Mutig hat sich der Leipziger fhl Verlag der Eroberung der Bankenstadt Frankfurt gewidmet. Seine Krimis spielen schon lange nicht mehr nur in Leipzig oder Dresden. Doch aus Frankfurt kommt ein ganz besonderes Stück Spannung in den kleinen Leipziger Verlag: Thriller, die man den Hessen gar nicht zugetraut hätte.

Mit Leif Tewes erobert sich ein Frankfurter Autor nun das Krimi-Genre. Und zwar das flotte Krimi-Genre. Der Mann mag’s schnell, liebt rasante Geschichten und Perfektion. So sehr, dass man ihm auch einen Auftragskiller als Helden abnimmt. Einen Mann, so modern wie IT und Smartphone, Speed und Extasy. Ein mobiler, flexibler Arbeitnehmer, wie ihn sich die Deppen der modernen Arbeitsmarktrevolution geradezu wünschen – immer einsatzbereit, durch keine Familie belastet, präzise und perfektionistisch. Meist merken die Gläubigen der modernen Arbeitsmarktlehre gar nicht mehr, was sie da eigentlich anbeten.

Autoren, die sich einfach mal hinsetzen und das Ideal des perfekten Auftragnehmers derart sauber in Szene setzen, die kommen gar nicht umhin, die Perfidie dieses Bildes von unhinterfragter Arbeit sichtbar zu machen. Denn aus der Innenperspektive heraus ist für den Helden dieser Geschichte alles klar: Er ist gut, er ist perfekt. Er hat in Afghanistan seinen Job in aller Seelenruhe und zur Zufriedenheit Aller erledigt. Wenn Andere kopflos und unüberlegt handelten und dabei in der Regel nicht nur ihr eigenes Leben riskierten, hat er die Ruhe bewahrt und auf die entscheidende Sekunde gewartet, in der der Schuss ein Treffer werden musste. Technikverliebt ist er auch – die Eigenschaft teilt er mit seinem Autor, der in Frankfurt Chef eines IT-Unternehmens ist.

Und auch als ihm zum Ende seiner Dienstzeit bei der Bundeswehr ein recht mysteriöser Job angeboten wird, sagt er nicht Nein. Er hat gelernt, seine Aufträge zu erfüllen, ohne über ihren Sinn und ihren Zweck nachzudenken. Ein Ziel soll eliminiert werden? Er sorgt dafür. Und verdient auch noch gut. Er fragt nicht, sondern sichert nur in gelernter Perfektion ab, dass ihm kein Fehler unterläuft. Fehler unterlaufen nur, wenn Emotionen ins Spiel kommen.

Als ihm dann doch ein Schuss knapp daneben geht, hat der Held dieser Geschichte nicht nur ein emotionales Problem und kommt ins Grübeln. Er steckt auch bis zum Hals in der Scheiße, denn die Welt, in der er sein Geld verdient hat, verzeiht keine Fehler. Und worüber er sich all die Jahre zuvor keine Gedanken gemacht hat, holt ihn jetzt ein: Die nie durchdachte Frage nach der Moral und der richtigen Seite.

Dass es eine junge Frau ist, die sein Weltbild ins Wanken bringt, ist der eher romantische Aspekt der Geschichte, macht aber die Erschütterung sichtbar, die den Emotionslosen jetzt auf einmal dazu bringt, die Dinge klären zu müssen. Mal abgesehen davon, dass auch ein paar andere Leute dabei sind, die Dinge auf ihre Weise klären zu wollen. Und mit präziser Wirkung hat Leif Tewes den Moment, in dem seine Geschichte das Gaspedal durchdrückt, mit einem zerschellenden Glas Rotwein markiert. Das ist die Stelle im Buch, an der der Leser entweder die Zähne zusammen beißt und das Buch bis zum nächsten Tag weglegt – oder er muss durchlesen bis zum Ende. Denn ab hier gibt’s kein Halten mehr, steigen auch Kommissar Berg und seine Ermittler ein ins Geschehen und sind das Gegenteil dessen, was man aus dem bräsigen deutschen Derrick-Krimi so kennt: Mit langem Grübeln, Trauerschieben und Murren über zähe Ermittlungen halten sich Berg und seine Kollegen nicht auf. Immerhin haben sie schon zwei Leichen auf dem Tisch liegen und die Vermutung, es mit einem Auftragskiller zu tun zu haben, der in Frankfurt für einen der mafiösen Clans unterwegs ist, liegt auf der Hand.

