Er wird ein kleiner Star im Jahr 2015. Vielleicht bekommt er ja eine Kuschelecke, wenn Leipzig den großen 1.000-Jahre-Klamauk feiert: der Dichter Christian Fürchtegott Gellert, geboren am 4. Juli 1715. Zu seiner Zeit war er eine Berühmtheit. Und er war der einzige Dichter, den der Preußenkönig Friedrich II. überhaupt für einladenswert hielt. Hier ist das erste Buch zum kommenden Gellert-Jubiläum.

Das mit Friedrich II. ist ja bekannt: Er hatte eine Frankreich-Manie – so wie ungefähr 99 Prozent aller anderen Fürsten und Durchlauchtigstkeiten in jenem Länder-Klein-Klein, das damals Heiliges Römisches Reich hieß – mit Kaiser in Wien und Sehnsucht nach Glanz und Kultur des französischen Hofes. Friedrich war noch dazu ein Sonderfall – er war gebildet und bestückte seinen Hof auch mit französischen Gelehrten und Künstlern, auch wenn die Begegnung mit Voltaire in einer gemeinsamen Enttäuschung endete. Insbesondere für Voltaire, der intensiver als viele Andere den Traum vom aufgeklärten Fürsten träumte.

Den Traum träumen heute noch viele – so ungefähr 80 Prozent aller Wähler. Sie wählen dann aber doch meist den, der ihnen selber ähnelt und nicht ganz so aufgeklärt ist. Aufgeklärte Klugheit macht Menschen noch immer Angst. Königen und Despoten sowieso.

Und so ist dieser 11. Dezember 1760 geradezu symptomatisch. Nicht einmal der Tatsache wegen, dass Friedrich Zwo, der gerade den Siebenjährigen Krieg verbrochen hatte und mit seinen Truppen in Leipzig eingezogen war, den berühmten Gellert zu sich ins Königshaus zitierte und damit dem einzigen deutschsprachigen Dichter Aufmerksamkeit zollte, den er irgendwie noch zu akzeptieren schien. Ein Brief Gellerts vom 12. Dezember 1760 an Johanna Erdmuth von Schönfeld entlarvt auch diese Legende der Missinterpretation. Denn im Gespräch macht der große Fritz dem herbeizitierten Professor Gellert schnell klar, dass er seine Schriften gar nicht kennt. Der englische Gesandte hatte Gellert am selben Tag dem Preußenkönig gegenüber gelobt. Erst das brachte den König auf die Idee und er befahl den kränkelnden Professor zu sich.So ist das mit dem Ruhm. In Frankreich und England wird einer gelesen und geschätzt – und der König hat keine blasse Ahnung. Tut aber so. Gellert hat das zweistündige Gespräch in jenem Brief in einen faszinierenden Dialog komprimiert, der ihn als etwas zeigt, was heute fast vergessen ist: Er war auch ein begnadeter Dramatiker, den auch Lessing schätzte. Und bescheiden war er auf eine fast schon herausfordernde Art. Das Königslob war ihm so ziemlich egal, dessen Gesundheitsratschläge erst recht. Gellert hatte zeitlebens eine schwache Konstitution. Aber sich ausgerechnet von Friedrich erklären zu lassen, wie er damit umgehen sollte, das fand er fast vermessen. Das sagte er dem König nicht.

Aber er bot ihm wohl die Stirn, wie es sich die Wenigsten getraut haben, korrigierte Friedrich, als er Blödsinn über den französischen Fabeldichter Jean de La Fontaine erzählte. Und als Friedrich ihm rät, doch einfach mal auf Reisen zu gehen, das wäre gut zum Dichtenlernen, wird der Dialog fast genial.

“Aber ich bin zu alt und zu krank zum Reisen, und auch nicht reich genug”, sagt Gellert. Und der großmächtige König – wie alle Politiker, die mit Steuergroschen gern den großen Wohltäter spielen: “Ja, die deutschen Dichter mögen wohl selten unterstützt werden. Es ist nicht gut.”

Unterstützung bekam Gellert schon. Er hatte ein paar treue Mäzene, die das schätzten, was er schrieb. Der König von Preußen gehörte nicht dazu. Aber das rieb ihm Gellert auf eine fast schon burschikose Art unter die Nase: “Vielleicht fehlen uns noch Auguste und Ludwige quatorze.” Sagt ein sächsischer Untertan dem Preußenkönig, der Sachsen gerade besetzt hat. Feige war dieser Gellert nicht. Vielleicht gefiel das Friedrich Zwo sogar. Dass er mit der Erwähnung Augusts (des Starken) einen wunden Punkt erwischt hatte, merkte Gellert bald.

