit einem fachmännischen Prüfen des Jubiläums-Chronometers. “Tja, ich denke mal, mehr als 50 Euro wird der Wecker nicht gekostet haben.” “49,90 Euro im Supermarkt. Habe ich hinterher rausgefunden,” meinte der Müllfahrer. Allgemeine Heiterkeit, Lachen, Klatschen.

Das verstummte abrupt, als der Bodybuilder-Siebener die Hand hob, um nach dem Handgelenk seines “Sechsers” zu greifen. Er entschuldige sich kurz und löste die Uhr vom Handgelenk des anderen. Dann hielt er sie hoch, damit alle das verheißungsvolle Funkeln des Zeitmessers sehen konnten. Ehrfürchtiges Schweigen. “Eine Uhr mit schon abgewetztem Goldimitat für nicht mal fünfzig Euro, ein Präsentkorb und ein Glas Sekt für 20 Jahre harte und teure Arbeit. – Was ich hier habe, ist eine Rolex für 15.000 Euro. Mein Mitarbeiter hat sich diese Uhr innerhalb von einem halben Jahr verdient. Und das nur als Prämie, von seinem Verdienst mal ganz abgesehen. Sie haben für Ihre Uhr,” dabei zeigt er auf unseren Müllfahrer, “20 Jahre hart arbeiten müssen mit dem Ergebnis, dass das falsche Gold schon abblättert.”

So und so ähnlich ging es fast das ganze Wochenende weiter. Den Höhepunkt dabei bildete wieder einmal eine sehr lebhafte Schilderung von Reichtum, angesichts derer selbst ein König Midas wie der letzte Bahnhofspenner erschienen wäre. Der mit der Banklehre und dem Porsche erzählte glaubhaft, wie er bei einem “Siebener” zu Gast gewesen war und von dessen großzügiger Terrasse, die die Ausmaße mehrerer Fußballfelder gehabt haben muss, die Pferdezucht des stolzen Großgrundbesitzers bewundern konnte.

Um mich herum andächtiges Schweigen, vor Staunen offene Münder. Doch vor den Ruhm hat der Herr viel Mühe gesetzt. Die bestand nun in anderen Kursen, bei denen es galt zu lernen, wie man am besten möglichst viele Menschen dazu bringt, eine Versicherung abzuschließen. Da durfte das beliebte Spielchen “Wir schreiben so viele Menschen auf eine Liste, wie wir nur kennen” natürlich nicht fehlen. Ach, da war selbst für die begriffsstutzigsten Teilnehmer klar, auf was das hinaus laufen sollte.

“Und wenn ick die alle abjegrast habe, wat mach ick denne?”, murmelte einer neben mir, während er sich am Kopf kratzte und auf seine eher dürftige Liste starrte, wo solche Menschen wie “Oma” und “Onkel” Eingang gefunden hatten. Dies, so dachte ich mitfühlend, wird dich nicht umgehend in den mit Diamanten besetzten Sternenhimmel der “Sechser” und “Siebener” katapultieren.

Dem Prozedere folgte natürlich wieder mal motivierendes Schreien und Klatschen und so weiter. Eine ebenso korpulente wie burschikose Dame versuchte uns beizubringen, wie man richtig telefoniert, heißt Bekannte angräbt. Beispiel: “Du, grüß Dich, Lydia, ich hätte da eine tolle Sache für dich, die ich dir unbedingt mal zeigen muss. Nein, das kann ich nicht am Telefon erklären. Das würde ich dir gerne persönlich erklären. Wann hättest du denn mal Zeit …?”

So wurden dann fleißig fiktive Telefongespräche mit fiktiven Verwandten, Freunden und Bekannten geführt, die zu dem Zeitpunkt noch nicht wussten, dass sie Anrufe erhalten würden mit Sätzen wie “Du, grüß dich, Lydia…” und so weiter. Würde man es dann noch schaffen, andere dafür zu begeistern, selber solche Telefonate zu führen, könnte man sie als seine eigenen “Angestellten” engagieren und über sie, ohne viel zu tun, Geld verdienen. Der Kreis schloss sich wieder mal. Der ganze Hokuspokus endete am Sonntagmittag.

Es war niemandem was verkauft oder angedreht worden. Niemand hatte Geld ausgeben müssen. Doch von den verheißenen Träumen waren wir alle noch so weit weg wie von den “Sechsern” und “Siebenern”, die sich mit ihren Porsches, BMWs und sonstigen Nobelkarossen auf den Weg zu ihren Farmen, Fincas und Pferdezuchten aufmachten, hoffend, dass man hier genug neue Mitarbeiter gewonnen hatte, die dafür sorgten, dass sich der eigene Reichtum mehrte. Ich jedenfalls würde nicht dabei sein. Ganz davon abgesehen kannte ich gar keine Lydia. Wie gesagt, jeder braucht eine Versicherung … aber nicht jede.

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