"Ruhe bewahren“ ist Luise Kinsehers Programm-Titel, gar nicht mal so als allgemeine Arbeits- und Gesundheitsschutzbelehrung gedacht, sondern ganz aktuell wartet sie sehnsüchtig notleidend auf den Anruf von dem tollen Mann aus dem Fahrstuhl, dem sie schnell noch ihre Handy-Nummer zugesteckt hatte.

Man geht zum Lachen in den Keller, zumindest bei der Pfeffermühle und den academixern ist das so. Wenn Luise Kinseher, die Mutter Bavaria-Darstellerin vom Münchner Nockherberg-Spektakel Leipzig besucht, ist das interessant, weil es hier ebenfalls und bei Paulaner, im Restaurant in der Klostergasse, seit sieben Jahren um den Josephi-Tag herum wie in München die Salvator-Starkbierprobe gibt. In Leipzig aber in einer kleineren Saalvariante, ohne Singspiel aber mit Anstich und Fastenpredigt des Bruders Barnabas mit „Derblecken“ auf lokaler Ebene und nur zufälligerweise in Anwesenheit von Europa-, Bundes- und Landespolitikern.

Herzlichen Glückwunsch der Leipziger Lachmesse zum 25-jährigen Jubiläum! Eine Messe der Phänomene, denn bei dieser Messe bezahlte der Kunde schon immer vor Besichtigung bzw. Lieferung des Produkts, und eine Woche lang überlassen Leipziger Kabarettisten ihre Bühnen auswärtigen fahrendem Volk von Kabarettisten… Traditionell wird der Lachmesse-Preis verliehen. Vor 25 Jahren sollen die Trophäen noch echte Zähne von Löwen gewesen sein, was damals durch reichhaltige Bezugsmöglichkeiten im Leipziger Zoo nichts Besonderes gewesen sein dürfte. Eine Lachmesse-Adresse war da auch noch der Saal in der Leipzig-Infomation am Sachsensplatz. Dietrich Kittner war Stammgast auf den Lachmesse-Bühnen, die Missfits spielten damals einen ihrer ersten Festival-Auftritte im academixer-Keller, auch Spejbl und Hurvinek kamen in die Kupfergasse…

Wenn die Kabarett-Großkopferten aus dem Fernsehen anreisen, sind die Läden voll, man erwartet sie. Man erwartet sie so wie im TV, aber doch auch wieder nicht so, wenigstens nicht ganz genau so… Oder?

Vollblutweib Kinseher

Ja, Leipzig, „Kabarettstadt“, das baut Luise Kinseher in ihr Entrée ein, dass sie an traditionsreichem Brettl-Ort auftritt hat ihr scheinbar keiner gesagt. Ob man nun das einstige Lokal „Nachtfalter“ meint oder die Druckerei Melchior Lotters, der mit dem heimlichen Druck der Schriften Martin Luthers reich geworden sein soll.

Eine Vollblutfrau erzählt aus dem Leben, ach was, ein Vollblutweib! Eigentlich sind es gleich mehrere. Da ist die Mary, ein schnapsseliges Faktotum, das sich irgendwie zwischen Garderobe und Bühne herumtreibt, als Nummer Zwei eben Frau Kinseher und auch noch eine ältere Münchner Dame, die schon lange viel durchgemacht hat und auf sehr, sehr hohem Niveau leidet.

Leipzig und Leipziger sind nicht so ihr Ding. Nach reichlichen Fragen ans Publikum sind ihr die „Zugezogenen“ interessanter zum Dialog, wenn sie von einem Münchner wissen muss: „Sind Sie freiwillig hier?“ Vielleicht hat sie sich ja die Reise nach Leipzig auch nicht selbst ausgesucht. Freilich haben – hörbar – die Leipziger nicht so den Drang, halblaut ins Programm hineinzuquatschen.

Bavarias Mutter Kinseher

In einer Szene spielen dann auch die Großkopferten aus dem Publikum vom Nockherberg eine Rolle, kommentiert von Luise Kinseher. Eine bemitleidenswerte Rolle, denn sie scheinen alle mit „Emotionshemmern“ behandelt worden zu sein, bis auf den einen, der Anführer, „der Horsti nicht, der kifft!“

Mal ehrlich, Frau Kinseher, die Mutter Bavaria beim Fernseh-Derblecken zur Salvator-Starkbierprobe, da sind Sie ja weit unterfordert, wo man noch nach sichtbarem Manuskript arbeiten und ablesen muss, um zu zeigen, dass das auch wirklich so vorbereitet und womöglich noch „abgesegnet“ ist, nachdem ein früherer Fastenprediger mal das Maß, respektive die Maß, verloren hatte… Wenigstens sollte es dann auch bei der Fernseh-Übertragung heißen: heute als Luise Kinseher – die Darstellerin Mutter Bavaria.

