Glauben Sie nicht alles, was Sie lesen, unbesehen. Wirklich nicht. Schon gar nicht, wenn Sie sich wie meinereiner aufmachen, den Vater des Barons Münchhausen zu besuchen. Das geht schief. Da hilft kein Zopf. Natürlich hieß der richtige Erzeuger des weiland als Jägerlateiner bekannten Hieronymus Carl Friedrich Freiherr von Münchhausen nicht Gottfried August Bürger, sondern Georg Otto von Münchhausen. Aber wen kümmert das, seit 1786 die "Feldzüge und Abenteuer des Freiherrn von Münchhausen" erschienen?

In Rückübersetzung aus dem Englischen, wie es im Vorwort so schön heißt. Der anonyme Autor versteckte sich – wohl aus gutem Grund. Ein Buch mit Satire drin war auch im 18. Jahrhundert keine Empfehlung für eine Anstellung im Staatsdienst. Und irgendwo wollte ja der Herr Bürger hin, nachdem er in Halle Theologie studiert hatte, aber ganz bestimmt nicht Pfarrer werden wollte wie sein Vater. Er studierte auch noch Jura in Göttingen. Aber auch in die Juristerei wollte er nicht. Zumindest das wusste er: Er war der beste Balladendichter seiner Zeit.

Auch nicht übertroffen von Goethe und Schiller, deren Balladen die armen Schüler noch heute auswendig lernen müssen, weil sie so schön lehrreich sind. Aber darum geht es bei Balladen nicht. Balladen sind kleine Dramen. Und sie werden dann richtig gut, wenn Ton und Stimmung zueinander passen. Wie bei Fontane, Lene Voigt und Bürger, der zu seiner Lebenszeit als Balladendichter berühmt wurde. Dass er den “Münchhausen” nicht nur aus dem Englischen rückübersetzt, sondern auch noch sprachlich in Form und mit Witz aufgeladen hat, das wurde erst 1811 bekannt. Da war Bürger schon lange tot, jung gestorben 1794 an Schwindsucht.

Als außerordentlicher Professor der Ästhetik in Göttingen. Was nur hieß: Er bekam für seine Professur kein ordentliches Gehalt, sondern war auf die Einnahmen durch seine Zuhörer angewiesen. Doch mit 50 verlor er seine Stimme.

Und was hat das mit mir zu tun? – Ich wollte ihn besuchen. Denn zwei Dörfer gleich hinterm Berg sind Bürger-Land: Pansfelde heißt das eine, Molmerswende das andere. In Molmerswende ist er als Sohn eines Landpfarrers geboren. In einer Silvesternacht. Das Pfarrhaus ist seit 1972 Bürger-Museum.

Und wie Sie sich erinnern, stand ich jüngst an der Richtstatt, wo einst Elisabeth Voigtländer zum Tod verurteilt worden sein soll. Soll, sag ich, denn wissen tut man’s erst, wenn man die Tatorte gesehen hat. Und weiß, wer wann was getan und geschrieben hat. Dass der kleine Gottfried August nur von 1747 bis 1764 in der Gegend lebte, lässt sich nachlesen. Deswegen war er auch nicht dabei, als es passierte. Sein Vater hielt nichts von Bildung, es war eher sein Großvater, der dem Jungen ein bisschen half, zu Bildung zu kommen. Dazu gehörte ein kleiner Weg über den Berg zum Nachbarpfarrer in Pansfelde.
Das erreicht man ganz gemütlich, wenn man von der Richtstatt der Asseburger einfach den Weg hinunter spaziert nach Pansfelde. Ein beliebter Reitweg, gut gedüngt mit Pferdeäpfeln. Unten merkt man, dass es nur ein kleines Dorf ist. Der Fleischer kommt mit Klingeling im Auto ins Dorf gefahren. Da springen die Dorffrauen mit Netz und Fahrrad herbei, um ihr Fleisch zu kaufen. Einen Bäcker gibt es dafür noch. Der ist so gut, dass die Leute auch aus anderen Dörfern kommen, um bei Bäcker Struck ihr Brot zu kaufen. Dafür geht es dem einstigen Dorfkonsum wie den meisten Dorfläden: Er ist leer geräumt, der Laden steht gähnend und staubig da, ohne was drin.

