Am Donnerstag, 4. Oktober, veröffentlichte das Leipziger Wirtschaftsdezernat den „Wirtschaftsbericht 2018“. Das wäre eigentlich ein Bericht, auf den man in fiebriger Erwartung gespannt sein könnte jedes Jahr. Gäbe es wirklich einen. Aber einen richtigen Wirtschaftsbericht vorzulegen hütet sich Leipzig seit Jahren. Was man stattdessen bekommt ist eine Image-Broschüre für Leipzig. Leider auch nur für Leipzig.

Vielleicht geht es nicht anders. Aber gerade das ist zu bezweifeln. Wirtschaft ist ein sensibles Feld. Das stimmt. Und natürlich denkt Leipzigs Wirtschaftsdezernat nicht an zahlenhungrige Journalisten, wenn es Jahr für Jahr so eine hochwertig gedruckte Broschüre im Umfang von über 100 Seiten vorlegt. Es denkt an Messeauftritte, mögliche Investoren, an Fördergeldgeber und Gründer. Also an alle möglichen Leute, die man möglichst für den Standort Leipzig interessiert.

Und den muss man möglichst attraktiv zeichnen. Er ist ja auch attraktiv. Keine Frage. Eine Stadt, in der jedes Jahr 6.000 neue Arbeitsplätze entstehen, muss sich nicht verstecken. Sie wird zum Wachstums-Hotspot in einer Region, in der es viel zu wenige solcher Hotspots gibt.

„Leipzigs wirtschaftliche Perspektiven haben sich weiter verbessert. Rund 75.000 seit 2005 entstandene neue Arbeitsplätze, etwa 6.670 allein im vergangenen Jahr, der Rückgang der Arbeitslosigkeit im September 2018 auf den niedrigsten Wert seit 1991 (6,4 Prozent) künden vom starken wirtschaftlichen Aufschwung. Sie sind eine Grundlage dafür, dass sich Leipzig mit seinen mehr als 10.000 neuen Einwohnern im Jahr 2017 unverändert auf Wachstumskurs befindet“, schreibt das Dezernat Wirtschaft und Arbeit selbst zu seiner neuen Publikation.

„Detailliertes und aktualisiertes Datenmaterial zur Leipziger Wirtschaftsentwicklung, ausgewählte statistische Fakten, Beispiele zur Hochschullandschaft, zu Forschungspotenzialen, Verkehrsinfrastruktur und Lebensqualität sowie Ansprechpartner für Branchenvertreter oder Investoren enthält der Wirtschaftsbericht der Stadt Leipzig 2018, welcher vom Amt für Wirtschaftsförderung jetzt neu herausgegeben wurde. Auf 104 bebilderten Seiten bietet er umfassende Einblicke in die gesamte Vielfalt des Leipziger und Mitteldeutschen Wirtschaftslebens“, beschreibt das Dezernat den Inhalt der Broschüre.

Den Hinweis auf die Invest Region gibt es tatsächlich. Aber wenn man einmal vom Flughafen Leipzig/Halle absieht, kommt die Region in Wirklichkeit gar nicht vor. Man sieht also gar nicht, wie sich Leipzig in die Region vernetzt, welche Potenziale dort noch schlummern.

„Alle Leipziger Wirtschaftsbereiche haben in den vergangenen zwei Jahrzehnten einen tiefgreifenden Strukturwandel vollzogen, stellen sich heute den Herausforderungen der Digitalisierung. Kommunale Wirtschaftsförderung, Wirtschaftskammern und ansässige Hochschulen agieren gemeinsam, um spezielle Leipziger Stärken einzubringen und Wettbewerbsvorsprünge auszubauen. Leipzig bietet beste Voraussetzungen für alle Branchen und Bereiche, ihre Wertschöpfung dank Digitalisierung weiter zu erhöhen“, äußert Dr. Michel Schimansky, kommissarischer Leiter des Dezernates Wirtschaft und Arbeit sowie Leiter des Amtes für Wirtschaftsförderung.

