Der Katholikentag macht in Leipzig so manches möglich, woran vorher gar nicht zu denken war. Zum Beispiel auch eine Ausstellung mit Fotografien des Leipziger Fotografen Harald Kirschner im Museum der bildenden Künste: „Credo. Kirche in der DDR“. Am Sonntag, 22. Mai, um 11:30 Uhr wird sie eröffnet. Ein kleines Kabinettstück für alle, die sich so etwas in der DDR nicht vorstellen konnten.

In den Staatsmedien war natürlich nichts davon zu sehen, keine Bilder von Wallfahrten, Prozessionen oder großen Katholikentreffen, die es alle gab. So klein die katholische Gemeinde in der DDR statistisch war, so intensiv wurde das innerkirchliche Leben trotzdem gefeiert, von großen Wallfahrten und Jubiläen ganz abgesehen – wie dem Elisabeth-Jubiläum 1981 in Erfurt oder dem Jubiläum zu 750 Jahre Zisterzienserkloster St. Marienthal in Ostritz 1984.

Dabei begann die Beschäftigung des in Mecklenburg-Vorpommern aufgewachsenen Fotografen mit den katholischen und ökumenischen Feiern viel früher. Tatsächlich sogar im Jahr 1979, als der polnische Papst Johannes Paul II. nach Krakow reiste, ein Ereignis, das Kirschner selbst besuchte und das ihn regelrecht faszinierte. Und das ihn auf ein Thema stieß, das ihn in den nächsten zehn Jahren intensiv beschäftigen sollte: Kirche in der DDR. Das ist nicht ganz aus unserer heutigen Wahrnehmung verschwunden, denn ein großer Teil der Friedlichen Revolution spielte sich ja in den Kirchen ab, und die Akteure nutzten auch diverse Kirchentreffen als Artikulationsort.

Katholikentreffen, Dresden, 1987. Foto: Harald Kirschner
Katholikentreffen, Dresden, 1987. Foto: Harald Kirschner

Aber das ist nicht der Fokus, der jetzt in der Kabinettausstellung im Bildermuseum im Mittelpunkt steht. Dort dominieren Kirschners Fotos von Wallfahrten, Jubiläen, Jugendtreffen, aber auch von den Spuren religiösen Lebens im Alltag. Etwa in Grünau. Wer seine Grünau-Bilder kennt, wird hier manches Motiv wiederentdecken, jetzt natürlich neu eingeordnet, sodass auch sichtbar wird, wie sehr kirchliches Leben eben selbst in dieser atheistischen DDR den Alltag vieler Menschen prägte. Was zuweilen auch für irritierende Begegnungen sorgt, denn immer wieder drängt sich ja auch der organisierte Alltag des „Arbeiter-und-Bauernstaates“ mit ins Bild, wehen DDR-Fahnen über einer großen Prozession, weil zeitgleich ein großer Parteitag zelebriert wird, erinnern Losungen neben kahlen Schaufenstern daran, wie eifrig der Sozialismus am Siegen war, während die festlich gekleideten Teilnehmer der Wallfahrt in einer völlig anderen Welt unterwegs zu sein scheinen.
Zu einigen der Großereignisse, die Harald Kirschner mit der Kleinbildkamera festgehalten hat, ist er im Auftrag der katholischen Zeitung „Tag des Herrn“ gereist. So haben wenigstens einige dieser Bilder auch schon in den 1980er-Jahren das Licht der Öffentlichkeit erblickt. Doch zu den meisten Ereignissen war Kirschner im Eigenauftrag unterwegs.
Als er nun im Vorfeld der Ausstellung sein Filmarchiv durchforstete, war er selbst überrascht, wie viele Fotos er seinerzeit gemacht hat. Wenn sich denn die Gelegenheit ergibt, könnte er problemlos einen eigenen Bildband mit diesen Bilderserien füllen. Er hat immer in Serien gearbeitet. Wenn ihn ein Thema fasziniert hat, ist er über Jahre drangeblieben. Im Fall des Leipziger Stadtteils Grünau wissen es ihm die Grünauer zu danken. Niemand hat das Leben in all seinen Phasen in diesem Neubaugebiet so nah und vielfältig festgehalten.
Und als er die Faszination der kirchlichen Ereignisse in der DDR erst einmal für sich entdeckt hatte, ging er auch hier mit dem professionellen Handwerkszeug vor, das er 1968 bis 1973 an der HGB Leipzig im Fotografiestudium erlernt hatte. Und das war stets ein Studium auf höchstem Niveau mit dem Anspruch der sozialdokumentarischen Belichtung der Welt. Aber die Fotos sind eben nicht nur Dokument der Zeit – sie bestechen auch durch die Fähigkeit zur künstlerischen Komposition. Und sie sind ja nicht komponiert. Kirschner hat schlicht den Blick für den richtigen Moment, das Detail und die richtige Perspektive. Er blickt dem Bischof über die Schulter und lässt die Menschenmenge erst so richtig zur Wirkung kommen, dann wieder zoomt er die Teilnehmer der riesigen Veranstaltung heran – die Kinder, die Alten, die Aufmerksamen. Man ahnt, warum ihn besonders diese katholischen Feiern nach seinem Polen-Besuch so faszinieren, wie er mit Feingefühl versucht, die Stimmung, das ganz Besondere des Moments einzufangen.