Was braucht man noch? – Eine Kirche natürlich. Pansfelde hat eine schöne alte aus Feldsteinen. Daneben steht das Pfarrhaus, Lange Straße 47. Aber kein Schild an der Hauswand, das auch nur daran erinnert, dass Klein-Gottfried hier beim Pfarrer Lateinstunden erhielt. Und nicht nur das. Berühmt ist das Pfarrhaus, weil Bürger hier seine Ballade “Des Pfarrers Tochter von Taubenhain” handeln lässt: “Des Pfarrers Tochter von Taubenhain/War schuldlos wie ein Täubchen …”

38 Strophen. Eine echte Ballade – mit Unschuld vom Lande, einem frechen Junker, der dem Täubchen die ewige Treue schwor, ein uneheliches Kind und ein bitterer Tränengang aufs Schloss des Junkers. Das der Dichter beim Namen nennt: Falkenstein.

Der Junker benimmt sich übrigens auf seine Weise honorig: Heiraten will er die Kleine zwar nicht, sie ist ja nunmal nur eine Pfarrerstochter. Aber seinen Jäger will er ihr zur Frau geben. Fortjagen will er sie wenigstens nicht. Aber sie will den Junker. Er hat’s ja versprochen. Und nur so wird ihre Schande gut gemacht. Wird sie dann aber nicht. Die junge Mutter ersticht das Kindchen in stockfinsterer Nacht am Weiher. Den Weiher findet man gleich hinter der Kirche. Er sieht kein bisschen gespenstisch aus. Genauso wenig wie Kirche und Pfarrhaus. Im Gegenteil: Neben dem Pfarrhaus quietschen die Kinder – hier ist die Kinderkrippe von Pansfelde.

Und der Pfarrer von Pansfelde ist auch nicht schuld, auch wenn Taubenhain eigentlich Pansfelde ist. Nicht, weil der Pfarrer aus Gottfrieds Zeiten vielleicht kein so strenger Vater war, wie der in der Ballade. Aber er war wirklich nicht schuld. Denn die Geschichte, die dahinter steckt, hat sich erst 1779 zugetragen – in Molmerswende.

Da lebte Bürger schon als Amtmann in Wöllmershausen in der Gegend bei Göttingen.

Und ein Junker kam auch nicht drin vor in diesem Kriminalfall, nur ein junger Liebhaber, der den Eltern des Mädchens nicht passte. Vielleicht war sie auch ein bisschen leichtsinnig, kann sein. Die Chronik spricht von “liederlicher Aufführung”. Das Ergebnis kennt man ja: Es ist sehr lebendig, wenn keiner zur silbernen Haarnadel greift oder das arme Hascherl erwürgt. In diesem Fall tat’s nicht das leichtsinnige Mädchen, sondern die Mutter desselben. Angeklagt wurden beide – aber das leichtsinnige Mädchen wurde freigesprochen. Die Mutter, Elisabeth Voigtländer, wurde aufs Rad gelegt und exekutiert.

Solche Geschichten verbreiten sich natürlich. Und wer so was hört und eine Dichter-Phantasie hat, macht eine Ballade draus. Mit allen Zutaten, die der Leser erwartet: frechem Junker, düsterem Pfarrhaus, nächtlichen Gespenstern am Weiher.

“Das ist das Flämmchen am Unkenteich; das flimmert und flammert so traurig.” Das Pfarrhaus steht da, die Kirche auch. Der Weiher sonnt sich in der Mittagsstunde. Sogar die Kirchenglocke lässt sich hören, ein bisschen blechern schlägt sie dem Wanderer die Stunde.

Spute dich, heißt das wohl. Wenn du wie einst der kleine Gottfried noch nach Molmerswende willst, nimm die Beine in die Hand. Nur eines weiß der neugierige Leo noch nicht: Dass der Wegweiser im Dorf der letzte war, den er sehen wird. Denn nun eilt er ja sputend ins Münchhausen-Land. Denn was anders sollte das Dorf schon sein, in dem einer wie Gottfried August geboren wurde?

Die zehnte Karte:

Mein liebstes Lenorchen,

sei unbesorgt. Das Pfarrhaus zu Taubenhain hab ich tapfer umgangen, kein grimmiger Seelenhirt winkte mir mit dem Zeigefinger. Kein Pfarrerstöchterlein wollte mit mir in die Laube. Kein Junker ritt mich darnieder. Nur der Marterpfahl mit den Wanderpfeilen dünkt mir seltsam. Er zeigt forsch nach Osten, obwohl ich nach Westen müsste. Mir schwant was. Wenn ich nicht wieder auftauche, schreib einfach postlagernd mit Adlerpost. Vielleicht komme ich ja auch in Südamerika heraus und brauch einen neuen Adler.

Ich geh jetzt querfeld. Vielleicht ist’s ja, wie immer, die Mitte.

Dein Leo aus Auenhain.”

Das Bürger-Museum in Molmerswende:
http://gottfried-august-buerger-molmerswende.de

Pansfelde:
http://pansfelde.org

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