“Will er denn, daß Ein August ganz Deutschland haben soll?”, fragt Friedrich. Das will Gellert zwar nicht. Aber er wünscht sich bessere Zeiten für die Künste.

Und dann kommt die wohl berühmteste Stelle aus diesem Dialog:

“Sind itzt böse Zeiten”, fragt der König, der gerade das schöne Sachsenland plündert.

Und Gellert nutzt die Chance: “Das werden Euer Majestät besser bestimmen können, als ich. Ich wünsche ruhige Zeiten. Geben Sie uns nur Frieden, Sire.”Alles nachlesbar in jenem Brief an die gerade einmal 19-jährige Johanna Erdmuth von Schönfeld. Zu finden in einer kleinen Auswahl von Briefen, die Werner Marx mit aufgenommen hat in dieses Gellert-Lesebuch und die den Dichter, dessen Vorlesungen auch Goethe besuchte, als begnadeten Briefschreiber zeigen. Auch aus seinen Fabeln und seinen Liedern hat Marx eine Auswahl getroffen. Mit seinen Fabeln war Gellert schon früh berühmt geworden. Es sind aber eben keine La Fontaine-Fabeln, sondern eher kluge, humorvolle Gleichnisse über menschliche Laster und Irrungen, reichlich gespickt mit einer manifesten christlichen Moral. Er verurteilt Ruhmsucht, Bigotterie, Hochmut, Eitelkeit. Aber immer wieder beschäftigt er sich darin auch mit der Rolle und Moral des Künstlers. Wie geht man mit Lob um, wenn es von falscher Seite kommt? Oder – es ist so aktuell wie vor 250 Jahren – wie geht man mit Kandidaten auf Spitzenämter um? Selbst wenn sie alle Talente haben – und dennoch am Ende noch glauben, ein wenig Bestechung könnte helfen?

“Denn wer Geschenke giebt, nimmt sie auch wieder an”, heißt es bei Gellert.

Und selbst seine Oden und Lieder, die stark von seinem tiefen Glauben geprägt sind, beschäftigen sich tatsächlich mit all den menschlichen Fehlern und Eitelkeiten, die auch zu Gellerts Zeit so mancher hinter scheinbarer Frömmigkeit versteckte. Für Gellert ging das nicht zusammen: Tugenden predigen und dennoch hartherzig und eigennützig zu sein. Diese Typen gab es also auch 1757 in Leipzig. Und man könnte die Strophen auch heute noch aufsagen und es dürften sich so einige Leipziger Frömmler getroffen fühlen. – “So jemand spricht: Ich liebe Gott! / Und haßt doch seine Brüder, / Der treibt mit Gottes Wahrheit Spott, / und reißt sie ganz darnieder.”

Die Auswahl, die Werner Marx getroffen hat, macht deutlich, warum Gellert als Autor in seiner Zeit so geliebt und verehrt wurde. Er traf den Nerv seiner Leserinnen und Leser. Und wenn heute so mancher Frömmler über die Aufklärung und ihre scheinbar so verheerenden Folgen wettert, dann steht hier die Gegenthese. Denn Gellert empfand sich als Mitglied jener Gesellschaft kluger Köpfe, die damals an der Aufklärung einer ganzen Nation arbeiteten. Und er verstand seine tief christlich geprägte Moral als moralischen Maßstab für diese neue Gesellschaft.

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Der alte Dichter & der junge Criticus

Christian Fürchtegott Gellert, Evangelische Verlagsanstalt 2014, 14,80 Euro

Und so sahen es auch die vor allem adligen und bürgerlichen Leserinnen und Leser seiner Bücher. Aber selbst das Volk, sofern es lesen konnte, scheint Gellerts Bücher gekauft zu haben, weil es sich verstanden fühlte und die Fabeln treffend fand, die er erzählte.

Die Leipziger würdigten Gellert nach seinem Tod mit zwei Denkmälern. Eines steht im Garten des Gohliser Schlösschens, eines (als Replik) in der Lenné-Anlage an der Schillerstraße.

Das Lesebuch ist rechtzeitig erschienen, damit jeder, der sich auf Gellerts 300. Geburtstag vorbereiten möchte, sich schon einmal einlesen kann. Und Mancher wird beim Lesen entdecken, wie hochaktuell dieser Dichter ist mit seinen strengen moralischen Maßstäben.

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