Was derzeit so gut wie gar nicht diskutiert wird, ist die Tatsache, dass es auch in der Klimapolitik um Verteilungsfragen geht. Deswegen wird die Debatte ja so heftig geführt: Gibt es weiter Milliarden für die Nutznießer fossiler Energien oder werden die Geldströme umverteilt, sodass klimaschonende Branchen und Technologien endlich Priorität bekommen? Denn die haben sie eindeutig nicht. Auch nicht in Leipzig mit seinem „Klimanotstand“.

Das Thema klang auch in der vergangenen Woche an, als die Leipziger Verkehrsbetriebe (LVB) ihre Investitionspläne für 2021 vorstellten. Da ging es nicht nur um neue Straßenbahnen und E-Busse und 38 Millionen Euro als dringend notwendige Investitionen in Netze und Betriebshöfe.Es ging auch um das Selbstverständnis des kommunalen Verkehrsunternehmens, das sich nur zu gern als Vorreiter in der Leipziger Verkehrswende (Stichwort: Nachhaltigkeitsszenario in der Mobilitätsstrategie) verstehen würde. Nur: Es fehlt eigentlich am Geld.

Was eigentlich alle wissen. Die Leipziger Verkehrsplaner haben es ja 2018 schon vorgerechnet, was bis 2030 allein im ÖPNV an zusätzlichen Investitionen nötig wäre, um das ÖPNV-System wirklich zum Rückgrat der Verkehrswende zu machen: 843 bis 991 Millionen Euro. Mit Betonung auf zusätzlich. Die normalen Instandhaltungsmaßnahmen dürfen hier nicht mitgerechnet werden.

Und eigentlich wissen es auch alle, dass die LVB jahrelang deutlich unterfinanziert waren. Eigentlich seit 2005, seit klar war, dass die Stadt wieder wuchs, die 500.000-Einwohner-Marke hinter sich gelassen hatte und die LVB wieder mehr Fahrgäste würden transportieren müssen. Damals lagen die Ausgleichsbeträge aus dem Verkehrsleistungsfinanzierungsvertrag noch bei 61 Millionen Euro und schmolzen dann bekanntlich immer weiter ab auf letztlich 45 Millionen Euro.

Das hat wichtige Investitionsplanungen über vier Jahre lahmgelegt. Und als der Stadtrat 2019 nachfragte, war da nichts, gab es keine einzige Vorplanung für eine Netzerweiterung für die Straßenbahn, denn auch die entsprechenden Planer im Verkehrsdezernat gab es nicht.

Wahrscheinlich liegen wir ziemlich genau mit der Annahme, dass sich Leipzig so einen veritablen Rückstand in der Verkehrswende von mindestens 10 Jahren eingehandelt hat.

Und dabei wollen die Verkehrsbetriebe ja. „Trotz schwieriger Zeiten bleibt der öffentliche Nahverkehr die Lösung für die Mobilitäts- und Energiewende. Für die Stadt Leipzig wollen wir so die Leipziger Verkehrswende im Sinne unseres Auftrages ausgestalten und anpacken. Dabei setzen wir auf die Zusammenarbeit mit Partnern, den Bürgern vor Ort und mit unserem Gesellschafter. Als öffentliches Unternehmen setzen wir damit außerdem einen wichtigen Investitionsimpuls“, formulierte Ulf Middelberg, Sprecher der Geschäftsführung der Leipziger Verkehrsbetriebe und Geschäftsführer der Leipziger Gruppe, den Anspruch.

Aber der Aufholprozess wird langwierig. Denn die auch den LVB seit 2005 auferlegte Sparpolitik hat dazu geführt, dass man sehenden Auges in einen veritablen Personalmangel hineingespart hat. Seit drei Jahren ist es offenkundig, wie sehr die LVB mit allen Mitteln um neues Fahrpersonal werben müssen, seit es die ersten Ausfälle im Linienbetrieb wegen fehlender Fahrer gegeben hatte.

Sie haben das Recruitung seitdem deutlich verstärkt und damit öffentlich gemacht. Am 10. März gab es wieder ein großes Online-Recruiting. Denn die neuen Bahnen von Solaris trudeln jetzt alle nacheinander ein in Leipzig. Die Personbalbedarfe sind noch nicht ganz gedeckt.

Die LVB brauchen weitere Mitarbeiter/-innen. Allein im letzten Jahr hat das Unternehmen mehr als 200 Stellen besetzt sowie über 50 Auszubildende eingestellt und konnte so seinen Bedarf zumindest für das vergangene Geschäftsjahr beinah abdecken. Genauer: „Fast alle freien Stellen in 2020 wurden besetzt (205 von 225).“

Aber natürlich kommen jetzt viele Fahrer/-innen, die um 1990 ihren Dienst bei den LVB aufgenommen haben, ins Rentenalter. Der Druck, neue Leute zu finden, bleibt also hoch.

Allein in diesem Jahr suchen die LVB 173 Mitarbeitende. Ein neuer Jahrgang Auszubildender kommt noch obendrauf. Die Online-Karrieretage sind dabei die derzeit beste Möglichkeit, mit potenziellen Interessent/-innen ins Gespräch zu kommen, da Corona öffentliche Bewerbertage derzeit unmöglich macht.

Und es ist absehbar, dass insbesondere der Bedarf an Fahrer/-innen in den nächsten Jahren hoch bleiben wird, denn um einen dichter vertakteten ÖPNV zu schaffen (selbst ohne Netzerweiterungen), müssen mehr Fahrzeuge ins System und für die braucht es Fahrer/-innen. Das ist ein echter Job für die Verkehrswende, auch wenn er oft genug stressig ist.

Aber wenn das Nachhaltigkeitskonzept aufgeht, sollten die Fahrgastzahlen von 155 auf 220 Millionen steigen. Wieder steigen, muss man sagen, denn da waren die LVB schon einmal. Zuletzt im Jahr 1990, als sie 255 Millionen Fahrgäste schafften. Danach begann ja einerseits die massive Abwanderung aus Leipzig und es begann für viele Einwohner das Autozeitalter. Was die Fahrgastzahl der LVB bis 1998 auf 79 Millionen fallen ließ.

Danach haben sich die Verkehrsbetriebe mühsam wieder auf 153 Millionen hochgearbeitet. Erst das Corona-Jahr hat dem mit 104 Millionen wieder einen gewaltigen Strich durch die Rechnung gemacht.

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