Eigentlich hatte sich Beatrix Dietel vorgenommen, ihre große Studie zur Universität Leipzig in der Weimarer Republik bis zum großen Uni-Jubiläum 2009 fertig zu kriegen. Immerhin hatte sie 2004 damit begonnen. Aber dann entpuppte sich das scheinbar so einfache Thema als eine echte Mammutarbeit. Nicht mal deshalb, weil die Weimarer Zeit in Sachsen eine echte Achterbahnfahrt war.

Aber genau das war ja Kern der Fragestellung: Wie haben die altehrwürdige Alma mater lipsiensis mit ihren vielen überkommenen Rechten und die diversen sächsischen Regierungen miteinander kommuniziert? Konnten sie das überhaupt, wenn die Regierungen immer wieder wechselten und damit auch die zuständigen Kultusminister oder Volksbildungsminister, wie sie später hießen? Fanden sie überhaupt eine Arbeitsebene oder arbeiteten sie gegeneinander? Wo doch alle Welt weiß, dass die Linken in der Regierung alles umstürzen wollten und die Universität voller stockkonservativer Professoren war, die die ganze Zeit gegen die Weimarer Republik arbeiteten? Das sind ja die beiden Grundannahmen, mit denen die Ereignisse in Sachsen damals immer wieder interpretiert werden. Sie wirken bis in die Gegenwart hinein.

Aber wie schafft man Klarheit? Man muss sich in die alten Protokolle, Briefwechsel, Reden, Statistiken und Anweisungen einarbeiten. Sofern sie noch da sind in den diversen Archiven. Und es sind nicht mehr alle da. Die Zeit reißt Lücken in die Bestände. Manchmal helfen nur spätere Festschriften, Erinnerungen und Autobiografien weiter, um diese sehr spezielle Welt zu rekonstruieren. Oder die beiden speziellen Welten, die sich misstrauisch beäugten. Aber wohl eher nicht aus ideologischen Gründen. Das ist wohl die wichtigste Feststellung, die Beatrix Dietel treffen konnte, als sie ihre auf 700 Seiten angeschwollene Studie 2013 endlich als Dissertation an der Uni Leipzig einreichen konnte, immer wieder ermuntert von ihrem Doktorvater Ulrich von Hehl, der wohl merkte, wie ihr das Projekt immer umfangreicher geriet. Den Doktortitel hat sie dafür natürlich bekommen.

Und vielleicht regt die Arbeit ja auch andere Forscher an, über die diversen USPD-, MSPD-, SPD- und KPD-Regierungen in Sachsen anders nachzudenken. Denn zumindest das Feld der Hochschulen zeigt deutlich mehr Kontinuitäten mit der Vorkriegszeit als Brüche oder gar Versuche, die Vorrechte der Hochschulen zu beschneiden und massiv in die Selbstbestimmung der Leipziger Universität einzugreifen. Was natürlich auch daran lag, dass auf Ebene der tatsächlich für dieses Feld zuständigen Referenten im Ministerium vor allem Leute saßen, die entweder selbst aus dem Universitätsbetrieb kamen oder großes Interesse daran hatten, das wettbewerbsfähige sächsische Hochschulwesen zu erhalten.

Denn gerade die Universität Leipzig war bis 1933 eine der drei führenden Universitäten im Deutschen Reich – hinter Berlin und München. Für viele namhafte Professoren galt sie als attraktive Endstation ihrer Laufbahn, für etliche aber auch als ideales Sprungbrett, um auf die Universitäten von Berlin oder München berufen zu werden. Die Uni Leipzig stand also in einem harten Wettbewerb um hervorragende Professoren – und gleichzeitig versuchten die Rektoren natürlich auch, die Selbstständigkeit des Kosmos Universität gegen reale oder auch nur befürchtete Eingriffe des Ministeriums zu bewahren. Der Streit wurde dann immer wieder bei Berufungen neuer Professoren ausgetragen: Die Universität hatte zwar das Vorschlagsrecht, das Ministerium aber das Zustimmungsrecht. Und wenn das Ministerium einmal anders wählte als die Uni – dann konnte das schon in heftige Papierscharmützel ausarten.

Und natürlich trat gerade hier immer die Frage auf: Griff das Ministerium nun aus politischen Gründen ein und versuchte so in der Uni Parteipolitik durchzusetzen?