Grundsteinlegung des katholischen Gemeindezentrums St. Martin, Leipzig-Grünau, 1983. Foto: Harald Kirschner
Grundsteinlegung des katholischen Gemeindezentrums St. Martin, Leipzig-Grünau, 1983. Foto: Harald Kirschner

Und dabei sagt er heute, dass er zur Kirche eigentlich auf Distanz ist. Auch wenn sie ihn seit seiner Geburt in Böhmen 1944 lange begleitet hat und ihm gerade in diesen störrischen 1970er- und 1980er-Jahren in der DDR als Orientierung wichtig war. Denn da war Religion auch als Maßstab für die richtigen Entscheidungen wichtig für ihn. Aber die Fotos zeigen mehr. Sie zeigen ein authentisches Stück Wirklichkeit aus der DDR, das eigentlich im offiziellen Kanon dieses Staates nicht vorkam. Aber hier sieht man, wie sehr dieser religiöse Bezug für Tausende Menschen trotzdem lebendig war – nicht nur für die Alten, wie man anfangs denken mag, sondern auch viele junge Menschen, die da und dort auch besonders in den Vordergrund der Fotos geraten. Auch in intensiven Szenen, die ahnen lassen, dass Kirschner auch immer wieder der misstrauischen Stasi nahekam, wenn er die Zeichen des aufkeimenden Friedensprotestes mit einfing.

Aber das ist bei ihm nie aufgesetzt. Er ist ein zwar aufmerksamer Beobachter, der quasi schon automatisch ahnt, wann das Bild stimmig ist und der richtige Moment, auf den Auslöser zu drücken. Aber er hat keine politische Fotografie versucht. Die Szenen stehen alle für sich, jedes Bild eigentlich eine eigene vollgültige Geschichte, in die man eintauchen kann. Dieser Kirschner ist eigentlich ein Erzähler mit der Kamera. Und dabei erzählt er vor allem eine Geschichte: die der Menschen genau in den Momenten, in denen sie ganz anwesend sind in dem, was sie tun. Und deshalb werden auch diese Bilder ihre Wirkung auch künftig noch entfalten und von einem Land erzählen, in dem es so etwas eigentlich nicht geben sollte. Und trotzdem gab.

Harald Kirschner „Credo. Kirche in der DDR“, Ausstellung im Museum der bildenden Künste vom 22. Mai bis 28. August 2016.

Eröffnung am Sonntag, 22. Mai, 11:30 Uhr.

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