„Die Leipziger Wirtschaftsförderung ist für alle Belange rund um Innovation und Investition gut gerüstet und der richtige Ansprechpartner. Adäquate Geschäftsräume, Kooperationskontakte, passende Förderinstrumente – eine Vielzahl junger und auch erfahrener Unternehmen konnte davon bereits profitieren. Wir bieten ein zuverlässiges, maßgeschneidertes Instrumentarium auch für kommende digitale Erfolgsgeschichten an.“

Genau so ist das Heft auch gemacht: Als eine Broschüre der Erfolgsgeschichten.

Warum also dieser kritische Blick auf das Ganze?

Weil es leider nicht weiterhilft, die tatsächlichen wirtschaftlichen Entwicklungen zu begreifen. Dazu fehlen wichtige Kennziffern. Und es fehlt der kritische Blick auf die konkreten Details. Man nehme nur den Blick auf die „Medien- & Kreativwirtschaft“. „Sie verbindet kulturelle und künstlerische Ideen und Produkte mit technologischer und wissenschaftlicher Kreativität und wird damit zu einer neuen, wachstumsstarken ‚Schlüsselindustrie‘“, heißt es im Bericht.

„Schlüsselindustrie“ steht hier wirklich in Gänsefüßchen. Denn es ist keine Industrie. Was hier wirklich Schlüssel und Wachstumsmotor ist, ist der stetig wachsende Bereich der IT-Dienstleistungen, aber auch der ganze Bereich der „Kommunikation“ gehört hier hinein – mitsamt den mittlerweile heftig konkurrierenden Callcentern.

Während das, was ganz vorn steht – die Medien – seit Jahren auf dem Rückzug ist. Das „Kreative“ an dieser Branche verschwindet zusehends. Und deshalb werden dann als leuchtende Beispiele diesmal vor allem Computerspezialisten gezeigt.

Die erste Seite zur Medien-und Kreativwirtschaft. Quelle: Stadt Leipzig, Wirtschaftsbericht 2018
Die erste Seite zur Medien- und Kreativwirtschaft. Quelle: Stadt Leipzig, Wirtschaftsbericht 2018

Ganz ähnlich im Bereich der Logistik, wo man zwar einerseits einen massiven Anstieg bei den Arbeitsplätzen sieht – aber andererseits einen heftigen Einbruch bei der Zahl der gemeldeten Unternehmen. Was man im realen Leben nun einmal Marktbereinigung nennt: Immer weniger große Spieler beherrschen den Markt (und damit am Ende auch die Politik).

Und wenn im weiteren Kapitel das eminente Wachstum in der Gesundheitsbranche gefeiert wird, hat das nur zum Teil mit dem Wachstum in der Spitzenforschung zu tun, zu einem wesentlich größeren aber mit dem Wachstum der dienstleistenden Pflegebranche.

Usw. Hinter den scheinbar mächtig gewaltig wachsenden Zahlen verbirgt sich die starke Entwicklung der eher dienstleistenden Stadt der nicht ganz so üppig bezahlten Berufe und Branchen. Dass aus den wachsenden Clustern tatsächlich einmal auch „Schlüsselindustrien“ erwachsen, ist nach wie vor Zukunftsmusik. Es fehlt überall der „Big Bang“, der aus dem vielen Kleinklein ein Großes macht.

Und dass dann ausgerechnet die Medientage, die Selbstbeweihräucherungstage des mitteldeutschen Fernsehens, als Höhepunkt des Leipziger Medienlebens gefeiert werden, ist nur noch traurig. Oder halt die Feier eines überhaupt nicht innovativen Schulterklatschens als große Neuererbewegung.

Es fehlt – aufs Ganze gesehen – der ernsthafte Sinn für echte Stärken, Schwächen und Potenziale. Die auch Investoren ganz bestimmt interessieren würden. Denn die interessieren sich sehr wohl für die Details. Auch für die Fehlstellen. Denn das sind Ansatzpunkte für gut gesetzte Investments. Solche Hochglanzwerbeschriften bekommen sie zu Tausenden aus tausenden Städten auf den Tisch.

Der Wirtschaftsbericht in deutscher und englischer Sprache ist kostenlos erhältlich im Neuen Rathaus, Amt für Wirtschaftsförderung, Zimmer 29, telefonisch unter 0341 123-5859 oder im Internet unter www.leipzig.de/download-business

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