Genau dafür findet Beatrix Dietel aber keine Belege. Dazu sind die Motive oft zu komplex, geht es oft genug auch um staatliche Interessen, wie es sie auch schon im späten 19. Jahrhundert gegeben hatte, als die Staatsregierung mit massiven Investitionen dafür sorgte, dass die vier sächsischen Hochschulen deutlich ausgebaut wurden und gerade im technischen und naturwissenschaftlichen Bereich wettbewerbsfähig blieben. Was ja bekanntlich dafür sorgte, dass die Uni Leipzig zeitweilig die führende Universität im Deutschen Reich war und sich durchaus fähig erwies, auch nobelpreisverdächtige Forschung zu betreiben.

Diese Notwendigkeit sahen auch die verantwortlichen Minister der Weimarer Republik, die freilich ein verdammt hartes Fell haben mussten. Denn nicht nur von den Professoren bekamen sie teils skeptische, teils heftige Attacken, die politische Konkurrenz im Landtag unterstellte all ihr Handeln einem reinen Parteiinteresse und gab sich wenig Mühe, überhaupt die Motivation der Regierung zu verstehen. Echte Haudrauf-Politik, wie man sie auch aus heutigen Parlamenten (wieder) kennt.

Aber das wäre ein eigenes Forschungsthema, wie die Vertreter in den demokratisch gewählten Parlamenten der Weimarer Republik selbst dafür sorgten, dass sich die politische Diskussion radikalisierte und eine ganze Republik sich in die Extreme flüchtete.

So weit kam es im Verhältnis mit der Uni Leipzig nie, denn immer wieder waren gerade die verantwortlichen Referatsleiter bemüht, die Wogen zu glätten und einvernehmliche Lösungen zu finden, oft genug auch Kompromisse, die die alten Rechte der Professoren bewahrten, auch wenn – unter preußischer Führung – im ganzen Reich Tendenzen zur Vereinheitlichung auch im Hochschulwesen im Gange waren.

Manche Vorrechte büßte die Uni Leipzig dann trotzdem ein – aber das lag nicht an politischen Differenzen, sondern daran, dass die Universität in den beiden großen Krisen des Jahrzehnts einen Großteil ihrer finanziellen Handlungsfähigkeit – und damit ihres Stolzes – einbüßte. Sie konnte zwar ihren Immobilienbesitz wahren, aber Stiftungen und finanzielle Rücklagen lösten sich großteils in Luft auf. Wer in solchen Situationen gezwungen ist, immer öfter die Staatsregierung um Hilfe zu bitten, der schaut dann doch etwas häufiger auf die eigene Finanzstruktur.

Und auch die erläutert Beatrix Dietel, nachdem sie den Leser sehr detailliert in die Konflikte und Kompromisslinien der 1920er Jahre eingeführt hat, am Ende etwas ausführlicher. Und da stellt sich heraus, dass die Universität schon seit Ende des 19. Jahrhunderts zu 80 Prozent aus Geldern des Königreichs bezahlt wurde. Daran änderte sich auch in der Weimarer Republik nichts. Im Gegenteil: Die zuständigen Minister gaben sich alle Mühe, die Landesuniversität nicht nur finanziell zu sichern und ihre Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten, sie waren auch bereit, in neue Einrichtungen zu investieren, wenn sie damit einen neuen Forschungsschwerpunkt, der für das industriell geprägte Sachsen wichtig war, setzen konnten.

Was natürlich Thema für eine ganz andere Untersuchung wäre, wäre natürlich die Ausprägung dieser Modernisierung, die ja an der Uni Leipzig von der Medizin über die Veterinärmedizin bis hin zu Chemie und Physik reichte. Das war ja tatsächlich eine Erfolgsgeschichte, die irgendwie nicht zur Geschichte der erzkonservativen Bartträger im mittelalterlichen Talar passen will. Und natürlich auch nicht passte. Dietel streift ja auch kurz den Versuch, die naturwissenschaftlichen Fächer endlich aus dem Kanon der philosophischen Fakultät zu lösen, wo sie seit dem Mittelalter nach und nach herangewachsen waren. Ein Versuch, der erst einmal in einem Kompromiss endete. Natürlich ging es um eine Machtfrage: Eine neue Fakultät hätte eigene Senatssitze und damit mehr Einfluss bei Entscheidungen beanspruchen können.

Man sieht also eine 400 Jahre alte Universität, die sich mitten im Übergangsprozess befindet aus den altehrwürdigen Regeln der mittelalterlichen Universität hin zu einer modernen Universität ohne überkommene Vorrechte. Der Prozess wurde in der Weimarer Zeit eher mit viel Geduld und vielen Kompromissen vorangetrieben, fand da aber noch kein Ende.

Beatrix Dietel Die Universität Leipzig in der Weimarer Republik, Leipziger Universitätsverlag, Leipzig 2016, 85 Euro.

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