Eine Bayerin hat, wie wir nun erfuhren, auch ein Stamm-Stüberl, ein Lokal, wo man mehr als sieben Mal in der Woche hingeht. Wenn auch ihr Stüberl nun umgebaut und umbenannt wurde als „Lounge“ und statt Pils gibt es dort nun „Hopfen-Smoothie“. „Ruhe bewahren“, warnt sich Luise Kinseher, zum Beispiel im Lift, schon aus Angst, dass der stecken bleiben könnte. Es sei denn, und das wäre ihr Traum, im Lift wäre ein bayerisches „Stüberl“ mit Holztischen. Bänken und Kachelofen und „oahm Leberkäs`“. Wenn dann der Lift bloß nicht abstürzt… „von wegen dem Senf und dem Kachelofen.“

Luise Kinsehers Publikum ist altersmäßig schön gemischt, von unter 20 bis deutlich drüber.
Zu ihren Damen, also Rollen, inklusive Luise als Kinseher gibt es drei Songs, die allerdings drei sängerisch-schauspielerische Spielarten zeigen. So sollten Sie unbedingt weitersingen!

Hinter der Bühne entdeckte Luise Kinseher eine Tafel, Requisit der Pfeffermühle aus der Loriot-Jodelschule, das sie aber nicht als solches identifiziert, und prompt gibt es einen echt-bayerischen Super-Jodler als Zugabe. So was hat man vielleicht nicht einmal im alten „Nachtfalter“ gehört! Donnernder Applaus. Vielleicht erkennt die Jury Luise Kinseher den Lachmesse-Preis zu, dann muss sie schon zur Verleihung noch mal wiederkommen und mit Leipzigern reden.

Kabarett als Umgang mit den Welträtseln

So klein die Bühnen sind, so größer oder kleiner können die Rahmen sein. Bei Luise Kinsehers Weiber-Figuren reicht die Welt eben bis zum eigenen Spiegelbild und all dem, wer und was sie umgibt und mit ihr redet. Andere müssen die Welträtsel auseinandernehmen, ohne sie lösen zu wollen, auf welche Art auch immer.

Christoph Sieber erzählt „Hoffnungslos optimistisch“ rasant und eigensinnig von Kapitalismus und Kapitalisten, hangelt sich an Beispielen von Erscheinungen entlang, was nichts Besonderes wäre, würde er auf der Straße als Speaker oder Kundgebungsredner auftreten. Raffiniert ist die Haltung dabei, Sieber mimt den Redeschwall, wie er manchen Kommunikations-Coachs eigen ist. Augen zu und durch, nur keine Zweifel aufkommen lassen. Geheimnisvoll immer nur eine Antwort parat haben, auf die Frage die wir uns gerade stellen wollen.

Was die Beispiele betrifft, auf der Höhe der Ereignisse der 43. Kalenderwoche 2015 ist er da nicht. Muss er ja auch nicht. Für den Kabarettsaal und ein Publikum dem Zeitungen und „Zeitzeichen“ täglich Nahrungsmittel sein dürften, sind seine Pointen nur Satzenden: „Kapitalismus und Globalisierung nenne ich schlicht und einfach Ausbeutung!“ Da feixt bestimmt Karl Marx, der „Kapital, Band 1“ in Leipzig drucken ließ.

Ungastlichkeit

Bei der Beschreibung gastronomischer Hinlänglichkeiten und Ungastlichkeiten gelingt eine Milieustudie an Unreinlichkeit und Lieblosigkeiten, wo man sagen möchte, solche Kneipen hätte es zu Zeiten der Arbeiter- und Bauern-Inspektion (ABI) der DDR und der Gaststättenbeiräte nicht gegeben. (Und wenn doch, zumindest wäre Gras drüber gewachsen…) Dieser Lokal-Report ist so köstlich, dass der Appetit aufs nächste Essen nachlässt. Als Szene, wenn auch gelesen: Köstlich!

Allzeit verfügbare Mikrofone, Publikumsbeschallung und aussteuernde Techniker haben den Kabarettisten die Arbeit erleichtert. Für ihre Schauspielereien-Figuren und das, was sie da rüberbringen wollen, kann das auch erschwerend sein. „Was will ich mitteilen?“, fragt sich Luise Kinseher kokettierend: „Null!“ Stimmt natürlich nicht, man ahnt es sofort.

Christoph Siebers musikalisch-tänzerische Einlagen würden noch weitaus größere Bühnenflächen füllen, eben „Hoffnungslos optimistisch“. Auf seiner Website wirbt er mit dem Zitat: „Christoph Sieber ist die Stimme des jungen Kabaretts.“ Der Mann ist Jahrgang 1970. Lachmesse-Preisträger schon 2010. Sein Publikum nur war zumeist älter als er.

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