Eigentlich ist das ein Fall für das Dezernat “Organisierte Kiminalität”. Aber einer wie Berg wäre nicht Kriminalkommissar in Frankfurt, wenn er der OK nicht schon des öfteren begegnet wäre. Denn wenn dubiose Clans die Gesellschaft und die Wirtschaft einer Stadt unterwandern und in ganzen Stadtteilen die Regie übernehmen, um Schwarzgeld zu waschen, Drogen, Waffen und Menschen zu verkaufen, dann verändert sich eine Stadt, dann zerfrisst ein Phänomen nicht nur Politik und Wirtschaft, sondern auch den Polizeiapparat: die simple Korruption. Berg weiß es, seine Kollegen ahnen es zumindest. Denn wenn faules Geld beginnt, Menschen käuflich werden zu lassen, dann ist der Verrat bald auch in den eigenen Reihen.

Und weil das so ist, ducken sich Politiker und Amtsträger meist weg, wenn es um mafiöse Strukturen geht, entsteht eine undurchdringliche Welt der Abhängigkeiten, in der die Abhängigen ihr Leben riskieren, wenn sie auch nur ans Aussteigen denken.  Das betrifft auch den Auftragsmörder, der Fragen zu stellen beginnt und auf einmal etwas entdeckt in seinem Leben, was eben nicht mehr nur mit perfekter Auftragserfüllung zu erledigen ist. Im Gegenteil.

Diese Geschichte läuft zwangsläufig auf einen Showdown heraus, auch wenn der Leser mit den Helden der Geschichte vorher erst einmal einen kleinen Höllenritt erlebt, denn wo ein Auftragskiller sein Ziel verfehlt, finden sich schnell noch ein paar andere. Europa gebiert diese Typen ja geradezu, seit durchgeknallte Männer ihre eigenen kleinen Kriege angezettelt haben. Nicht nur die Geschichte der bisherigen Opfer deutet auf den entfesselten Balkan und das blutige Erbe des Jugoslawienkrieges. Die Schicht unserer Zivilisation ist dünn. Und überall, wo man das Umsichgreifen von Korruption und organisierter Kriminalität duldet, wird sie brüchig.

Und Berg – eine Type, wie man sie auch unter Krimi-Kommissaren selten antrifft – hat genug gesehen in seiner Dienstzeit. Er erkennt die Muster auch da, wo sie die trompetenden Berichte der Medien nicht mal bemerken, wenn sie mitten hineingetreten sind. Die Welt der allein von Dividende und Boni beseelten und wie Roboter handelnden Banker hat er genauso gefressen wie die verlogene Moral der Fastfood-Ketten. Über die Schwermut all der anderen Krimi-Kommissare in Nord und Süd, Ost und West ist dieser Mann hinweg. Was ihn zu einem erstaunlichen Gegenspieler für den Auftragskiller macht – als kämen da zwei aus völlig verschiedenen Richtungen an den selben Punkt der Entscheidung.

Vielleicht ist man da als Autor in Mainhattan einfach schon ein Stück weit abgebrühter und illusionsloser als im braven Leipzig, wo sich die regionalen Kommissare meist noch Mühe geben müssen, kleine Provinzpolitiker als korrupt zu entlarven.

Erstaunlich – aber mittlerweile richtig wohltuend – ist die völlige Abwesenheit der wilden Pressemeute, die sächsische Autoren immer noch für ernst nehmen. Wahrscheinlich spielt die in der echten Polizeiarbeit wirklich keine Rolle, jedenfalls keine, die richtig eingespannte Ermittler von ihrer Arbeit abbringen könnte. Manchmal geht es freilich in diesem Thriller sehr flott zu. Tewes drückt aufs Tempo und ohne eine Mordkommission, die den Geschehnissen dicht auf den Fersen ist, würde diese Story natürlich nicht funktionieren. Was nicht bedeutet, dass am Ende auch alles gut ausgeht für Alle. Was natürlich nicht so gut ist für Leser mit Einschlafschwierigkeiten.

In einem Hotel in Bahnhofsnähe in Frankfurt sollte man das Buch auf keinen Fall lesen. Und wenn man seinen Glauben an eine heile Welt und eine nicht korrumpierbae Gesellschaft bewahren möchte, lieber auch nicht.

Leif Tewes “Tag Null“, fhl Verlag, Leipzig 2015, 12 Euro

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